Nicht nur in der Jugendarbeit ein Problem: Moralistisch-therapeutischer Deismus
Der folgende Artikel beruht auf einer Studie, die in den USA durchgeführt wurde und daher die US-amerikanische Situation beschreibt. Die Beobachtungen sind aber auch diesseits des Atlantiks einen Blick wert.
Wenn in der Jugendarbeit „die Bibel gelehrt wird“, bedeutet das noch lange nicht, dass das Evangelium gelehrt wird. Denn das Evangelium wird häufig mit Moralismus verwechselt – ein guter Mensch zu sein, die Bibel zu lesen oder älteren Leuten die Tür aufzuhalten, um sich auf diese Weise Gottes Gunst zu verdienen. Dabei ist das Evangelium etwas ganz anderes.
Wir haben es hier mit einem Problem zu tun, das sich durch die gesamte Jugendarbeits-Landschaft zieht. Und das nicht deswegen, weil die Teenager und Jugendleiter falsch verstanden hätten, was ihre Gemeinden als historisch-konfessionelles, evangeliums-zentriertes Christsein lehren. Wir haben dieses Problem in der Jugendarbeit dort, wo die amerikanischen Gemeinden nicht den gekreuzigten Christus gepredigt haben, sondern einem pragmatischen, auf Unterhaltung und Besucherzahlen ausgerichteten Ansatz des Gemeindewachstums folgten.
Den Soziologen Christian Smith und Melinda Lundquist Denton zufolge glaubt die Mehrzahl der amerikanischen Teenager an etwas, das man als „Moralistisch-therapeutischen Deismus“ (MTD) bezeichnen kann1. In dieser MTD-„Religion“ wird Gott als kosmischer Therapeut und himmlischer Butler betrachtet, der bereitsteht, um uns bei Bedarf zu helfen. Er existiert, ist aber nicht wirklich Teil unseres Lebens. Wir sollen ein „guter Mensch“ sein, aber jeder muss für sich selbst herausfinden, was für ihn richtig ist. Gute Menschen kommen in den Himmel, und wir sollten uns nicht durch organisierte Religion einengen lassen, in der uns irgendwer erzählt, was wir tun oder glauben sollen.2
Moralistisch-therapeutischer Deismus ist keine Religion wie der Islam oder der Buddhismus, sondern dieser Glaube der amerikanischen Jugendlichen ist eher so etwas wie ein Schmelztiegel. Die historischen Unterschiede zwischen den Denominationen (wie den Baptisten, Presbyterianern und Methodisten) sind für die Teens nicht so wichtig, denn sie betrachten den christlichen Glauben lediglich als einen Aspekt ihres Lebens – wie jeden anderen auch, sei es Sport, Freunde, Schule oder Familie. Als „Prediger“ fungiert die amerikanische Anspruchshaltung, und diese verkündigt eine ich-zentrierte Botschaft über einen fernen, therapeutisch wirkenden Gott, der möchte, dass Teenager sowohl gute Menschen als auch glücklich sind.
Eine Alternative zum Entertainment
Eines Morgens saß ich mit einem Vater in einem Waffelhaus beim Frühstück und unterhielt mich mit ihm über seinen Sohn, den er beim Ansehen von Pornographie erwischt hatte. Diese Familie war erst vor Kurzem aus einer nahegelegenen Gemeinde zu uns gekommen. Jene Gemeinde überschlug sich damit, die spektakulärste Show zu inszenieren, die eine Gemeinde überhaupt nur bieten kann – einschließlich Nebelmaschinen, Stroboskop-Lichteffekten und Profi-Musikern, die zu Lady-Gaga-Songs christliche Texte schreiben. Inmitten der sich gegenseitig überbietenden DJs war diese Familie am Verhungern gewesen, weil das Brot des Lebens fehlte. Doch obwohl von dem endlosen Entertainment ausgelaugt, kannten sie keine Alternative.
