Wie man historische Erzählungen der Bibel (nicht) predigen sollte

Artikel von Sam Emadi
18. November 2020 — 18 Min Lesedauer

Ungefähr 40 Prozent des Alten Testamentes bestehen aus Geschichten, dennoch sind sie häufig wie ein Buch mit sieben Siegeln für viele Evangelikale und sogar Prediger.

Predigen wir über historische Erzählungen der Bibel, so muss hauptsächlich die Frage nach der Bedeutung dieser Ereignisse beantwortet werden. Und da die Geschichtsbücher der Bibel nicht mit theologisch exegetischen Fußnoten versehen sind, müssen wir herausarbeiten, wie die Bedeutung des Ereignisses bestimmt werden kann.

Im Folgenden werde ich Möglichkeiten erörtern, wie man historische Erzählungen aus der Bibel besser (nicht) predigen sollte, illustriert am Beispiel aus 1. Samuel 4–7 (die Schlacht bei Aphek, der Konflikt zwischen Dagon und Jahwe, die Schlacht bei Eben-Eser). Daher ist ein auffrischender Blick in die erwähnte Textstelle vorher durchaus empfehlenswert.

1. Erfinde nicht deine eigene Version der Geschichte

Predige den Text, nicht die historischen Hintergründe. Manchmal sind Prediger weit mehr von der historischen Rekonstruktion der in der Schrift beschriebenen Ereignisse fasziniert als von den tatsächlichen Worten der Bibel. Die Beschreibung der Landschaft von Aphek oder die Rekonstruktion der Angriffsroute der Philister mag vielleicht helfen den Text zu verstehen, trotzdem sollte der Text selbst im Vordergrund bleiben. Lass niemals zu, dass die historische Rekonstruktion die Geschichte, wie Gott sie erzählt hat, überwältigt.

2. Isoliere die Darstellung nicht aus dem Kontext

Die Grundregel des Auslegens lautet: Kontext, Kontext, Kontext. Bevor man gleich zu Jesus springt, ist es angebracht darüber nachzudenken, wie die Erzählung frühere Themen der Heiligen Schrift entwickelt, wie sie vorhergegangene Erzählungen widerspiegelt oder ein Verständnis von Personen und Motivationen voraussetzt.

So haben sich beispielsweise eine Reihe von Gelehrten über die Vorstellung lustig gemacht, dass Rahabs scharlachrote Schnur das Blut Christi vorahnen lässt. Sicherlich sind einige Prediger in einem Versuch der Verbindung mit ihrer Phantasie zu weit gegangen, aber die Beziehung zwischen Rahabs Schnur und dem Kreuz ist gar nicht mal so aus der Luft gegriffen, wenn man die Ereignisse um Josua im Licht bereits vorangegangener Erzählungen sieht. Jos 2 weist eine Reihe sprachlicher und thematischer Parallelen zu 2. Mose 12 auf, darunter auch die Tatsache, dass sowohl die scharlachrote Schnur im Fenster und das Passahblut am Türpfosten als „Zeichen“ der Befreiung Gottes bezeichnet werden (Ex 12,13; Jos 2,12). Diese Andeutungen, sowie eine Reihe anderer Merkmale in den frühen Kapiteln von Josua, laden den Leser ein, Rahabs Errettung als ein neues Passahfest zu sehen. Erstaunlicherweise rettet Gott in diesem Passahfest nicht das Volk aus Ägypten, sondern macht eine heidnische Prostituierte zum Mitglied des Volkes Gottes.1

Natürlich erzeugt nicht jedes Detail im Text immer gleich derart tief theologische Verbindungen. Dennoch wird es der Gemeinde helfen, die Logik und Dramatik der Erzählung nachzuvollziehen, wenn man eine Geschichte im Licht vorangegangener Erzählungen liest. Die ersten Verse in 1. Samuel 4 verdeutlichen das. Nachdem die Philister 4000 Israeliten auf dem Schlachtfeld niedermetzeln, bitten die Israeliten darum, dass sich die Bundeslade dem Militär an der Front anschließt (1Sam 4,3). Als aber die Bundeslade ankommt, offenbart der Erzähler ein wichtiges Detail: „Und die beiden Söhne Elis, Hophni und Pinehas, waren dort bei der Bundeslade Gottes“ (1Sam 4,4).

