Warum fällt mir das Bibellesen zurzeit so schwer?
Seit März hatte ich Probleme damit, an meiner täglichen Gewohnheit des Bibellesens und Betens dranzubleiben. An manchen Tagen wandte ich mich fröhlich dem nächsten Abschnitt zu, den mir mein Jahresleseplan vorgab (oder ich sagte Alexa, dass sie sie mir vorlesen sollte). An manchen Tagen habe ich mich durch die Kapitel des Tages durchgequält – einfach, weil ich weiß, dass es richtig ist. Aber an manchen Tagen habe ich es auch komplett ausgelassen. Laut einer neuen Umfrage bin ich damit nicht alleine.
„Wenn Menschen weniger mit der lokalen Gemeinde zu tun haben, beschäftigen sie sich auch weniger mit ihrer Bibel.“
Die „Barna Group“ und die „American Bible Society“ führten kürzlich eine Studie durch, die ergab, dass das tägliche Bibellesen unter Amerikanern während der Pandemie abgenommen hat. Demnach öffnen nur 8,5 Prozent der Bevölkerung täglich ihre Bibel, während es 2019 noch 13,7 Prozent waren. Möglicherweise hängt diese Abnahme z.T. mit geänderten zeitlichen Abläufen und mancher zusätzlichen Verantwortung zusammen, die durch das Virus auf den Menschen lastet. Aber die Zahlen lassen auch eine Beziehung zwischen kirchlicher Aktivität und privater Bibellese vermuten.
Wenn Menschen weniger mit der lokalen Gemeinde zu tun haben, beschäftigen sie sich auch weniger mit ihrer Bibel.
Wir sind jetzt alle im Niemandsland
Jahrelang haben uns prominente, progressive Stimmen erzählt, dass es möglich (und sogar besser) ist, einen lebendigen, persönlichen Glauben ohne Ortsgemeinde zu haben. Jetzt mussten wir alle, dank des Coronavirus, unser Glaubensleben in Distanz zur Kirche fortsetzen – und es läuft nicht gut.
Wegen der Versammlungsverbote oder -einschränkungen, wegen der begrenzten Möglichkeiten, sich zu besuchen, und wegen der Verlegung von Gebetsgruppen oder Hauskreisen auf Zoom haben wir einige Aspekte des Gemeindelebens verpasst. Und viele von uns haben auch verpasst, ihre eigene Bibel zu öffnen.
Ich bin keine Sozialwissenschaftlerin, aber nach lebenslanger Erfahrung mit Gemeinde (und nach Jahren, in denen ich darüber geschrieben habe, wie wir gemeinsam Glauben leben können) finde ich diese neuesten Studienergebnisse nicht überraschend. Um geistlich zu blühen, brauchen wir den Leib Christi.
Die Zentralität der Schrift
Während ich hier mein lückenhaftes Bibellesen der letzten Monate bekenne, fällt mir auf, dass das Problem nicht Zeitmangel, aufgehäufter Stress oder überaus große Müdigkeit ist. Von Zuhause aus zu arbeiten und drei Kinder beim Homeschooling zu beaufsichtigen, mag herausfordernd sein, aber es hält mich nicht davon ab, 3. Mose zu lesen. Mein wirkliches Problem ist etwas anderes, nämlich der Fakt, dass ich die Bibel nicht so sehr wertschätze, wie ich es sollte.
Die Bibel ist Gottes gutes Wort – unfehlbar, irrtumslos, maßgeblich, vollkommen – und ich sollte es verschlingen wie Honig und schätzen wie einen Haufen Goldmünzen. Aber auf mich selbst gestellt neige ich dazu, es wie jedes beliebige Buch zu betrachten: nett, aber nicht notwendig.
Gott sei Dank beruft der Herr uns nicht zu einem einsamen Glauben. Stattdessen setzt er uns mitten in die Gemeinschaft von Gläubigen. Woche für Woche betont die Anbetung mit der Gemeinde die Zentralität der Bibel für das christliche Leben. Zusammen hören wir, wie das Wort gelesen und gepredigt wird, wir singen das Wort, wir beten Gebete, die auf den Verheißungen des Wortes basieren, und in den Sakramenten empfangen wir das sichtbare und berührbare Wort.
