Die Botschaft des Johannesevangeliums

Buchauszug von Rudi Tissen
3. August 2020 — 21 Min Lesedauer

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch Die Botschaft des Neuen Testaments, das Predigten deutscher Autoren über die Bücher des Neuen Testaments enthält. Das Buch wird über Josia, die Jugendarbeit von Evangelium21, herausgegeben und erscheint in Zukunft beim 3L-Verlag. Der Buchauszug wird mit freundlicher Genehmigung des Verlages wiedergegeben.


Wer ist mein Retter?

Vielleicht überrasche ich dich gleich zu Anfang mit einer Behauptung, von deren Richtigkeit ich aber fest überzeugt bin: Menschen suchen nach „Erlösung“. Sie sind auf der Suche nach Dingen, die ihnen Erfüllung, Sicherheit und Bedeutung geben. Sie sind auf der Suche nach Wegen, die Licht in ihr Dunkel bringen und von denen sie sich Glück versprechen. Mal ist es der Weg der Selbstaufgabe, mal der Weg der Selbstverwirklichung. Sie sind auf der Suche nach einem Zustand, der das Ende der Suche für sie bedeuten würde. Sie klammern sich an Personen, von denen sie sich Befriedigung und Glück versprechen. Das Streben nach Erlösung, Befreiung und Glück gehört seit jeher zum Menschsein und wird uns wohl immer begleiten, solange diese Erde besteht. Es geht also gar nicht so sehr um die Frage, ob wir nach Erlösung (oder Glück, Sicherheit etc.) suchen, sondern wem oder was wir die Fähigkeit zusprechen, uns das zu geben, wonach wir uns sehnen. Es geht um die Frage: Wer ist mein „Retter“?

Auch Menschen im direkten Umfeld von Jesus warteten auf Erlösung. Sie sehnten sich nach Veränderung und Befreiung. Die meisten Menschen, mit denen Jesus zu tun hatte, waren Juden und als solche hatten sie sogar sehr konkrete Vorstellungen von Erlösung. Aufgrund alttestamentlicher Verheißungen und ihrer Tradition warteten sie sehnsüchtig auf das Erscheinen des Messias. Die Umstände damals waren nicht einfach und trugen mit dazu bei, dass die Juden ganz bestimmte Vorstellungen davon hatten, wie dieser Retter auftreten und was sein Auftritt bewirken sollte. Einige versprachen sich z.B. von ihm die endgültige Befreiung von der römischen Besatzung. Es waren mittlerweile einige Männer aufgetreten, die von sich behauptet hatten, der „Messias“ zu sein. Aber immer wieder waren die Erwartungen enttäuscht worden.

Einführung in das Johannesevangelium

Johannes reagiert mit seinem Evangelium auf die Erwartungen seiner jüdischen Mitmenschen. Er bestätigt, dass sie zu Recht einen Messias erwarten. Aber er hat auch eine ganz klare Botschaft an sie, die er in Johannes 20,30–31 zusammenfasst:

„Auch viele andere Zeichen hat nun zwar Jesus vor den Jüngern getan, die nicht in diesem Buch geschrieben sind. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.“

Diese Aussage hilft uns sehr dabei, zu verstehen, was die Botschaft des Johannes-Evangeliums ist und was der Apostel seinen Lesern vor allem mitgeben wollte. Was wollte Gott den ersten Lesern und was will er uns durch Johannes sagen? Was ist die zentrale Botschaft, die die Menschen damals hören mussten und die auch uns heute noch gilt? Er hat dieses Buch geschrieben, um zu zeigen, dass sich die Verheißung auf den Messias in Jesus erfüllt hat. Jesus, der Sohn Gottes, ist der Messias – das macht seine unübertroffene Person deutlich; das unterstreichen seine unmissverständlichen Zeichen und das untermauert die Erschaffung einer unvergleichlichen Gemeinschaft. Und so bleibt Johannes nichts anderes übrig, als einen unüberhörbaren Aufruf an seine Leser zu richten: Glaubt an Jesus, den Sohn Gottes, denn er ist der Messias!

Unübertroffene Person

Der Beginn eines Buches entscheidet bei mir sehr oft darüber, ob ich es durchlese oder doch wieder zur Seite lege. Habe ich es mit einem Roman zu tun, muss mich die Darstellung der Hauptakteure faszinieren. Was ist ihre Geschichte? Aus welchem Holz sind ihre Persönlichkeiten und Charaktere geschnitzt? Woher kommen sie und wo wollen sie hin?

