Bibellesen in Zweierschaften

Buchauszug von David Helm
30. November 2020 — 10 Min Lesedauer

Leute, die du kennst

Vermutlich kennst du eine Person, möglicherweise einen Kollegen, der alles andere als ein Kirchgänger ist.

Nennen wir ihn Andrew. Vielleicht hast du mit ihm schon über Religion geredet, vielleicht auch nicht. Du bist dir ziemlich sicher, dass er kein Christ ist. Nichtsdestotrotz ist er neugierig, was deinen Glauben angeht. Er scheint zudem ein paar falsche Auffassungen bezüglich der Bibel zu haben. Bisher hattest du noch keine Zeit oder nicht die richtige Gelegenheit, um mit ihm ins Gespräch über seine Fragen zu kommen.

Du kennst ebenso eine junge Frau aus der Gemeinde. Nennen wir sie Norah. Sie ist Anfang zwanzig und nimmt seit kurzem an deinem Bibelkreis teil. Sie scheint noch eine sehr junge Christin zu sein und weiß noch nicht viel über die Bibel, ist aber sehr motiviert, mehr zu erfahren.

Wahrscheinlich kennst du noch ein paar mehr Leute aus der Gemeinde – vielleicht einen jungen Mann, der sehr sympathisch und total engagiert im Glauben ist. Nennen wir ihn Julius. Gemeinsam mit seiner Frau dient er einen Sonntag pro Monat in der Kleinkinderbetreuung. Eine ganze Reihe von Leuten hält viel von ihm und seine Anregungen werden sehr geschätzt, aber er ist kein geborener Leiter.

Dies sind drei gewöhnliche Personen, die den Personen in deinem Umfeld vermutlich sehr ähneln. Jeder von ihnen hat ein anderes Bild von Jesus Christus und vom christlichen Glauben.

Stellen wir uns nun folgende Situation vor: Du wirst beauftragt, einen Plan für das geistliche Wachstum und die Jüngerschaft von diesen drei Personen (oder Personen in ähnlichen Situationen) zu entwickeln. Was für eine Aufgabe! Womit beginnen? Vielleicht könntest du Andrew zur nächsten evangelistischen Veranstaltung einladen, die eure Gemeinde anbietet. Erledigt. Und ist da nicht ein Jüngerschaftsprogramm, das gerade läuft und passend für Norah sein könnte? Erledigt. Bleibt nur noch Julius. Was wirst du mit ihm tun? Allem Anschein nach kommt er ziemlich gut alleine klar. Vielleicht könnte ihn eine Interessengruppe aus der Gemeinde ansprechen? Erledigt.

Wenn dir diese Sorte von Ideen für Wachstum in den Sinn gekommen ist, möchte ich dir sagen, dass du nicht allein bist. Schließlich wurden wir über Generationen hinweg dazu angeregt, über geistliches Wachstum im Sinne von Veranstaltungen, zu denen man geht, Programmen, für die man sich anmeldet, und Kursen, an denen man teilnimmt, nachzudenken. Die Gemeinde setzt ihre kreative Energie oft dafür ein, Veranstaltungen, Programme und Kurse ins Leben zu rufen, die darauf abzielen, Menschen für Christus zu gewinnen und ihnen im Glaubenswachstum zu helfen.

Aber so erfolgreich einige dieser Vorhaben auch sind, es fehlt uns immer noch an etwas Lebensnäherem – etwas Direkterem, angepasst auf die heutige Zeit – wodurch evangeliumsgemäßes Wachstum in unsere alltägliche Lebenswelt mit ihren persönlichen Beziehungen zurückgebracht wird, statt auf gemeindeorganisierte Programme angewiesen zu sein.

Stell dir vor, es gäbe eine Möglichkeit, wie Andrew, Norah und Julius alle auf die gleiche Weise in ihrer Erkenntnis des Herrn Jesus Christus wachsen könnten. Sie könnten auf tiefere und sinnvollere Weise begleitet werden als durch eine Veranstaltung, ein Programm oder einen Kurs. Sie könnten persönlich durch jemanden begleitet werden, der sich für sie interessiert.

Wie sieht diese Möglichkeit aus? Worin besteht diese Aktivität, die so einfach und allumfassend ist, dass sie sogar drei derart unterschiedlichen Personen hilft, in der Jüngerschaft zu wachsen?

Wir nennen es Bibellesen in Zweierschaften. Aber was genau ist das? Warum sollten wir es tun? Für wen ist es geeignet?

Warum in Zweierschaften lesen?