In der Gemeinde hören wir Abschnitte, die wir nicht unbedingt alleine studieren würden (Stichwort: die kleinen Propheten?), aber wenn sie uns erklärt werden, entdecken wir, dass sie klar und nützlich für unsere Seele sind. Die Schrift in Gemeinschaft mit Gottes Volk zu studieren, regt unseren Appetit an für das große Fest, das uns jedes Mal erwartet, wenn wir selbst unsere Bibel öffnen. Wenn unsere private und familiäre Bibellese während der Woche ins Stocken geraten ist, erinnert uns der Sonntag daran, dass jeder Christ das Licht (Ps 119,105), die Nahrung (Mt 4,4) und die Weisheit (Ps 19,8) der Schrift braucht.
Die Wolke der Zeugen
Natürlich trägt regelmäßige, persönliche Bibellese selten sofort Früchte. Ich kann tagelang die Evangelien, wochenlang die Psalmen und monatelang die alttestamentlichen Geschichten durchforsten und keinen dramatischen Effekt in meinem Leben sehen. Deswegen benötige ich eine größere Perspektive.
Und wieder hilft der Herr durch die Gemeinde. Die Menschen aus unserer Versammlung bilden eine Wolke von Zeugen, die uns zeigen, wie groß die Kraft der Schrift durch das Wirken des Heiligen Geistes ist.
„Wenn ich mit Gemeindemitgliedern zusammen bin, beschäftige ich mich mit Menschen, die durch das Wort Gottes grundlegend verändert wurden.“
Einst hassten sie Gott, rebellierten gegen seine Gebote, spotteten über Christus und wollten nichts mit seinem Volk zu tun haben. Dann öffnete jemand die Bibel mit ihnen und nichts war mehr wie zuvor.
Von diesem – durch den Geist ermöglichten – Moment an wurde ihr Leben vom Wort Gottes geformt. Ihre Handlungen, Neigungen und Bedürfnisse basieren nicht mehr auf ihren eigenen bösen Lüsten, sondern auf Gottes erklärtem Willen. Sie streben danach, ihn so zu kennen und zu lieben, wie er sich in der Schrift offenbart. Sie streben danach, ihm zu gehorchen und zu gefallen, seinen Geboten entsprechend. Nach und nach, während sie über die Schrift nachdenken, werden sie mehr und mehr wie Christus. Ich kann nicht immer die lebensverändernde Kraft des Wortes in meinem Leben sehen, aber ich sehe sie deutlich in dem Glanz ihres Lebens.
Über viele Jahre und durch verschiedenste Umstände hindurch haben Menschen in unseren Gemeinden erlebt, dass die Bibel Trost im Leid, Hilfe in Not, Leitung in Unsicherheit und Hoffnung in Verzweiflung ist. Sie haben ihr Leben auf das, was die Bibel aussagt, gebaut, auch wenn es sie oft viel gekostet hat.
Letztendlich haben sie die Schrift nach ihm, den ihre Seele am meisten liebt, durchsucht. Und indem sie sich mit jeder Seite mehr an ihm erfreuen, ermutigen sie mich dazu, mich an meiner eigenen Bibel zu erfreuen.
In die Gemeinde gehen, um die Bibel zu lesen
Ringst du damit, deine Bibel zur Hand zu nehmen? Dann geh in die Gemeinde. Wenn du dich sicher und legal mit deiner Gemeinde versammeln kannst, dann tu es. Wenn du es nicht kannst, mache den Livestream zu deiner Priorität. Sitze gemeinsam mit dem Volk Gottes unter Gottes Wort. Bitte Gott, dir zu helfen, es zu empfangen, „nicht als Menschenwort [...], sondern als das, was es in Wahrheit ist, [...] Gottes Wort, das auch wirksam ist in euch, die ihr gläubig seid“ (1Thess 2,13).
Dann suche nach Wegen, zwischen den Sonntagen von Menschen geformt zu werden, die von der Schrift geformt wurden. Verbringe Zeit mit ihnen – draußen, mit Abstand, einen Mund-Nasen-Schutz tragend – egal, was es kostet. Achte darauf, wie Gott sie durch sein Wort erhalten hat. Bitte ihn, dich auch durch dieses zu erhalten.
Deine private Bibellese hängt mehr von anderen Menschen ab, als du wahrscheinlich denkst.