Das wäre das Stichwort für Unheil ankündigende Hintergrundmusik. Wenn wir die vorangegangene Geschichte aufmerksam verfolgt haben, wissen wir, dass die Anwesenheit von Hophni und Pinehas unheilvoll ist. Diese Söhne Elis sind Symbole für die Untreue Israels im Bund (1Sam 2,12–17), für das Versagen des Priestertums (1Sam 2,27–36) und für das bevorstehende Gericht des Herrn (1Sam 2,34). Hophni und Pinehas stehen für den Tod, während das, was Israel wirklich braucht, die Auferstehung ist.

3. Vergiss die Bündnisse nicht

Gelehrte merken gelegentlich an, dass sich die Erzähler des Alten Testaments häufig durch ihre Reserviertheit charakterisieren. Die Art und Weise, wie sie ihre Geschichte erzählen, ist mit anderen Worten häufig suggestiv und anspielungsreich. Sie durchbrechen nicht oft die vierte Wand und erläutern dem Leser „die Kernaussage“. Gelegentlich bricht der Erzähler mit einem erläuternden Kommentar die Erzählung, etwa mit dem unheilvollen Schluss der Geschichte von Davids Sünde mit Batseba: „Aber die Tat, die David verübt hatte, war böse in den Augen des HERRN“ (2Sam 11,27). Diese Fälle sind aber gerade deshalb bemerkenswert, weil sie die Ausnahme sind, nicht die Regel.

Wie können wir also „Gottes Perspektive“ auf die Bedeutung der in der Schrift festgehaltenen Ereignisse wissen, wenn uns die Autoren nichts verraten? Ganz einfach, wir lesen jede Geschichte im Licht der ganzen Schrift, insbesondere im Licht der Bündnisse. In den Bündnissen definiert Gott seine Beziehung zu seinem Volk durch Verheißungen, Gesetze, Segnungen und Warnungen. Die Bündnisse statten uns mit einem Repertoire an Erwartungen aus. Sie geben uns eine Interpretationslinse, mit der wir beurteilen können, was geschieht. Anders gesagt: Sie geben uns die göttliche Perspektive auf Israels Geschichte. Letztlich muss uns niemand erklären, dass Davids Handlungen mit Batseba böse sind, denn die Bündnisse berichten uns bereits so viel (Ex 20,14 und 17; Dtn 17,17). Die Tatsache, dass der Autor die Reaktion Gottes unterstreicht, signalisiert, dass Gott mit David mega unzufrieden ist.

Die Bündnisse offenbaren die Bedeutung des Ereignisses. Wenn Gott Potiphar wegen Josef segnet, erfüllt er seine Verheißung an Abraham, die Nationen zu segnen (Gen 12,3). Wenn Mose berichtet, dass Israel im Land Gosen „fruchtbar war und sich sehr vermehrte“ (Gen 47,27), dann stellt er nicht willkürlich hebräische Fruchtbarkeitsraten fest. Er erinnert an Adams Auftrag des Schöpfungsbundes (Gen 1,28) und an die Verheißung des abrahamitischen Bundes über die Nachkommen (Gen 12,2; 17,2). Die Schöpfungspläne, die mit Adam begannen, erfüllt Gott durch Israel. Wenn der Erzähler in 1Kön 4,26 die vielen Pferde Salomos aufzeichnet, zeigen uns frühere Unterweisungen im mosaischen Bund, dass Gott letztlich mit Salomos Handlung unzufrieden ist (Dtn 17,14–17), auch wenn Gottes Missfallen im unmittelbaren Zusammenhang nicht explizit erwähnt wird.