In Zweierschaften zu lesen ist eine Möglichkeit, etwas zu tun, was im christlichen Leben sehr zentral ist – Bibellesen –, nur dass es gemeinsam mit einer anderen Person geschieht. Man trifft sich als Christ mit einer anderen Person regelmäßig und für einen gemeinsam festgelegten Zeitraum mit der Absicht, ein ganzes Bibelbuch oder einen Teil davon zu lesen und zu besprechen.1

In dem Buch Das Spalier und der Weinstock träumen die Autoren von dieser Idee:

Stellen Sie sich vor, alle Christen würden sich als ganz normalen Bestandteil ihrer Jüngerschaft in einem Netz regelmäßigen Bibellesens engagieren – also das Wort Gottes nicht nur für sich selbst studieren, sondern es auch ihren Kindern vor dem Schlafengehen vorlesen, es mit ihrem Ehepartner beim Frühstück lesen, es mit einem nicht gläubigen Kollegen am Arbeitsplatz einmal pro Woche beim Mittagessen lesen, es in der Nacharbeit mit einem Neubekehrten alle zwei Wochen zur gegenseitigen Ermutigung lesen und es mit einem im Glauben reifen Freund einmal pro Monat zur gegenseitigen Ermutigung lesen. Das wäre ein lebendiges Netz von persönlichen Beziehungen, Gebet und Bibellesen – mehr eine Bewegung als ein Programm –, aber auf einer anderen Ebene wäre es überaus einfach und für jeden leicht umsetzbar. Was für ein begeisternder Gedanke!2

Diese einfache Idee könnte ein evangeliumsgemäßes Wachstum tiefgehend beeinflussen – nicht nur in deinem eigenen Leben, sondern auch im Leben deiner Familienmitglieder und ebenso deiner Freunde.

Beim Bibellesen in Zweierschaften gibt es insbesondere vier konkrete Vorteile:

1. Erlösung

„Aus diesen Versen ist ersichtlich, dass Bibellesen nicht nur für Christen, sondern auch für Nichtchristen ungeheuer wichtig ist.“
 

Weiter oben haben wir uns einen Kollegen namens Andrew vorgestellt. Andrew ist kein Christ, aber er ist neugierig, was deinen Glauben und gelegentlich auch, was die Botschaft des Evangeliums betrifft. In deiner Situation ist Andrew vielleicht jemand auf der Arbeit, ein Freund oder ein Familienmitglied. Das Buch Jakobus sagt uns, dass Gottes Wort „die Kraft hat, eure Seelen zu erretten”.3 Jemand kann unmöglich wissen, wie Vergebung für Sünden erlangt wird und wie die Annahme durch Gott geschieht, wenn nicht durch Gottes Wort über Jesus, das er an uns gerichtet hat. Der Apostel Petrus bringt in einem seiner Briefe das gleiche Argument an: „denn ihr seid wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, durch das lebendige Wort Gottes, das in Ewigkeit bleibt”.4 Aus diesen Versen ist ersichtlich, dass Bibellesen nicht nur für Christen, sondern auch für Nichtchristen ungeheuer wichtig ist.

2. Heiligung

Christen sind ebenso dazu berufen, einander zu ermutigen und einander zu erbauen.5 Sie sind dazu berufen, sich gegenseitig zu unterweisen, einander die Wahrheit zuzusprechen, sich untereinander mit der Weisheit der Worte Jesu zu lehren und zu ermahnen, und sich gegenseitig zur Liebe und zu guten Werken anzustiften.6 In seinem ersten Brief erklärt Petrus, dass das Wort, das uns rettet, das gleiche Wort ist, das uns in unserem Glauben stärkt. Er schreibt: „und seid (…) begierig nach der unverfälschten Milch des Wortes, damit ihr durch sie heranwachst”.7 An anderer Stelle beschreibt der Apostel Paulus den Nutzen und die Vielseitigkeit der Bibel, wenn er erklärt, dass diese „nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit”8 ist. Christen sind dazu berufen, als Christen zusammenzuleben, die Menschen um sie herum zu lieben und Gottes Wahrheit an sie weiterzugeben. Denke an Norah und andere in der gleichen Situation. Was braucht sie wirklich, um in ihrem neugefundenen Glauben zu wachsen? Ist es nicht das Studium von Gottes Wort? Verspricht uns die Bibel nicht, dass Gott sein Wort gebrauchen wird, um uns zu lehren, wie wir Jesus nachfolgen sollen? Die Bibel in Zweierschaften zu lesen bietet eine hervorragende Möglichkeit für Christen, sich gegenseitig zu stärken und auf dem Weg der Heiligung voranzugehen.

3. Ausbildung

Das Lesen in Zweierschaften kann eingesetzt werden, um Leute herauszufiltern und auszubilden, die größere Verantwortung im Dienst übernehmen können. Anders gesagt: Für jemanden wie Julius ist das der perfekte Plan. Die meisten Gemeinden sind voll von Leuten, die Jesus lieben und sich auf alle mögliche Weise einbringen. In Wirklichkeit warten sie auf jemanden, der in sie investiert, um besser für die Arbeit am Evangelium ausgerüstet zu sein. Stell dir vor, was Leute wie Julius alles für Christus erreichen könnten, wenn sie jemand für den Dienst am Wort ausbilden würde. Vergiss nicht, dass Jesus seinen Dienst auf die Unterweisung seiner zwölf Jünger konzentriert hat und unter diesen noch konkreter auf drei: Petrus, Johannes und Jakobus. Die Botschaft von Jesus breitet sich heute genauso aus wie damals. In nur ein paar Leute zu investieren, scheint nicht die effizienteste Verwendung von Zeit zu sein, doch das Evangelium von Christus hat sich durch nur wenige Leute bis an alle Enden der Welt ausgebreitet und dazu geführt, dass sich Menschen aus allen Nationen zu seinem Königtum zusammengeschlossen haben – ganz zu schweigen von der Umgestaltung von Kulturen, der Festlegung von Gesetzen, der Gründung von Universitäten und Krankenhäusern, der Inspiration von Musikern und Malern wie auch dem Einsatz unter Armen und Ausgestoßenen.

