Warum es sich lohnt, 2. Chronik zu studieren

Artikel von Andrew Wilson
20. Oktober 2020 — 6 Min Lesedauer

2. Chronik ist das am meisten unterschätzte Buch der Bibel.

Dies liegt teilweise daran, dass sein Vorläufer nur schleppend anfängt. Die ausführliche Genealogie in 1. Chronik 1–9 ist für die meisten modernen Leser schlicht uninteressant, obwohl sie eine wesentliche Rolle im Gesamtprojekt des Autors spielt. Die abschließenden Kapitel des Ersten Chronikbuches widmen sich ebenso umfangreichen Ausführungen zu priesterlichen und musikalischen Zuständigkeiten, die, abgesehen von engagierten Theologen oder Lobpreisleitern, ebenfalls auf wenig Begeisterung beim Leser stoßen. Bis dieser dann bei 2. Chronik angekommen ist, betrachtet er den Chronisten bereits als einen spitzfindigen, mühsamen Erbsenzähler, der sich in den Details zu verlieren scheint.

Zum Teil wird 2. Chronik aber auch deshalb unterschätzt, weil es den Eindruck erweckt, der Inhalt von 1. und 2. Könige werde lediglich wiederholt. In den Könige-Büchern sind wenigstens Elia und Elisa noch in Aktion zu sehen, während in 2. Chronik selbst das (fast) vollständig entfällt. (Elia kommt kurz im 2. Buch der Chronik vor, aber es gibt weder den Berg Karmel, noch ein sanftes Säuseln, wundersame Mahlzeiten, gestohlene Weinberge oder feurige Wagen, die in den Himmel fahren). Das Tempelgebäude ist noch da, ebenso wie die Höhen und Tiefen der Könige, aber die Action-Helden wurden weggelassen. Ein abfälliger Leser könnte meinen, dass der Chronist versuche, uns das Leben schwer zu machen.

Eine ehrenwerte Geschichte

Wir sind jedoch nicht dazu berufen, abfällige Leser zu sein. Und wenn wir das 2. Buch der Chronik in seinem eigenen Bezugsrahmen lesen, stellen wir fest, dass trotz der fehlenden Ausrichtung auf Elia und Elisa - welche sich aus der fehlenden Ausrichtung auf das nördliche Königreich insgesamt ergibt - es in vieler Hinsicht das zielgerichtetste,

„Die Könige sind ausgeglichene, echte Personen, die Momente der Größe und Momente der Schwäche haben und die die Wichtigkeit von Demut, Weisheit, Gehorsam und Gebet lernen müssen.“
 

prophetischste, gebetsorientierteste und ehrenvollste Geschichtsbuch der Bibel ist. Es ist die Apostelgeschichte des Alten Testaments: die Geschichte wie Gottes Haus errichtet und vom Geist erfüllt wurde, wie sein Volk betete, anbetete, versagte, umkehrte, von seinen Feinden gefangen genommen und schließlich befreit wurde und wie Heiden kamen, um Gott anzubeten.

Es gibt Helden wie Petrus und Johannes (Salomo, Hiskia, Josia). Es gibt Übeltäter wie Herodes (Ahas, Amon). Es gibt einen treuen Gläubigen, der wie Stephanus gesteinigt wird (Sacharja). Es gibt einen Mann, der sich wie Paulus vom Übeltäter in einen Jünger verwandelt, sich von der Verfolgung des Volkes Gottes abwendet und ein Siegeszeichen der Gnade wird (Manasse).

Indem er Juda, das südliche Königreich, näher betrachtet, ist der Chronist imstande, die Könige genauer unter die Lupe zu nehmen und uns sowohl deren moralische Verflochtenheit als auch das, was wir von jedem einzelnen lernen können, aufzuzeigen. Könige wie Salomo, Rehabeam, Asa, Josaphat, Joas, Ussija, Hiskia und Josia werden ausführlich und detailliert beschrieben und ihre Persönlichkeitsentwicklung (ähnlich wie Figuren in einem Roman) aufgezeichnet. Wir nehmen wahr, wie sie denken, wie sie reden und (in meinem Lieblingsvers des Buches) wie sie beten:

Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern auf dich sind unsere Augen gerichtet! (2Chr 20,12)

Wir sehen gute Könige, die katastrophale Entscheidungen treffen, durchschnittliche Könige, die durch eine weise Antwort wieder rehabilitiert werden und schreckliche Könige, die umkehren und Vergebung finden. Diese Männer sind keine zweidimensionalen Zeichentrickfiguren, die als Platzhalter eingesetzt werden, um aufzuzeigen, dass Gottesanbetung gut und Götzendienst schlecht sei. Sie sind ausgeglichene, echte Personen, die Momente der Größe und Momente der Schwäche haben und die die Wichtigkeit von Demut, Weisheit, Gehorsam und Gebet lernen müssen.