Wie also beeinflussen die Bündnisse unser Verständnis von 1 Sam 4? Israel lebt im Ungehorsam. Das Wort des Herrn ist selten (1Sam 3,1). Die Priester sind korrupt (1Sam 2,12–36). Die Bündnisse zeigen vor diesem Hintergrund ganz genau, was wir erwarten können. Wenn Israel ungehorsam ist, sendet Gott das Gericht durch ausländische Militärs (Gen 28,25–26). Israels Niederlage gegen die Philister ist kein unglücklicher Umstand, sondern das Gericht Gottes aufgrund ihrer Korruption. Der Herr verhängt Bundesflüche gegen die Nation. Natürlich wird in 1. Samuel 4 nirgends erwähnt, dass die Philister Gottes Werkzeug dieses Gerichts sind. Aber durch das Lesen im Licht der Bündnisse wird die Bedeutung dieses Ereignisses erkennbar. Darüber hinaus erweckt dasselbe Bündnis unsere Erwartungen für das, was folgen wird. Wenn Israel in seiner Bosheit fortfährt, wird es aus dem Land verbannt werden (Dtn 28,36).

4. Verpass nicht, was Gott tut

Eng verknüpft mit dem vorherigen Punkt stellt sich die Frage, wie Gott in der Geschichte handelt. Wir verfangen uns so leicht im menschlichen Drama, dass wir manchmal vergessen, was uns diese Geschichten über den Charakter Gottes und seine Pläne für die Welt zeigen. Nochmals: Die Bündnisse statten uns mit einem Rahmenverständnis von Gottes Handeln in der Heilsgeschichte aus, auch wenn die biblischen Autoren dies nicht explizit erwähnen.

„Häufig sind Prediger, die sich der christuszentrierten Auslegung der Schrift hingeben, nur auf der Jagd nach typologischen Mustern.“
 

Zum Beispiel zeigt uns Josuas Sieg im Kampf um Jericho etwas über Josuas unerschütterlichen Glauben. Die Geschichte zeigt uns aber darüber hinaus auch, dass Gott für sein Volk kämpft und seine Verheißungen erfüllt. Davids Sieg über Goliath ist wahrhaftig eine Geschichte des Glaubens und des Mutes. Sie ist aber darüber hinaus auch eine Geschichte davon, wie Gott die Schwachen der Welt benutzt, um die Weisen zu beschämen, und wie er seinem Volk den Sieg durch einen messianischen König schenkt.2

Zurück zu 1. Samuel und der Schlacht zu Aphek. Was passiert mit den Hauptfiguren des Buches (Hannah, Samuel, Eli) nach der Niederlage Israels? Sie verschwinden vollständig von der Bildfläche. Stattdessen fokalisiert der Autor die Bundeslade, ein stellvertretendes Symbol für Jahwe selbst (Ex 25,22). An dieser Stelle untergräbt der Erzähler die Erwartungen des Lesers. Wir würden annehmen, dass die Philister nun das Volk Israel ins Exil führen, doch Israel bleibt im Land. Stattdessen bringen die Philister die Bundeslade ins Exil und stellen sie wie eine besiegte, gedemütigte Gottheit in den Tempel des Dagon (1Sam 5,1–2).

Doch gerade im Exil und in dieser offensichtlichen Schwäche zeigt Jahwe seine Stärke. Er stürzt den Dagon und schneidet ihm die Hände ab. Nachdem er Dagon besiegt hat, sucht er Dagons Volk heim. Er zieht von Stadt zu Stadt und vernichtet die Philister vollständig. So erreicht er, was Israel nie erreichen konnte.

Die Geschichte ist eine Geschichte der Stellvertretung. Jahwe selbst erleidet stellvertretend Israels Bundesflüche. Eine Idee, auf die bereits in Gen 15,17 angespielt wurde. Jahwe wird an Israels Stelle ins Exil geschickt und besiegt dann aus einer Position absoluter Schwäche die Feinde Israels.

