Auf Gott ausgerichtet

Was mich von der reformatorischen Theologie überzeugt hat (Teil 3)

Artikel von Hanniel Strebel
4. Dezember 2020 — 6 Min Lesedauer
Dieser Artikel ist Teil der Artikelreihe „Was ist denn, bitteschön, reformatorische Theologie?“, in der Hanniel Strebel in Kürze die wichtigsten Themenfelder der Dogmatik aus reformatorischer Perspektive beleuchtet.

Der zweite Hauptteil nach der Frage, wie wir überhaupt Zugang zu Gott und seiner Wahrheit erhalten, umfasst die eigentliche Theologie. Wörtlich bedeutet „Theologie“ schließlich die Lehre über Gott selbst. Das ist ihr vornehmster und gleichzeitig anspruchsvollster Part. Wir haben als erlöste Menschen Zugang zur Heiligen Schrift, der speziellen Offenbarung, erhalten. Dort stellt sich Gott durch seine Namen vor, etwa als „Allmächtiger“ oder „Herr der Heerscharen“. Zudem wird sein Wesen darin beschrieben. Manche dieser Adjektive lassen sich in der Doppelaussage „heilig-liebend“ zusammenfassen. Er offenbart sich zudem in seinen Taten. Deshalb lege ich, wenn ich die Bibel lese, besonderen Stellenwert auf alle Verben, die für das Wirken Gottes gebraucht werden. Neben den Namen, mit denen er sich vorstellt, den Adjektiven, die sein Wesen beschreiben und seinen Taten enthält die Bibel immer wieder Metaphern. David beispielsweise beschreibt Gott in Psalm 18,1 aus seiner eigenen Lebenserfahrung als „Fels“ oder „Schild“. Aus dem überaus weitläufigen Gebiet möchte ich in diesem Artikel drei Aspekte hervorheben: Gottes Souveränität, die Dreieinigkeit sowie seine Transzendenz und Immanenz.

1. Gottes Souveränität

Zuerst betont die reformatorische Theologie die Souveränität Gottes. Wie äußert sich seine Souveränität?

Zunächst hat Gott jeden Menschen souverän zu seiner Ehre erschaffen (Jes 43,7; Offb 4,11). Und Gott wird in seiner Souveränität in jedem Fall zu seiner Ehre kommen (Jes 42,8). Er ist nicht auf den Menschen angewiesen. Das zeigt sich in der Erwählung. Gott hat bestimmte Menschen, wie in Epheser 1,4 eindrücklich von Paulus geschildert, erwählt. Dieser Erwählungsakt „vor Grundlegung der Welt“ wird im Neuen Testament wiederholt erwähnt (z.B. in Apg 13,48). Sie geht jeder Äußerung menschlichen Glaubens voraus.

„Gottes Ratschluss umfasst mehr als ein Voraussehen dessen, wie Menschen sich verhalten werden.“
 

Die reformatorische Theologie hält hier fest, dass Gottes Ratschluss mehr als ein Voraussehen dessen umfasst, wie Menschen sich verhalten werden. Gottes Plan ist nicht von den Handlungen des Menschen abhängig. Er wirkt aktiv, wie das Beispiel des Todes seines eigenen Sohnes eindrücklich zeigt (Apg 2,22;4,27–28). Gott kommt auch durch die Sünde hindurch zu seiner Ehre. Dies übersteigt unseren Verstand und wir müssen bekennen, dass unsere Erkenntnis begrenzt ist.

Auch der Sündenfall geschah nicht außerhalb der göttlichen Kontrolle. Reformatorische Theologen diskutieren darüber, ob der Sündenfall schon von Ewigkeit her (supralapsarisch) oder nach dem Sündenfall (infralapsarisch) in den Ratschluss bzw. in die Umsetzung des Ratschlusses Gottes eingeplant wurde. Bei dieser Frage stoßen wir an die Grenzen dessen, was uns durch die Heilige Schrift offenbart worden ist. Um den Sündenfall herum gibt es ein großes Geheimnis – nicht über das Dass und Wie, jedoch über das Warum. Die reformatorische Theologie legt Wert darauf, dieses Geheimnis zu wahren. Sie erkennt an, dass der Mensch voll verantwortlich für die Sünde ist, die er begangen hat. Zwar hat Adam als erster Mensch die Sünde in das Menschengeschlecht gebracht (deshalb spreche ich lieber von Ursprungs- als von Erbsünde), wie Paulus in Römer 5,12–21 erklärt. Auf der anderen Seite ist Gott niemals Urheber der Sünde. Es ist nicht so, dass die Sünde Teil seines Wesens wäre, wie andere Ideologien behaupten.

