Wie man die fünf Bücher Mose (nicht) predigen sollte
Pentateuch, manchmal auch Tora oder Gesetz genannt, ist die Bezeichnung für die ersten fünf Bücher der Bibel: Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Wenn du jemals über einen Text aus einem dieser Bücher gepredigt hast, weißt du, dass das herausfordernd sein kann. Hier einige Gefahren, die du vermeiden solltest:
1. Predige nicht nur über die unterhaltsamen Teile des Pentateuch
Für die meisten Pastoren sind die unterhaltsamen Teile die Geschichten. Adam und Eva, Noah und die Flut, der Turmbau zu Babel, die Geschichten der Patriarchen, der Josef-Zyklus, der Auszug aus Ägypten, die Wüstenwanderung – wem gefallen diese Geschichten nicht! Sie sind nicht nur lehrreich, sondern auch spannend.
Vielleicht zählen für dich aber auch die die klar erkennbaren Prophezeiungen über den Messias zu den unterhaltsamen Teilen. Du liebst es, über den Schlange-zertretenden Nachkommen, über Melchisedek, das Zepter in Juda, die Bronzeschlange oder den Propheten wie Mose zu predigen.
Oder aber es macht dir am meisten Spaß, eine Predigt über die Stammbäume, die Abmessungen der Stiftshütte oder das Heiligkeitsgesetz zu verfassen? Jedem das Seine!
Was ich damit sagen will ist, dass es für uns als Pastoren verlockend sein kann, nur über die Teile der Bibel zu predigen, die uns auch selbst wirklich interessieren. Wir dürfen dieser Versuchung nicht nachgeben. Die gesamte Schrift ist von Gott eingegeben, und das heißt, dass uns jeder kleinste Teil davon zu reifen Christen formen kann, die wissen, wie man sein Leben für Jesus lebt (2Tim 3,15–17). Das bedeutet nicht, dass du eine Vers-für-Vers-Auslegung vom 1. bis zum 5. Buch Mose predigen musst. Es bedeutet, dass du deine Predigten nicht nur auf die Teile des Pentateuch beschränken solltest, die dir gefallen, oder bei denen du davon ausgehst, dass sie den anderen gefallen werden. Vom grandiosen Schöpfungsbericht bis zur Bezeichnung der Eule als kultisch unrein inspirierte Gott alles zum Wohle seines Volkes. Deshalb sollten wir einen Weg finden, über all das zu predigen.
2. Predige den Pentateuch nicht als die Bücher Mose, sondern als das Buch Mose
Der Pentateuch besteht nicht wirklich aus fünf Büchern, sondern kann eher als ein Buch bezeichnet werden. Wir müssen ihn als Ganzes verstehen. Mehrere Gesichtspunkte unterstützen die Annahme des Pentateuch als Einheit: Die fünffache Unterteilung war wahrscheinlich das praktische Ergebnis der Schriftrollenlänge; jedes Buch setzt die Kenntnis der anderen voraus, es scheint eine literarische Gesamtstruktur vorhanden zu sein, die aus vier großen poetischen Abschnitten besteht; außerdem betrachtet die spätere biblische Offenbarung den Pentateuch konsequent als Einheit. Der Pentateuch wird nämlich nie als die Bücher (Plural) Mose, sondern immer als das Buch (z.B. 2Chr 25,4; Esra 6,18; Neh 13,1; Mk 12,26) bezeichnet.
Wie beeinflusst die Einheit des Pentateuch demnach unser Predigen? Es bedeutet für uns, dass wir uns nicht nur mit der Aussage jedes einzelnen Buches, sondern auch mit dessen Relation zu den anderen Büchern beschäftigen müssen. Es bedeutet, dass wir uns mit der Geschichte und dem Inhalt des Pentateuch als Ganzem beschäftigen müssen. Es bedeutet, dass wir unseren Predigttext nicht isoliert von der Gesamthandlung, die Mose verfasst hat, auslegen können. Es muss alles als Einheit verstanden werden.
Viele interessante Werke werden über die Botschaft des Pentateuch verfasst, und dieser Artikel ist nicht dafür gedacht, all diese Argumente näher zu untersuchen (nicht, dass ich dafür überhaupt qualifiziert wäre). Es könnte jedoch hilfreich sein, wenn ich auf drei wichtige Beobachtungen eingehe, die nicht so leicht übersehen werden sollten.
Erstens folgt die Geschichte des Pentateuch einem Bundesschema. Nach dem Fall Adams versprach Gott, einen Erlöser zu schicken – den Nachkommen einer Frau, der den Kopf der Schlange zertreten wird. Diese göttliche Zusage entfaltet sich durch den Bund mit Noah, dann Abraham und schließlich Israel. Wir müssen verstehen, wie unser Predigttext mit diesem Bundesschema zusammenhängt.
