
Biblische Theologie
Würdest du dich ohne Karte und Kompass auf eine große Wanderung durch unbekanntes, manchmal unwegsames Gelände begeben? Sicher nicht, wenn du dich nicht verirren möchtest. Denn selbst wenn du einzelne Stellen gut kennst – du brauchst eine Karte, die dir einen Überblick bietet.
„Es ist möglich, die Schrift zu ehren und sie dennoch falsch zu lesen und anzuwenden, weil man Gottes Gesamtbild übersieht.“
Viel zu oft lesen wir die Bibel ohne „Karte“. Doch das unwegsame Gelände des Gesetzes und der Propheten wird schnell zum Fallstrick und wir verirren uns bei der Auslegung. Nick Roark und Robert Cline wollen dem Leser mit ihrem Buch Biblische Theologie deshalb ein Gesamtbild der Bibel geben. Sie wollen Gemeinden davor bewahren, sich zu verlaufen und warnen zu Recht: „Es ist möglich, die Schrift zu ehren und sie dennoch falsch zu lesen und anzuwenden, weil man Gottes Gesamtbild übersieht“ (S. 12). Die Folge ist ein falsches Verständnis des Evangeliums, das zu ungesunden Gemeinden führt.
Die Autoren demonstrieren diese Aussage im ersten Kapitel anhand einiger typischer Beispiele, z.B. Gemeinden mit dem Wohlstandsevangelium oder Alles-ist-erlaubt-Gemeinden. Alle ihre Beispiele vereint, dass in diesen Gemeinden vielfach einzelne Bibelstellen losgelöst vom Gesamtkontext der Bibel ausgelegt werden. Dadurch gerät der Mensch ins Zentrum der Lehre und Praxis der Gemeinden. Dies passiert mit den besten Motiven und selbst wenn man in den Predigten die Details des einzelnen Bibeltextes ernst nimmt. Ohne Biblische Theologie, d.h. ohne Gesamtbild, ohne Christus und das Evangelium als verbindendes Zentrum, verläuft man sich.
Einen Gesamtblick für die Bibel entwickeln
Die Bezeichnung „Biblische Theologie“ ist demnach nicht als Gegenpol zur unbiblischen liberalen Theologie zu verstehen. Es ist vielmehr der Versuch, einen Gesamtblick für die Bibel zu entwickeln. Es reicht nicht, nur den Kontext des einzelnen Buches zu beachten. Wir müssen auch den Gesamtkontext der Bibel sehen. Dies führt zu einer ganz neuen Perspektive:
„Stell dir vor, jedes Buch der Bibel leuchtet wie ein Stern. Aber erst wenn man weit genug zurücktritt und alle Sterne zusammen im Blick hat, beginnt man zu sehen, dass diese Sterne ein riesiges und wunderschönes Sternbild ergeben. Biblische Theologie untersucht alle Sterne sowohl einzeln als auch in der Zusammenschau und stellt dann das atemberaubende Panorama-Sternbild der göttlichen Herrlichkeit heraus.“ (S. 24)
Diese neue Perspektive öffnet den Blick für das Herzstück der Bibel: die Person und das Werk Jesu Christi. Die Bibel ist ein zusammenhängendes großes Buch aus vielen kleinen Büchern. Aber sie erzählt eine Geschichte, deren Held und Kernstück Jesus Christus ist, erklären die Autoren im zweiten Kapitel.