„Ich denke, ihr solltet einfach mehr Spiele machen“, sagte der Vater über eine siruptriefende Waffel hinweg zu mir. „Wenn ihr das spielerischer aufziehen würdet und mit witzigen Anspielen, dann wäre mein Sohn in der Gemeinde gewesen und hätte sich nicht dieses Porno-Zeug angesehen.“ Ich war bestürzt. Dieser Mann hatte eben erst eine Gemeinde wegen zu viel Unterhaltungsprogramm verlassen – und wollte das nun wiederhaben. In diesem Moment wurde mir klar, dass MTD nicht nur ein Problem der amerikanischen Jugendkultur ist, sondern ein Problem der amerikanischen Gemeindekultur. Der beträchtliche Einfluss einer Spielart des amerikanischen Christentums, in der Erfolg wichtiger als Treue ist, hat verheerende Auswirkungen auf die Jugendarbeit.
Kenda Creasy Dean legt in ihrem Buch „Almost Christian: What the Faith of Our Teenagers is Telling the American Church" dar, dass amerikanische Teenager nicht deswegen auf den Moralistisch-therapeutischen Deismus verfallen sind, weil sie die Lehre ihrer Gemeinden missverstanden hätten – sondern weil es exakt das ist, was in den Gemeinden gelehrt wurde. Sie schreibt:
„Moralistisch-therapeutischer Deismus hat nur wenig mit Gott zu tun oder dem Bewusstsein einer göttlichen Sendung in die Welt. Er bietet Trost, stärkt das Selbstwertgefühl, hilft Probleme zu lösen und verbessert zwischenmenschliche Beziehungen, indem er Menschen ermutigt, Gutes zu tun, sich gut zu fühlen und Gott auf Distanz zu halten.“3
Wenn man dieser Selbsthilfe-Theologie noch eine „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“-Predigt von TBN (Anm. d. Red.: TBN ist das weltweit größte religiöse Fernsehnetzwerk) hinzufügt, haben wir die Jugendlichen so weit, dass sie singen: „God Is Watching Us from a Distance“ (Anm. d. Red: Gott sieht uns aus der Ferne zu, ein in den USA gängiges Lied). Und zugleich fragen sie sich, warum Jesus die Ehe ihrer Eltern nicht in Ordnung bringt und auch ihr eigenes Problem mit dem Ritzen nicht löst.
„Der Moralistisch-therapeutische Deismus ist nicht nur ein Problem der Jugendarbeit; er ist ein Problem der Gemeinde.“
Der Moralistisch-therapeutische Deismus ist nicht nur ein Problem der Jugendarbeit; er ist ein Problem der Gemeinde. Und die amerikanische Christenheit ist ein „großzügiger Gastgeber“ dieser unverbindlichen, unterhaltungsorientierten Art der Jugendarbeit geworden.
Im Widerspruch zum Evangelium
Man muss sich die Bedeutung dieser drei Begriffe bewusst machen: Moralistisch-therapeutischer Deismus. Sie stehen in jeglicher Hinsicht im Gegensatz zum Evangelium von Jesus Christus. Wir werden nicht gerettet, indem wir uns auf der Leiter der guten Werke nach und nach unseren Weg nach oben verdienen. Gott ist auch kein himmlischer Flaschengeist, der auf Kommando Wünsche erfüllt. Er ist kein distanzierter „Uhrmacher“, der sich zurücklehnt, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln werden. Sondern er ist Immanuel in Person, der Mensch wurde, um seine Braut zu suchen und zu retten. Das Evangelium besagt, dass Jesus durch sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung alles für dich vollbracht hat, was Gott von dir gefordert hatte; und dass er so das ewige Leben für alle, die zu Gott gehören, erworben hat, und dass man es allein aus Glauben bekommt.