„Deshalb ist jede Art von Predigt über den Pentateuch, die eine motivierende ‚Du kannst alles schaffen‘-Botschaft enthält, völlig aus dem Gesamtkontext gerissen.“
Zweitens hat der Pentateuch ein trauriges Ende: Gott prophezeit das Versagen Israels unter dem Gesetz, Mose stirbt, und Gottes Bündnisversprechen von einem rettenden Nachkommen, Land und Segen bleiben unerfüllt. Wäre der Pentateuch ein Theaterstück, dann wäre er ein Drama! Deshalb ist jede Art von Predigt über den Pentateuch, die eine motivierende „Du kannst alles schaffen“-Botschaft enthält, völlig aus dem Gesamtkontext gerissen.
Drittens scheint es so, als ob das Versagen Israels und die unerfüllten Verheißungen Glaube und Hoffnung in denen hervorbringen sollen, die den Pentateuch lesen. Glaube – Gottes Volk sollte nicht auf seine eigenen Fähigkeiten vertrauen, das Gesetz halten zu können. Auch solange sie noch unter dem Gesetz leben, sollten sie in die Fußstapfen Abrahams treten, der Gott vertraute und dessen Glaube ihn rechtfertigte. Hoffnung – Gott hält seine Verheißungen, auch wenn sein Bündnisversprechen am Ende von Deuteronomium noch nicht erfüllt wurde. Wo ist der rettende Nachkomme? Wir brauchen ihn! Gott wird ihn sicher bald schicken.
3. Predige die Geschichten aus dem Pentateuch nicht nur als moralische Lektionen
Wenn wir die Kernaussage des Pentateuch nicht verstehen, können wir nicht erkennen, wie sich die einzelnen Teile zu einem Ganzen verbinden. Daraufhin interpretieren wir die Geschichten unabhängig vom Bundesgeschehen und verstehen nicht, wie jede einzelne Geschichte die verheißene Erlösung Gottes unterstützt oder gefährdet. Alles, was uns dann noch bleibt, sind moralische Lektionen darüber, wie wir uns verhalten sollen.
Ist Saras Unfruchtbarkeit nur ein Beispiel dafür, wie man mit Enttäuschungen umgehen soll? Ist die Geschwisterrivalität zwischen Jakob und Esau nur eine weitere Ermutigung für Familien, miteinander auszukommen? Beinhaltet die Geschichte vom Roten Meer nur die Predigtanwendung, wie ein wundervollbringender Gott uns aus ausweglosen Situationen heraushelfen kann? Ist der entmutigende Bericht der Kundschafter nur eine Herausforderung, nicht an unserer Bestimmung zu zweifeln?
Natürlich hat eine moralische Lebensweise etwas Gutes an sich. Gott selbst sagt uns, dass Moralität etwas Gutes ist. Ein dreifaches Hurra auf die Moralität! Die Bibel fordert uns dazu auf, am Beispiel Israels, wie wir es im Pentateuch sehen, zu lernen (1Kor 10,1–11). Doch Moral ist niemals Selbstzweck und die Geschichten des Pentateuch werden nicht erzählt, damit wir alle lediglich zu besseren Menschen werden. In der Bibel gibt es keine bloße Moral.
„Um die beabsichtigte Bedeutung der Erzählung herauszufinden, müssen wir sie im Licht der gesamten Geschichte des Pentateuch auslegen, welche wiederum im Kontext der gesamten Bibel steht.“
Um die oben gestellten Fragen zu beantworten: nein. Keine der Geschichten, die ich genannt – oder nicht genannt – habe, wurde uns einfach nur als moralische Lektion für eine gute Lebensweise gegeben. Moralische Weisheit wird von alleine zutage treten, wenn wir die Geschichten der Bibel auslegen. Und solange sie mit einem Leben in Jesus übereinstimmt, können wir sie auch predigen. Doch wir dürfen diese sekundären Einsichten nicht mit der primären Bedeutung verwechseln. Um die beabsichtigte Bedeutung der Erzählung herauszufinden, müssen wir sie im Licht der gesamten Geschichte des Pentateuch auslegen, welche wiederum im Kontext der gesamten Bibel steht.
Nehmen wir Saras Unfruchtbarkeit als Fallstudie. Sicherlich war ihre Unfruchtbarkeit eine Enttäuschung für Sara. Viele Menschen werden in der Lage sein, ihre Enttäuschung aufgrund von Mangel, den sie in ihrem eigenen Leben erlebt haben, nachzuvollziehen. Es ist motivierend für sie zu sehen, wie Gott für Sara gesorgt hat. Das ermutigt sie, Gott zu vertrauen, und das ist keine schlechte moralische Lektion.
Das eigentliche Problem in der Geschichte ist dennoch weitaus wichtiger für ihr Wohlergehen. Es geht um mehr als nur ein ermutigendes Beispiel für Gottes Versorgung. Das eigentliche Problem der Geschichte ist, dass Saras Unfruchtbarkeit eine Bedrohung für Gottes Bündnisversprechen darstellt. Gott hat Abraham verheißen, ihn zum Vater von vielen zu machen, dass er und seine Nachkommen das Land besitzen, die Nationen segnen und sich für ewig an Gott erfreuen würden. Und trotzdem … war Abrahams Frau unfruchtbar. Würde Gott sein Versprechen erfüllen? Und falls ja, wie? Und falls nicht, gibt es dennoch eine Hoffnung auf Erlösung?