2. Die Dreieinigkeit Gottes

Der zweite Aspekt betrifft die Trinität. Reformatorische Theologen räumen dieser Lehre einen zentralen Platz ein. Im Alten Testament wird sie noch schattenhaft entfaltet. Die Kirchenväter haben sie z.B. bereits in 1. Mose 1 gesehen. Gott, der Vater schuf durch den Sohn, das Wort (hier in Kombination mit Johannes 1,1–14) Himmel und Erde, über welcher der Geist Gottes schwebte. Viel klarer wird die Dreieinigkeit jedoch im Neuen Testament entfaltet. Es gibt zahlreiche trinitarische Abschnitte. In Matthäus 28,19 etwa („Tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“) wird Gottes Name (im Griechischen im Singular) auf Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist angewendet. Die Paulusbriefe wimmeln von trinitarischen Abschnitten (z.B. Gal 4,4–6, Eph 4,1ff, Jud 20–22 oder Eph 1,3–14). Derselbe dreieinige Gott, der diesen Kosmos schuf, stellt ihn wieder her. Es ist interessant, dass in der Schöpfung, in der Erlösung und im Gericht Gott als der Dreieinige gezeigt wird. Die Trinität wird bei der Einsetzung Jesu erwähnt (z.B. Mk 1,9–11), aber auch bei seinem Tod und seiner Auferstehung (z.B. Heb 9,14). Im kommenden Gericht übergibt Gott, der Vater seinem Sohn, dem geschlachteten Lamm bzw. dem Löwen, im Thronsaal das Buch des Gerichts (Offb 5). Vor diesem Thron sind die sieben Geister Gottes (vgl. Offb 1,4–7).

„In der Schöpfung werden die Spuren der Trinität durch das Prinzip von Einheit und Vielfalt sichtbar.“
 

Der dreieinige Gott hat in sich selbst Gemeinschaft. Er erschuf den Menschen nicht als Gegenüber, weil er die Gemeinschaft mit ihm gebraucht hätte. Johannes 17, das Gebet Jesu zu seinem Vater, veranschaulicht dies. Der dreieinige Gott hat in sich selbst liebende Gemeinschaft. Die Schöpfung, mit dem Menschen als Krone von Einheit und Vielfalt, resultiert daraus. Das wird schon in 1. Mose 1 klar, wenn wiederholt der Ausdruck „in seiner Art“ gebraucht wird. Gott hat Pflanzen in ihrer Art geschaffen, ebenso Tiere. Wir können zwischen Universal- und Einzeldingen unterscheiden. Wir sprechen auf der einen Seite vom Apfel und auf der anderen Seite von verschiedenen Apfelsorten. Weshalb erwähne ich das? In der Schöpfung werden die Spuren der Trinität durch das Prinzip von Einheit und Vielfalt sichtbar.

3. Gottes Transzendenz und Immanenz

Zentral für die reformatorische Theologie ist auch das Gleichgewicht zwischen Transzendenz (Gottes Sein über der Schöpfung) und Immanenz (Gottes Wirken in der Schöpfung). Gott verfügt nicht nur über den Kosmos, sondern hält diese Welt jeden Moment aufrecht und regiert über sie. Dies wird eindrücklich in Jesaja 40–48 dargestellt. Ich empfehle besonders das Studium von Jesaja 40. Die Völker sind für ihn wie kleine Tropfen an einem Eimer (40,15). Gleichzeitig ist er der Hirte, der die 

„Eine Gott-zentrierte Sicht auf Welt und Leben ist das wichtigste Korrektiv für den Mensch-zentrierten Westen!“
 

Mutterschafe sorgsam führt und die Lämmer in seine Arme nimmt (40,11). Er steht nicht nur souverän über dieser Welt und regiert sie aus der Ferne, sondern greift auch in diese Welt ein. Er ist der nahe Gott. In Jesus wurde er „Gott mit uns – Immanuel“ (Mt 1,21).

Das, was ich hier bloß anschneiden konnte, hat mich insgesamt zuerst von der reformatorischen Theologie überzeugt. Sie ist auf Gott ausgerichtet. Das deckt sich mit meinem Studium des Alten und Neuen Testaments. Eine Gott-zentrierte Sicht auf Welt und Leben ist das wichtigste Korrektiv für den Mensch-zentrierten Westen!