An dieser Stelle tritt dann die Bedeutung von Methoden in den Vordergrund, die (unglücklicherweise) oft als unabhängig von der Theologie gesehen werden. Obwohl eigentlich unsere Theologie des Evangeliums unsere Methoden formen sollte, wurde in amerikanischen Gemeinden – in beträchtlichem Ausmaß – das Gegenteil praktiziert. Die Frage, mit der viele Jugendleiter ringen, lautet: „Wie können wir gelangweilte Teenager in die Gemeinde bekommen?“ Aber die Frage sollte sein: „Wie können wir das Evangelium von Jesus Christus treu pflanzen und begießen, zu seiner Ehre und zu unserer Freude in ihm?“
Jugendarbeit in der Gemeinde hat sich allzu oft in den direkten Wettstreit mit der Welt begeben, um Jugendliche mit allen nur denkbaren Gags und Werbemitteln zu umgarnen und anzuziehen. Kürzlich hat eine große Gemeinde im Großraum Atlanta an die ersten 100 Jugendlichen, die zu einem Übernachtungs-Event kamen, iPods verschenkt! Aber ist das wirklich die Methode, die Gott uns gegeben hat, um junge Leute in eine tiefere, reichere, bedeutungsvollere Beziehung mit Christus zu bringen?
Es gibt Hoffnung
Dennoch gibt es Hoffnung, denn Jesus wird seine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Es gibt Hoffnung, denn Gott ist dafür zuständig, Jugendliche durch den Dienst des Wortes, durch Gebet und die Sakramente zu retten und zu heiligen. Gott hat uns Gnadenmittel gegeben – nicht nur, um eigenen Gewinn aus ihrem Inhalt und ihrer Anwendung zu ernten – sondern auch als Art und Weise, wie wir das Evangelium pflanzen und begießen können und dabei auf Gott vertrauen, dass er für das Wachstum sorgen wird. Wie junge Männer und Frauen in die Gemeinde gezogen werden, sollte von diesen Gnadenmitteln geprägt sein – die jungen Leute, die längst desillusioniert sind über die Werbegags und den Nebel einer unterhaltungsorientierten Welt mit leeren Vergnügungen.
„Das gefühlte ‚Hoch‘ der ich-zentrierten Erlebnisse und des ausufernden Konsums kann der rastlosen Seele keine Ruhe schenken, weil das Pendel zurückschwingt.“
Der christliche Apologet Ravi Zacharias hat gesagt: „Der einsamste Moment deines Lebens ist dann, wenn du gerade eben das Ultimative erlebt hast und es dich enttäuscht hat.“ Das gefühlte „Hoch“ der ich-zentrierten Erlebnisse und des ausufernden Konsums kann der rastlosen Seele keine Ruhe schenken, weil das Pendel zurückschwingt. Nur das Evangelium von Jesus Christus kann einen verlorenen Sohn vom Schweinetrog wegrufen und sein hungriges Herz satt machen.
Moralistisch-therapeutischer Deismus bleibt ein Problem in der Jugendarbeit, weil er ein Problem in den amerikanischen Gemeinden bleibt. Durch ihn verändert sich die Methode des Dienstes weg vom Evangelium hin zum Werbegag. Der englische Puritaner John Flavel verweist auf Gottes weitaus besseren Plan:
„Die Absicht hinter dem Handeln des Erlösers war nicht, seinem Volk Reichtümer, Behaglichkeit und irdische Vergnügungen zu erwerben; sondern ihre Begierden abzutöten, ihre Natur zu heilen und ihre Neigungen geistlich zu machen; und sie auf diese Weise mit Gottes Ziel in der Ewigkeit in Einklang zu bringen.“4
1 Christian Smith, Melinda Lundquist Denton, Soul Searching: The Religious and Spiritual Lives of American Teenagers, New York: Oxford University Press, 2009, S. 163.
2 Ebd., S. 163–171.
3 Kenda Creasy Dean, Almost Christian: What the Faith of Our Teenagers Is Telling the American Church, New York: Oxford University Press, 2010, S. 29.
4 John Flavel, The Works of John Flavel, 6 Bde., Edinburgh: The Banner of Truth Trust, 1968, Bd. 6: S. 84.