Durch ein Wunder öffnete Gott den Schoß der 90-jährigen Sara und schenkte ihr Isaak. Die Bedrohung durch die Unfruchtbarkeit wurde auf wundervolle Weise abgewehrt und die Erfüllung von Gottes Bündnisversprechen konnte weiter voranschreiten, in Israel und letztendlich in dem Nachkommen Abrahams, in Jesus Christus selbst. Diese Geschichte offenbart uns im Licht des Pentateuch und der gesamten Bibel ihre wahre Bedeutung: Wenn Gott Saras Unfruchtbarkeit nicht zum Guten wendet, scheitern seine Verheißungen, Jesus kommt nie in die Welt, und wir können nicht gerettet werden.
Wenn wir das Evangelium und nicht nur bloße Moralität predigen wollen, müssen wir die einzelnen Teile zu einem Ganzen verbinden. Wir müssen jede Geschichte im Licht des Pentateuch und der gesamten Bibel sehen.
4. Predige das Gesetz nicht so, als stünden wir noch unter dem alten Bund
Du kannst nicht über den Pentateuch predigen, ohne darüber zu nachzudenken, was genau man über die Gesetze sagen soll, die im Zusammenhang mit dem alten Bund gegeben wurden. Es ist entscheidend zu verstehen, dass Christen nicht länger „unter dem Gesetz“ stehen (Gal 5,18). Der alte Bund ist „veraltet“, da wir einen neuen und besseren Bund in Christus bekommen haben (Hebr 8,13). Das Ergebnis davon ist, dass wir Gott „im neuen Wesen des Geistes dienen und nicht im alten Wesen des Buchstabens“ (Röm 7,6).
Dennoch sind wir keine Antinomisten. Auch wenn das Gesetz als Bundesgrundlage veraltet ist, prägen die Gesetze an sich weiterhin unseren Gehorsam. Als das Jerusalemer Konzil zum Beispiel nichtjüdischen Gläubigen ethische Anweisungen gab, griff es auf die Gesetze zu Opfergaben, Götzenanbetung und sexueller Unmoral zurück (Apg 15,28–29). Paulus zitiert aus den Zehn Geboten als Beispiel für die christliche Nächstenliebe (Röm 13,8–10). Er gebraucht sogar ein Gesetz über das Anlegen des Geschirrs bei Ochsen, um die Bezahlung von Pastoren anzuordnen (1Kor 9,9). Jesus, Paulus und Jakobus fassen jeweils das ethische Leben des Gläubigen mit dem wichtigsten Gebot des Gesetzes zusammen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mk 12,31; Gal 5,14; Jak 2,8). Petrus zitiert aus dem Gesetz, wenn er über christliche Heiligkeit spricht (1Petr 1,15–16). Sogar die Gesetze, die schon erfüllt und aufgehoben worden sind, bleiben lehrreich, wie zum Beispiel die Speisegebote. Sie helfen uns dabei, die wahre Quelle menschlicher Unreinheit zu erkennen und zu verstehen, wie wichtig es für uns ist, die Menschen in aller Welt zu erreichen (Mk 7,18; Apg 10,9–29). Obwohl das Gesetz als Bundesgrundlage nicht mehr länger in Kraft ist, hat das Gesetz als Heilige Schrift für den Christen weiterhin Wert.
Einige Traditionen unterteilen den alten Bund in moralische, zivilrechtliche und zeremonielle Kategorien und behaupten, dass das sogenannte moralische Gesetz immer noch in Kraft ist. Eine solche Aufteilung des Gesetzes ist letztendlich unnötig. Was den Bund betrifft, bleibt keines der Gesetze in Kraft. Jesus hat sie alle erfüllt – ob nun moralisch, zivilrechtlich oder zeremoniell. Als praktische Lehre der Ethik und Weisheit bleibt das ganze Gesetz jedoch nützlich, um das christliche Leben zu gestalten – und zwar nicht nur das Sch’ma (5Mose 6,4–5) und die Zehn Gebote! Wir müssen einfach jedes Gesetz im Licht seiner Erfüllung in Christus predigen.
5. Predige keinen Teil des Pentateuch, als wäre Jesus noch nicht gekommen
Hierbei handelt es sich um die größte Gefahr. Fast alles in diesem Text Erwähnte läuft darauf hinaus. Predige keinen Teil des Pentateuch, als wäre Jesus noch nicht gekommen. Nimm jedes kleinste Stück Genesis-bis-Deuteronomium in deine Predigten auf, lege es im Licht des gesamten Buches Mose und der Bibel aus und mache dann deutlich, wie es auf Christus hinweist und seine Erfüllung in ihm findet.
Vielleicht hast du schon die Memes „You had one job – du hattest eine Aufgabe“ gesehen. Als christlicher Prediger haben wir eine Aufgabe: Christus zu predigen! Wir sollen Christus aus den prophetischen Büchern, aus den Schriften, aus dem Evangelium, aus den Briefen und aus der Offenbarung predigen. Und wir sollen ihn auch aus dem Pentateuch predigen. Das sollte nicht allzu schwer sein, denn Jesus sagt: „von mir hat er [Mose] geschrieben“ (Joh 5,46).