Papa sein, Mama sein

Rezension von Eduard Tissen  und Anna Tissen
3. Dezember 2020 — 4 Min Lesedauer

„Schon wieder ein neuer Erziehungsratgeber?“ – So oder so ähnlich mag man denken, wenn das 2020 auf Deutsch erschienene Buch Papa sein, Mama sein von Paul David Tripp dieser Tage vermarktet wird. Tripp selbst, in Deutschland vor allem als Autor bekannt, war nach eigener Aussage lange Zeit entschlossen, kein weiteres Buch zum Thema Erziehung zu schreiben – bis er feststellte, dass ein Buch mit dem hier vorliegenden Fokus notwendig war, sodass 2016 das Buch unter dem Originaltitel Parenting: The 14 Gospel Principles That Can Radically Change Your Family erschien.

Kein bloßer Erziehungsratgeber

Und in der Tat werden Leser bei diesem Buch die sonst üblichen praktischen Tipps vergeblich suchen – es gibt sie nicht. Auf knapp 250 Seiten konzentriert Tripp sich vielmehr auf 14 Grundsätze, die das Evangelium zur Basis der Erziehung machen. Als Hinführung zu diesen Grundsätzen stellt er dar, dass viele (auch christliche) Eltern ihre Kinder unbewusst als „Besitz“ ansehen und die Erziehung dementsprechend verhaltensorientiert gestalten. Im Gegensatz dazu beschreibt Tripp die „Botschafter-Erziehung“ als evangeliumszentriert und daher zielführend. Wenn Eltern sich dessen bewusst sind, dass ihre Kinder letztendlich Gott gehören, dann wird ihre Erziehung nicht durch persönliche Interessen bestimmt, sondern sie verstehen sich selbst als Werkzeuge, die Gott im Leben ihrer Kinder einsetzt, um sie auf Jesus Christus hinzuweisen und ihnen seine Gnade aufzuzeigen.

Keine Praxistipps und dennoch praxistauglich

Wir haben das vorliegende Buch als Ehepaar in den letzten Wochen gelesen und wurden als Eltern von vier Kindern im Alter zwischen 1 und 8 Jahre in mancherlei Hinsicht ermutigt und neu ausgerichtet.

Der häufigste Kommentar nach Erwähnung unserer Familienkonstellation ist wohl: „Da habt ihr aber alle Hände voll zu tun.“ Und das ist nicht zu leugnen. Der Alltag ist voll und wirklich ungestörte Minuten sind Mangelware. Tripps Ermutigung, Erziehungssituationen nicht als Störung zu sehen, sondern als Gelegenheiten zum Gespräch, kommt da sehr passend und hilft uns immer wieder, unseren Blickwinkel zu ändern. So haben wir zuletzt verstärkt versucht, in Gesprächen mit den Kindern den Zustand ihres Herzens zu fokussieren, statt nur eine Verhaltensänderung einzufordern.

„In jedem Augenblick der Erziehung unserer Kinder arbeitet der weise, himmlische Vater an jeder im betreffenden Zimmer befindlichen Person“ (S. 248). Tripp schreibt wiederholt darüber, dass Erziehung ein Prozess ist und dass es nicht nur darum geht, unsere Kinder zu erziehen, sondern dass Gott gleichzeitig an uns Eltern arbeitet. Dieses Wissen demütigt uns einerseits, macht uns aber auch barmherzig im Umgang mit unseren Kindern. Es hilft uns, nicht an unserem eigenen Versagen zu verzweifeln, sondern es in Ordnung zu bringen und neu zu beginnen. Die letzten beiden Kapitel, mit „Ruhe“ und „Barmherzigkeit“ überschrieben, haben uns persönlich ermutigt: Letzten Endes liegt das Wohl unserer Kinder in Gottes Hand und wir dürfen Werkzeuge sein, die er trotz aller Unvollkommenheit einsetzt.

Anmerkungen und Leseempfehlung

Wird man mit diesem Buch nun zu einer gleichgültigen Haltung in Sachen Kindererziehung geführt, weil Veränderung ja doch nicht durch uns als Eltern bewirkt werden kann? Nein, so ist das Buch nicht gedacht und es wäre auch eine grobe Fehlinterpretation, wenn man als Leser zu dieser Schlussfolgerung kommt. Es erinnert uns aber daran, dass Gott das Gedeihen schenkt (vgl. 1Kor 3,7) und gibt uns als Eltern Hoffnung und Ruhe statt weiterer Anweisungen, die zum perfekten Familienleben führen sollen.

„Letzten Endes liegt das Wohl unserer Kinder in Gottes Hand und wir dürfen Werkzeuge sein, die er trotz aller Unvollkommenheit einsetzt.“
 

Auch wenn Tripp bewusst auf praktische Tipps verzichtet, nutzt er viele (größtenteils negative, zum Teil persönliche) Beispiele, um seine Leser abzuholen. Das gelingt ihm auch. Trotzdem wünscht man sich, er würde weniger dieser negativen Beispiele verwenden und stattdessen Anregungen geben, wie man die dargestellten Situationen als „Botschafter-Eltern“ nutzen könnte.
Die deutsche Übersetzung ist insgesamt gelungen, wirkt allerdings an einigen Stellen etwas hölzern. Außerdem finden sich vergleichsweise viele Flüchtigkeitsfehler im Text.
Ein weiterer Kritikpunkt ist auch der Haupttitel der deutschen Ausgabe: Papa sein, Mama sein bleibt unscharf. Der Untertitel „Eltern sind Botschafter Gottes“ trifft es da schon besser. Mit einem besser übersetzten Titel würden sich für die Gestaltung des Covers noch ganz andere Möglichkeiten ergeben als die jetzt vorliegende, sehr klassische, Variante.

Im Großen und Ganzen liest sich das Buch leicht und ist daher uneingeschränkt empfehlenswert für Eltern in jeder Lebensphase – es ist ein Grundlagenbuch, das entweder das Fundament legt oder Eltern neu ausrichtet, bevor man zu den „sonst üblichen praktischen Tipps“ übergeht.

Buch

Paul D. Tripp, Papa sein, Mama sein. Eltern sind Botschafter Gottes, Bielefeld: CLV, 2020, 256 S., 12,90 Euro.