Predige Gottes Handeln in jeder einzelnen der alttestamentlichen Geschichten. Was Gott im Neuen Testament in Christus tut, wird im Alten Testament schon angedeutet (1Kor 15,3–4).

5. Ignoriere die literarischen Aspekte der Geschichte nicht

Die biblischen Autoren verwenden eine Reihe von literarischen Mitteln in der historischen Erzählung. Hier eine Auswahl:

  • Parallelismus: Abraham und Isaaks Begegnung mit Abimelech (Gen 20,26)
  • Rahmen: Die Verneigung der Brüder von Josef zu Beginn und Ende der Geschichte (Gen 37,6–8 und 50,18)
  • Kreativer Gebrauch von Zahlen: der fünffache „Fluch“ in Gen 1–11 im Gegensatz zum fünffachen „Segen“ in Gen 12,1–3
  • Eingebettete Geschichten: Judas Geschichte in Gen 38, eingebettet in die Josef-Geschichte (Gen 37.39–41)
  • Narrative Erzählmuster: Zyklus der Richter

Ein literarisches Merkmal der biblischen Erzählungen ist die mündliche Wiederholung. Die wiederholte Erwähnung der Hände in 1. Samuel 5 ist bemerkenswert. Jahwe haut die „Hände“ Dagons ab. Das ist ein Symbol für Stärke und Autorität (1Sam 5,4; vgl. auch Jes 14,27; 41,20; Apg 4,28). In den nächsten sieben Versen wird der Begriff „Hände“ vier Mal wiederholt. Der Fokus liegt dabei ganz auf der Stärke der Hände Jahwes: „Aber die Hand des HERRN lag schwer auf den Einwohnern von Aschdod“ (6,7,9,11)3. Diese verbale Wiederholung unterstreicht die Bedeutung des Ereignisses. Die Philister meinen, Dagon habe Oberhand, aber Jahwe demonstriert, dass Dagon überhaupt keine Hände mehr hat. Dagons Hände sind unwichtig, unfähig und zerstört. Die Hand des HERRN hingegen ist schwer, stark und wirkungsvoll.

6. Lass dir die Struktur nicht entgehen

Es ist nicht unbedingt notwendig die Struktur eines Bibeltextes auf einem Whiteboard für die Gemeinde zu skizzieren oder die eigene Predigt mit den Worten „Das ist ein Chiasmus“ zu würzen. In den meisten Fällen ist es nicht gerade eine weise homiletische Entscheidung, eine höchstkomplexe literarische Textstruktur an einem Sonntagmorgen direkt vor dem Mittagessen zu erörtern. Aber das Verständnis um eine gewisse Textstruktur kann dazu beitragen, die Bedeutung des Ereignisses zu entschlüsseln und der Gemeinde helfen, diese Bedeutung zu sehen.

Die Geschichten in 1. Samuel 4–7 sind tatsächlich Chiasmen.

A Schlacht von Aphek (Sieg der Philister), 4,1–11
     B Bundeslade erobert und ins Exil gebracht, 4,12–22
          C Bundeslade bei den Philistern (Plagen), 5,1–12
               D Rückkehr der Bundeslade, 6,1–18
          C’ Bundeslade in Beth-Schemesch (Plagen), 6, 19–21
     B’ Bundeslade in Kirjat-Jearim, 7,1–2
A’ Schlacht von Eben-Eser (Sieg der Israeliten), 7,3–174

Die Parallelen zwischen den entsprechenden Abschnitten können unser Verständnis der einzelnen Narrative erweitern. Betrachten wir etwa die Abschnitte C und C’: Als die israelitischen Priester die Bundeslade in Beth-Schemesch in Empfang nehmen, behandeln sie diese, genau wie zuvor die Philister, mit mangelndem Respekt. Daher auch ein vergleichbares Ergebnis: Gott richtet die Israeliten genauso wie er die Philister richtete (1Sam 6,19). Und genauso wie die Philister versuchten, die Bundeslade loszuwerden, tun es ihnen die Israeliten nach (1Sam 6,21). Selbst die Priester der Israeliten sind nicht besser als die Philister, denn sie spiegeln die umliegenden heidnischen Nationen wider. Kein Wunder also, dass Israel einen „König wie die anderen Nationen“ haben will, einen Mann, der sich selbst als billige Imitation eines Philisterriesen entpuppt5.

