Die Ehre des Menschen und die Ehre Gottes
Wenn wir uns die ersten Kapitel der Genesis anschauen, können wir nicht nur die Ereignisse der frühesten Menschheitsgeschichte überblicken, sondern auch sehen, wie die Menschheit nie aus ihren frühesten Bestrebungen herausgewachsen ist. Am anschaulichsten macht dies die Geschichte des Turmbaus zu Babel aus Genesis 11. Wir lesen in Vers 1, dass die ganze Erde „eine einzige Sprache und dieselben Worte“ hatte. Bemerkenswert ist die Einheit, die sich von der ursprünglichen Schöpfung vor dem Sündenfall her erhalten hatte. Im Garten Eden gab es keine Übersetzer; jeder redete die gleiche Sprache. Und auch wenn die Sünde hineinkam und die Harmonie der ursprünglichen Schöpfung zerstörte, konnten die Menschen in diesen ersten Jahren ihrer Ausbreitung einander verstehen. Sie redeten die gleiche Sprache und konnten auf gewisse harmonische Weise miteinander kommunizieren.
„Ziegel und Mörtel, Stahl und Glas – wir benutzen, was wir können, um irgendwie auszudrücken, dass wir wichtig sind, dass wir bedeutsam sind, dass wir in Erinnerung behalten werden wollen, auch lange nachdem wir von dieser Erde gegangen sind.“
Aufbauend auf einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamen Werten, begann diese Menschheit eine Stadt zu bauen: „Wohlan, lasst uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht“ (Vers 4). Von Anfang an bestand der Traum des menschlichen Fortschritts, der Traum des menschlichen Geistes, eine Stadt von solcher Pracht zu bauen, dass ihre Spitzen den Himmel selbst berührten. Es ist Teil unserer Natur als menschliche Wesen, Denkmäler menschlicher Leistungen zu bauen. Wir können durch die Städte dieser Welt gehen und großartige menschliche Errungenschaften bewundern. Wir können den Eiffelturm von fast jedem Punkt in und um Paris herum sehen. Kein Tourist in New York City übersieht die Freiheitsstatue oder das Empire State Building. Wir können nicht nach Asien reisen, ohne auf der Chinesischen Mauer gehen zu wollen. Wenn wir nach Ägypten zu den Pyramiden kommen, sehen wir Denkmäler antiker Könige. Ziegel und Mörtel, Stahl und Glas – wir benutzen, was wir können, um irgendwie auszudrücken, dass wir wichtig sind, dass wir bedeutsam sind, dass wir in Erinnerung behalten werden wollen, auch lange nachdem wir von dieser Erde gegangen sind.
Beachte die Geisteshaltung, die in Genesis 11 zum Ausdruck kommt: „Dass wir uns einen Namen machen“ (Vers 4). Friedrich Nietzsche, der atheistische Philosoph aus dem 19. Jahrhundert, sagte, der grundlegende Antrieb des menschlichen Herzens sei der „Wille zur Macht“, die Lust nach Herrschaft. Das ist es, was die gefallene Menschheit antreibt. Es ist das Vermächtnis des Garten Edens, das Ausleben der Verführung durch die Schlange, die sagte: „Ihr werdet sein wie Gott“. Wieso sollte Gott alle Ehre bekommen? Wieso sollten alle Denkmäler der Erde nur zum Lob des Schöpfers sein? Können wir keinen Anteil daran haben? Können wir das nicht für uns beanspruchen? Können wir ihn nicht als Souverän ersetzen? Lasst uns uns zusammentun und eine Stadt bauen. Lasst uns Denkmäler schaffen, die selbst Gott nicht niederreißen kann, Denkmäler, die ewig Bestand haben: Statuen, Mauern, Kathedralen, Wolkenkratzer und vieles mehr.
Ich erinnere mich daran, wie ich gespannt dasaß und zusah, wie Walter Cronkite und einige frühere Astronauten beschrieben, wie die ersten Menschen auf dem Mond landeten. Als ich die Worte von Neil Armstrong hörte: „Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit“, war ich begeistert wie jeder andere auch über diese unglaubliche Leistung, diese Eroberung einer neuen Welt. Aber es gab auch etwas, das mich störte, als ich den Worten zuhörte. Es klang aufs Neue wie der Turmbau zu Babel, ein Prahlen über die menschliche Leistung statt ein Beugen zum Gebet, das anerkennt: „Das ist zu deiner Ehre, Gott. Das ist die Erfüllung der wissenschaftlichen Unternehmung, zu der du uns im Garten Eden beauftragt hast, als du uns Herrschaft über die Erde gabst.“
„Wir sind dazu berufen, zur Ehre Gottes über die Erde zu herrschen, aber wir wollen diese Herrschaft zur Ehre des Menschen. Das ist es, worum es bei Babel geht.“
Wir sind dazu berufen, zur Ehre Gottes über die Erde zu herrschen, aber wir wollen diese Herrschaft zur Ehre des Menschen. Das ist es, worum es bei Babel geht: eine Entstellung, eine böse Verdrehung der legitimen Aufgabe, die Gott den Menschen gegeben hat. Es ist nichts Falsches am Bauen. Es ist nichts Falsches am Säen und Ernten. Das sind Aufgaben, die Gott uns bei der Schöpfung gegeben hat, aber sie sollen unter der Autorität Gottes ausgeführt werden. Sie sollen coram Deo getan werden, vor dem Angesicht Gottes, unter der Autorität Gottes und zur Ehre Gottes.
Aber was geschah stattdessen in der kosmischen Revolte? Der Mensch wollte für sich selbst eine Stadt bauen, sein eigenes Königreich aufrichten, sich selbst einen Namen machen anstatt Gott. Aber das ist nicht eine Geschichte von menschlichen Fehlern aus alter Zeit. Das ist unsere Geschichte. Wir sind die Akteure in diesem Drama. Babel repräsentiert das ganze menschliche Unterfangen, mit dem wir so beschäftigt sind. „Lasst uns eine Stadt bauen. Lasst uns uns einen Namen machen.“
Dann lesen wir in Kapitel 11 der Genesis, dass „der HERR herabstieg, um die Stadt und den Turm anzusehen, den die Menschenkinder bauten“ (Vers 5). Gott inspizierte die Stadt der Menschen und ihm gefiel nicht, was er sah:
„Und der HERR sprach: Siehe, sie sind ein Volk, und sie sprechen alle eine Sprache, und dies ist [erst] der Anfang ihres Tuns! Und jetzt wird sie nichts davor zurückhalten, das zu tun, was sie sich vorgenommen haben. Wohlan, lasst uns hinabsteigen und dort ihre Sprache verwirren, damit keiner mehr die Sprache des anderen versteht! So zerstreute der HERR sie von dort über die ganze Erde, und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. Daher gab man ihr den Namen Babel, weil der HERR dort die Sprache der ganzen Erde verwirrte“ (V. 6-9a).
Das größte Bauprojekt, das die Menschheit jemals in Angriff nahm, wurde von Gott verworfen. Und es endete in Chaos und Verwirrung.
Jeder Versuch des Menschen, seine eigene ultimative Stadt oder sein Reich zu bauen, wird im Chaos enden. Jeder Erfolg, den wir genießen, wird kurzfristig sein, denn der Herr wird jedes Werk vor Gericht bringen samt allem Verborgenen (Pred 12,14). Nichts, was zur Ehre des Menschen gebaut wurde, wird seiner Prüfung standhalten. Aber was zur Ehre Gottes getan wurde, wird ewig Bestand haben.