4. Beziehung

„Das Bibellesen in Zweierschaften bietet den Anreiz, wahre Freundschaften zu entwickeln – Beziehungen mit mehr Vertrautheit und Tiefgang.“
 

Die persönliche Art des Bibellesens in Zweierschaften ist ein weiterer Grund, warum jeder Christ es erwägen sollte, diese Idee aufzugreifen. In unserer Zeit sehnen sich Menschen nach Beziehungen mit Tiefgang. Freundschaft ist zu einem Tätigkeitswort geworden. Wir „freunden” uns mit flüchtigen Bekannten über einen Mausklick an. Das Bibellesen in Zweierschaften bietet den Anreiz, wahre Freundschaften zu entwickeln – Beziehungen mit mehr Vertrautheit und Tiefgang. Es ist genau dieser persönliche Aspekt, der viele Menschen anzieht. Ed Stetzer verweist auf die folgende interessante Beobachtung einer Umfrage:

„Wir haben über tausend kirchenferne Leute befragt (davon 900 amerikanische und 100 kanadische) und haben diese mit einer Auswahl von 500 älteren Kirchenfernen (die 30 oder älter sind) verglichen. ...
Eine der Fragen, bei der wir sie baten zuzustimmen oder nicht zuzustimmen, war: „Ich wäre bereit, die Bibel zu studieren, falls es mir ein Freund vorschlagen würde.” Von den 20- bis 29-Jährigen antworteten 61 Prozent mit „Ja”. Von den Befragten der darüberliegenden Altersgruppe, die 30 und älter waren, sagten nur 42 Prozent „Ja”. Dieser beträchtliche statistische Unterschied zeigte uns auf, dass hier etwas dahinter steckt und eine Offenheit vorhanden ist. Deshalb betrachten wir es als Gelegenheit, dass inmitten mancher negativen Sicht auf die Kirche auch eine gewisse Offenheit im Hinblick auf Gott existiert.“9

Warum die Bibel also in einer Zweierschaft mit einer anderen Person lesen? Wir tun dies, weil wir überzeugt sind, dass in Gottes Wort Kraft liegt. Wenn Menschen Gottes Wort ausgesetzt sind, finden sie Erlösung in Christus, werden im Glauben geheiligt, werden für einen wirksamen Dienst ausgebildet und finden Gemeinschaft in einem Netz von Beziehungen, die nicht zu vergleichen sind mit denen, die die Welt bietet.

Buchempfehlung

David Helm, One-to-One Bible Reading: A Simple Guide for Every Christian, Youngstown: Matthias Media 2010, 10,95 €.


Fußnoten

1 Die Idee von dieser Art des Bibellesens in Zweierschaften gibt es nicht nur bei uns und in unserer Gemeinde. Das erste Mal sind wir in den 90-er Jahren darauf gestoßen, als es bei Carrie Sandom und dem Team der Round Church in Saint Andrew the Great (Cambridge, England) eingesetzt wurde. Wir wissen auch, dass ähnliche Versionen dieser Idee mit großem Erfolg in einigen anderen Gemeinden in England und Australien verwendet werden. Auch wenn diese Idee normalerweise in Zweierschaften angewendet wird, spricht nichts dagegen, sie auch in Dreier- oder Viererschaften zu gebrauchen.

2 Colin Marshall, Tony Payne, Das Spalier und der Weinstock: Umdenken, damit die Gemeinde geistliches Wachstum hervorbringt, Augustdorf: Betanien, 2. Aufl. 2019, S. 62–63.

3 Jakobus 1,21.

4 1. Petrus 1,23; siehe auch Römer 10,10–14.

5 1. Thessalonicher 5,11; Hebräer 3,13; Epheser 4,29.

6 Römer 15,14; Epheser 4,15; Kolosser 3,16; Hebräer 10,24.

7 1. Petrus 2,2.

8 2. Timotheus 3,16.

9 Ed Stetzer, „How Unbelievers View the Church“, im Radioprogramm: The Albert Mohler Program, 30. Juli 2009. Mehr Infos diesbezüglich in Stetzers Buch (mit Rich Stanley und Jason Hayes): Lost and Found: The Younger Unchurched and the Churches that Reach Them, Nashville: B&H Publishing Group, 2009.