Ein weiteres Beispiel ist der A-Abschnitt. Ist es nicht auffällig wie die letzte Zeile die Ereignisse der ersten Zeile umkehrt? Wieder einmal haben sich die Philister und Israel in Aphek zum Krieg versammelt. Aber dieses Mal hat Israel aufrichtige Buße über seine Sünden getan. Sie haben ihre Götzen abgelegt und „nur dem HERRN gedient“ (1Sam 7,4). Das restliche Kapitel beschreibt den Sieg Israels über die Philister in einer Weise, die an den Sieg der Philister über Israel erinnert, diesen aber umkehrt.

„In Wahrheit liegt der Schlüssel zum Predigen jeglicher Schriftstelle darin, in die gesamte Schrift einzutauchen.“
 

Klingt das übertrieben? Folgende Details sollten helfen. In 1. Samuel 4 jauchzen und schreien die Israeliten (1Sam 4,5). Im Gegensatz dazu sind sie in der finalen Schlacht leise, „aber an jenem Tag donnerte der HERR mit gewaltiger Stimme…“ (1Sam 7,10). In der ersten Schlacht fürchten sich die Philister vor dem Jauchzen der Israeliten, aber schließlich gewannen sie an diesem Tag (1Sam 4,7). In 1. Samuel 7 fürchten die Israeliten die Philister, aber der Herr gibt ihnen den Sieg (1Sam 7,7). In 1. Samuel 4 wird ein Kind, das geboren ist, „Ikabod“ genannt. Dies bedeutet „die Herrlichkeit ist von Israel gewichen". In 1. Samuel 7 aber errichten die Israeliten einen Altar und nennen diesen „Eben-Eser“, was so viel bedeutet wie „Bis hierher hat der HERR uns geholfen“.

Der Vergleich dieser Parallelgeschichten offenbart etwas sehr Wichtiges: Israels Sieg beruht nicht auf militärischer Stärke, sondern auf der Anbetung Jahwes. Israel siegt nicht aufgrund einer besseren Armee, sondern weil sie von ihren Sünden Buße tun. Der Kraft des Fleisches führt ins Verderben, Buße führt zur Herrlichkeit.

7. Fürchte dich nicht, biblische Charaktere als positive und negative Beispiele darzustellen

Wie Jason Hood bereits in seinem Artikel demonstriert, lehrt die Schrift, dass biblische Figuren sowohl als positive als auch als negative Beispiele gepredigt werden sollen. Paulus schreibt, dass die Israeliten, die in der Wüste starben, „ein Vorbild für uns sind, damit wir nicht nach dem Bösen begierig werden, so wie jene begierig waren“ (1Kor 10,6).

Die Schlachten von Aphek und Eben-Eser sind randvoll mit negativen Beispielen. Sünder, mit denen wir uns leicht identifizieren. Die israelitischen Soldaten in 1. Samuel 4 sind abergläubisch und behandeln die Bundeslade wie einen Glücksbringer. Die Mitglieder in unseren Gemeinden mögen nicht unbedingt die Füße eines Glückskaninchens reiben, doch vielleicht schauen sie auf ihre Bankkonten oder anderen Besitz, um sich Glück zu versprechen. Die Priester in Beth-Schemesch sind hartnäckig und gleichgültig gegenüber Gottes Gesetz und werden daher von seiner Heiligkeit verzehrt. Zuhörer heutiger Gemeinden sollten dasselbe wissen: Wir dürfen Gottes Gesetz oder seine Heiligkeit nicht leichtfertig behandeln.