Hilfreich für Pastoren

Der Autor interessiert sich ebenfalls für Priester und stellt diese auf eine Art und Weise dar, die sehr aufschlussreich für heutige Pastoren ist. Wenn wir bereits das Alte Testament gelesen haben, wissen wir, dass Priester für die Tieropfer zuständig sind - und da wir diese nicht

„Älteste können viel daraus lernen, wie Priester ihren Verpflichtungen nachgehen und was passiert, wenn sie dies nicht tun.“
 

mehr durchführen, weil Jesus das endgültige Opfer vollbracht hat, sind wir geneigt zu meinen, dass Priester uns nicht viel über Führung lehren könnten. Doch wenn wir 1. und 2. Chronik lesen, erkennen wir, dass die Priester neben der Opferung von Tieren ebenfalls als Anbeter und Türhüter betrachtet werden. (2Chr 31,2 fasst folgende drei Rollen zusammen: „Brandopfer und Friedensopfer darzubringen, zu dienen, zu danken und zu loben in den Toren des Lagers des HERRN”).

Priester führen die Leute geistlich an, indem sie sie durch Musik, Lieder, Lobpreis und Gebet in die Anbetung führen. Und sie hüten Gottes Gegenwart als Türhüter, indem sie unbefugte Personen, davon abhalten, ins Heiligtum einzutreten, sei es um Opfer darzubringen (wie Ussija) oder um das Gold zu entwenden, um die Feinde damit zu bestechen (wie Ahas). Älteste können viel daraus lernen, wie Priester ihren Verpflichtungen nachgehen und was passiert, wenn sie dies nicht tun.

Die Rolle von Propheten und Prophetie

Doch der größte Beitrag von 2. Chronik ist für mich, die Art und Weise, wie die Rolle der Propheten und der Prophetie hervorgehoben ist. Während die Propheten in 1. und 2. Könige in erster Linie handeln, lehren diese in den Chroniken mit viel Anwendung sowohl für die damaligen als auch für die heutigen Leser. Schemaja konzentriert sich auf Demut (Kapitel 12). Asarja unterstreicht die Verbindung zwischen Gott verlassen und von ihm verlassen sein (Kapitel 15). Hanani erklärt die Verbindung zwischen Frieden (shalom) und der Tatsache, ein „ungeteiltes” Herz zu haben (shalem):

Denn die Augen des HERRN durchstreifen die ganze Erde, um sich mächtig zu erweisen an denen, deren Herz ungeteilt auf ihn gerichtet ist. Du hast hierin töricht gehandelt; darum wirst du von nun an Krieg haben! (2Chr 16,9)

Micha warnt Josaphat, dass sich Israel wie Schafe ohne Hirten zerstreuen würde, wenn sich dieser mit Ahab zusammen tun würde (Kapitel 18). Jehu verkündigt Gericht über jene, „die lieben, welche den HERRN hassen” (2Chr 19,2). Jehasiel erinnert Juda daran, dass „nicht eure, sondern Gottes Sache ist der Kampf… Aber es ist nicht an euch, dort zu kämpfen. Tretet nur hin und bleibt stehen und seht die Rettung des HERRN, der mit euch ist” (2Chr 20,15—17)! Wir könnten gerade so weitermachen mit Sacharja, Oded, Hulda und vielen anderen.

Voller Schätze

Das Zweite Chronikbuch ist voller Schätze. Wir könnten über die beiden Abijas reden, den männlichen und die weibliche, die das Thema des Buches verkörpern. Wir könnten uns die fünf Asarjas näher anschauen – ein Prophet, zwei Priester, ein König und ein Oberpriester – die dieses auf ganz unterschiedliche Weise darstellen.

In den gewandten Händen des Chronisten bekräftigen all diese Propheten, Priester, Könige und anderen Einzelpersonen das Herz des Buches, das ebenso das Herz des Evangeliums ist: Wenn wir umkehren, glauben und uns vor Gott demütigen, wird er uns in seiner großen Barmherzigkeit und Gnade retten.

Dankt dem HERRN, denn seine Güte wäret ewiglich!