„Die Bibel ist ein zusammenhängendes großes Buch aus vielen kleinen Büchern. Aber sie erzählt eine Geschichte, deren Held und Kernstück Jesus Christus ist.“
Im dritten und vierten Kapitel wird das große Bild der Bibel skizziert. Der besondere Wert dieser beiden Kapitel besteht darin, dass die Autoren beim Durchgang durch die Geschichte der Bibel jede Phase mit einigen Hinweisen für Predigt und Lehre abschließen. Beispielsweise schreiben sie zum Sündenfall:
„Man kann recht einfach eine Predigt über 1. Mose 3 halten und dabei den Fokus allein darauf richten, dass man Versuchungen widerstehen soll [...] Aber das ist rein moralistisches Predigen nach dem Motto ‚Adam war schlecht. Sei nicht wie Adam.‘ Die Wahrheit aber ist nach Römer 5, dass wir tatsächlich in Adam in Sünde gefallen sind. Er war unser Bundeshaupt und er hat versagt. Deshalb sind wir in ihm schuldig. Wir brauchen einen zuverlässigen neuen Adam, der versucht wurde und der sich als treuer Sohn Gottes erwiesen hat. Dieser treue Sohn ist natürlich Jesus (Lk 4,1–13).“ (S. 31)
In den letzten beiden Kapiteln beschreiben die Autoren den Mehrwert, der für Gemeinden entsteht, wenn sie Christus als Zentrum der ganzen Schrift erkennen. Die Lehre der Gemeinde wird vor zwei Fehlern bewahrt: Bibelstellen subjektiv als Belegstelle für eigene Meinungen zu gebrauchen und die Bibel moralistisch zu lesen. Sie demonstrieren den Missbrauch anhand verschiedener Texte der Bibel und zeigen, wie diese Texte stattdessen mit dem Evangelium im Blick gelesen werden sollten. Neben der Geschichte von David und Goliath führen sie z.B. Texte über Simson oder die Versuchung Jesu an. Geleitet werden sie dabei immer von dem Prinzip, in der jeweiligen Passage nicht zuerst nach uns zu fragen, sondern nach Jesus (S. 80). In aller Kürze liefern sie einige Werkzeuge und Schritte, um von den verschiedenartigen Texten der Bibel zu Christus zu gelangen.
Im sechsten Kapitel werden die zu Beginn angeführten Beispiele für ungesunde Gemeinden aufgegriffen. Roark und Cline zeigen hier, wie Biblische Theologie die falsche Ausrichtung korrigiert. An dieser Stelle des Buches kommt am stärksten hervor, dass es im amerikanischen Kontext geschrieben wurde. Die Gemeinde mit dem Patrioten-Evangelium, die die Bibel mit dem Fokus „Gott und unser Land“ liest und Verheißungen direkt auf das eigene Land anstatt auf die Gemeinde anwenden möchte, ist im deutschen Kontext weniger häufig vertreten. Nichtsdestotrotz helfen die verschiedenen praktischen Beispiele, über mögliche Korrekturen im eigenen Gemeindekontext nachzudenken.
Gute Einführung
Das Buch enthält einen Anhang mit weiteren Beispielen, wie Texte aus verschiedenen Literaturgattungen (z.B. Erzähltexte, Poesie, Briefe) ausgelegt werden können. Sie sind hilfreich, hinterlassen den Leser teilweise aber mit neuen Fragen. Die Autoren weisen z.B. darauf hin, dass die Sprüche nur mit dem Wissen gelesen werden sollten, dass Jesus der eigentliche Salomo und die eigentliche Weisheit ist. Man ist geneigt, dieser Aussage zuzustimmen. Aber wie eine Predigt über die angeführte Textstelle (Spr 2,1–6) aussehen kann, ohne die ursprüngliche Aussage zu verkürzen und den Text gleichzeitig in den Gesamtkontext einzuordnen, wird nur vage angedeutet. Aber das will und muss dieses Buch nicht leisten. Es bietet vor allem einen guten Einstieg in das Thema und macht Appetit auf mehr. Die Autoren schaffen es auf 145 Seiten, den Wert der Biblischen Theologie für die Gemeinde aufzuzeigen. Zudem steigern die vielen Beispiele und Tipps für Predigt und Lehre den Wert des Buches.
Buch
Nick Roark und Robert Cline, Biblische Theologie: Wie die Gemeinde treu das Evangelium lehrt, Augustdorf: Betanien, 2020, 145 S., 7,90 Euro.