Andererseits sind die Geschichten auch voller positiver Beispiele. Heilige, denen wir nachahmen sollten. Samuel ist so ein Heiliger. Er ist ein Vorbild an Geduld und Treue im Dienst, gekennzeichnet durch das Sprechen von Gottes Wort (1Sam 4,1) und Gebet (1Sam 7,5). Obwohl er seinen Predigtdienst bereits in 1. Samuel 4,1 beginnt, werden doch Kennzeichen der Frucht seiner Mühsal erst über zwanzig Jahre später sichtbar (1Sam 7,2). Christen, die sich durch offensichtlichen Mangel an Früchten des Dienstes entmutigt fühlen, sollten folgendes nicht vergessen: Über 20 Jahre lang hat Samuel gearbeitet, nur um Israel dazu zu bringen, das erste Gebot zu befolgen (1Sam 7,4)!

8. Gehe nicht davon aus, dass es nur einen Weg gibt, zu Jesus zu gelangen

Häufig sind Prediger, die sich der christuszentrierten Auslegung der Schrift hingeben, nur auf der Jagd nach typologischen Mustern, während sie durch das Alte Testament predigen. Jedoch gibt es eine beträchtliche Anzahl an hermeneutisch legitimen Wegen zu Jesus. Besonders hilfreich sind da die sieben Vorschläge von Sidney Greidanus6:

  • Heilsgeschichtliche Entwicklung: Wie entwickelt diese Geschichte die Heilsgeschichte weiter, sodass sie schließlich in Jesus Christus zum Höhepunkt kommt.
  • Die Erfüllung von Verheißungen: Gibt es in diesem Text eine Verheißung, die durch Christus erfüllt wird?
  • Typologie: Gibt es ein göttlich orchestriertes Muster bzw. eine Verheißung oder eine Situation in der Geschichte, die die Person oder das Werk von Christus prophetisch vorwegnimmt?
  • Analogie: Gibt es irgendwelche Parallelen zwischen Gesetzen, Verheißungen oder Situationen, die in der Geschichte dargestellt werden, und Gesetzen, Verheißungen oder Situationen, denen wir uns als Volk des Neuen Bundes mit Gott befinden?
  • Der Rote Faden: Werden in diesem Text irgendwelche bedeutenden biblisch-theologischen Themen (etwa Tempel, Königtum, Priestertum usw.) entwickelt, die sich letztlich in Christus erfüllen?
  • Referenzen im Neuen Testament: Wird die Textpassage irgendwo im Neuen Testament zitiert?
  • Kontrast: Welche Aspekte dieses Textes stehen im Kontrast zur Person und zum Werk Christi oder zu den Herrlichkeiten des Neuen Bundes?

Anhand dieser sieben Kategorien eröffnen sich eine Reihe von Möglichkeiten 1. Samuel 4–7 im Licht Christi zu verstehen. Bereits erwähnt wurde hier, wie die Bundeslade ins Exil geht, um die Feinde Israels zu besiegen. Ein Typus bzw. ein Muster, das sich in Christus erfüllt. Prediger können aber auch auf anderen Wegen das Evangelium zeigen:

  • Heilsgeschichtliche Entwicklung: Die Geschichte, die in 1 Sam 4–7 beschrieben wird, markiert das Ende der Richter, „als es keinen König in Israel [gab]; jeder tat, was recht war in seinen Augen" (Ri 21,25). Israel braucht David. Sie brauchen einen König, der sie anleitet, Gottes Gesetz zu befolgen. Einen König, den wir jetzt in Christus haben.
  • Analogie: Israel reagierte auf die Worte Samuels mit Buße und Anbetung. Gott fordert von uns, auf dieselbe Weise auf sein Wort zu antworten.
  • Der Rote Faden: Im gesamten Alten Testament stellt sich Gott selbst als Herr der Heerscharen dar, der sein Volk rettet, in dem er über dessen Feinde richtet. Eine Eigenschaft, auf die bereits in Gen 3,15 angespielt wurde. Der Exodus aus Ägypten ist vielleicht das auffälligste Ereignis dieses Musters. Ein Muster, das den Philistern selbst bekannt ist (1Sam 4,8). Gott befreit Israel in 1. Samuel 4–7 von den Philistern, indem er stellvertretend für sie kämpft. Dieser Rote Faden – Gott als „Herr der Heerschaaren“ - findet seinen Höhepunkt in Christus: „als er so die Heerschaaren und Gewalten entwaffnet hatte, stellte er sie öffentlich an den Pranger und triumphierte über sie“ (Kol 2,15).
  • Kontrast: Die Priester Eli, Hophni und Pinehas sind böse. Sie haben versäumt, sich geistlich um ihre Nation zu kümmern. Israel ist von oben herab korrupt. In der Kirche gibt es jedoch einen treuen Hohepriester, der uns nie in die Sünde führt und der sich immer um sein Volk kümmert.

„Wohlbewandert im Gesetz Moses“

In Wahrheit liegt der Schlüssel zum Predigen jeglicher Schriftstelle darin, in die gesamte Schrift einzutauchen. Daher sollte es das Ziel eines jeden Predigers sein, Esra zu imitieren: „Und er war ein Schriftgelehrter, wohlbewandert im Gesetz Moses“ (Esr 7,6). Der Ausdruck wohlbewanderter Schriftgelehrter trägt die Konnotation, dass Esra „schnell in den Büchern“ war oder anders gesagt: Esra kannte seine Bibel.

Die historischen Erzählungen sind ein reicher, glaubensbelebender Teil der Bibel, der uns authentisch auf die Person und das Werk Christi hinweist. Es ist eine gewaltige Aufgabe, alttestamentliche Erzählungen zu predigen. Aber diese Geschichten erinnern daran, dass Gott seine Versprechen hält – selbst in Zeiten, in denen es scheint, als habe sein Wort versagt.


1 Für genauere Informationen zur Beziehung zwischen Jos 2 and Ex 12 siehe David Schrock, „What Designates a Valid Type? A Christotelic, Covenantal Proposal“, in: Southeastern Theological Review 5, Nr. 1 (2014): S. 3–26; Peter Leithart, „Passover and the Structure of Joshua 2“ in: Biblical Horizons 99 (November 1997).

2 Der Konflikt zwischen David und Goliath ist eine Miniatur-Wiederholung des Kampfes Jahwes gegen Dagon in 1 Sam 5. Sowohl Dagons als auch Goliaths Köpfe rollen. Dem Philister widerfährt dasselbe Schicksal wie seinem Gott.

3 Übrigens: Der Abschnitt der die Zerstörung Dagons beschreibt (1Sam 5,6–12) beginnt und endet mit „Die Hand des HERRN lag schwer auf…“ (V.6+12) und bildet somit eine Inklusio um die Textpassage.

4 Peter Leithart, A Son to Me: An Exposition of 1 &2 Samuel, Moscow, ID: Canon Press, 2003.

5 Saul ist genau das, wonach Israel gefragt hat, ein König „nach der Weise aller Heidenvölker“ (1Sam 8,5). Er ists nicht für seine Gottesfurcht oder seinen Charakter berühmt, sondern weil er so groß ist (1Sam 9,2). So wie Goliath und die Philister benutzt Saul einen Speer (1Sam 18,10). Einen Speer, den er gegen seine eigenen Leute richtet (1Sam 22,17-19).

6 Für genauere Informationen siehe Sidney Greidanus, Preaching Christ from the Old Testament: A Contemporary Hermeneutical Method, Grand Rapids: Eerdmans, 1999.