Der Apostel beantwortet die Frage danach, wer der Messias ist, indem er unsere Aufmerksamkeit auf etwas ganz Zentrales lenkt: die Identität Jesu. Johannes war überzeugt, dass Jesus der Christus ist. Um nun seine Überzeugung zu untermauern, malt er den Lesern seines Evangeliums die Größe Jesu in unnachahmlicher Art und Weise vor Augen.

Wenn wir das Johannes-Evangelium lesen, merken wir schnell, dass es ständig um die Identität Jesu geht. Wir finden unzählige Stellen, an denen Jesus von sich selbst sagt, wer er ist. Denken wir da z.B. an die berühmten Ich-bin-Worte. Auf der anderen Seite kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Jesu Mitmenschen mit der Frage beschäftigt sind, wer dieser Jesus sein könnte. Besonders deutlich wird das im siebten Kapitel. Immer wieder wird hier die Frage thematisiert, wer Jesus ist, woher er kommt und was er vorhat. Während ihn die einen als „gut“ bezeichnen, sehen die anderen in ihm eher einen Verführer (7,12–13), der vielleicht sogar dämonisiert ist (7,20). Wir treffen einerseits auf Menschen, die behaupten, Jesus sei nicht einfach ein Prophet, sondern der verheißene Christus (7,41). Andererseits begegnen uns aber auch Menschen, die diese Behauptung mit den verschiedensten Argumenten entkräften wollen (7,26–27.41–53). Die Menschen hatten also unterschiedliche Antworten darauf, wer Jesus sein könnte.

Der Beginn des berühmten Johannes-Prologs macht sofort klar, worauf Johannes hinauswill. Gleich zu Beginn fängt er damit an, ein unglaublich herrliches Bild von Jesus zu malen.
 

Auch Johannes hat eine klare „Meinung“ darüber, wer Jesus ist. Und er wartet nicht bis zur Hälfte des Buches, um uns diese zu präsentieren. Er versucht nicht, den Lesern scheibchenweise näherzubringen, was er denkt. Nein, Johannes beginnt sein Buch gleich mit einem echten Paukenschlag, der zumindest alle Leser mit jüdischer Herkunft aufhören lassen musste: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott. Und das Wort war Gott.“ Der Beginn des berühmten Johannes-Prologs macht sofort klar, worauf Johannes hinauswill. Gleich zu Beginn fängt er damit an, ein unglaublich herrliches Bild von Jesus zu malen: Jesus ist das ewige Wort Gottes, durch das der Kosmos geschaffen wurde und bis heute erhalten wird. Er ist das ewige Wort, das Fleisch wurde und die Herrlichkeit des Vaters offenbart.

Johannes will seine Leser also für die Wahrheit gewinnen, dass dieser Jesus ein Messias ist, der alle Vorstellungen übersteigt und dessen Größe alles übertrifft. In Jesus fließen alle großen heilsgeschichtlichen Linien zusammen. In ihm kommen alle großen alttestamentlichen Bilder, Anordnungen und Persönlichkeiten zur Erfüllung. Er ist das Lamm Gottes (1,29), das die Sünde der Menschen trägt. Er ist der Tempel Gottes (2,19–21), in dem Menschen Gott durch Glauben an ihn begegnen können. Er ist das Zeichen, das Gott selbst aufrichtet, damit jeder, der im Glauben auf ihn sieht, Rettung erfährt (3,14–15). Er gibt das lebendige Wasser (4,10–14), das den Durst ausgetrockneter Seelen für immer beendet. Er ist mehr als Mose, denn er ist selbst das Brot des Lebens (6,35), das unseren inneren Hunger ewig stillen wird. Er ist das Licht (8,12), das die Finsternis unserer Herzen beendet. Er ist die Tür zum Vater (10,9). Er ist mehr als David und alle Führer Israels, denn er ist der gute Hirte (10,11), der keines seiner Schafe verliert. Er ist die Auferstehung (11,25), denn er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben (14,6). Er ist der wahre Weinstock (15,1) und wer an ihm hängt, gehört so zum wahren Volk Gottes. Er ist der Hohepriester (17,1ff), der für immer auf vollkommene Weise für sein Volk eintritt. Er stirbt während des Passahfestes (19,14) und zeigt damit, dass er das wahre Passahlamm ist.

Wie kann Jesus all das sein und erfüllen? Wie kann es sein, dass Jesus dieser unübertroffene und wahre Messias ist? Johannes liefert einen alles erklärenden Grund ab: Jesus ist der Sohn Gottes. Er ist vollkommen Gott. Das macht der schon erwähnte Prolog deutlich. Der klare Bezug zum ersten Buch der Bibel (1Mo 1,1), der Erschaffung der Welt und die Beschreibung Jesu als „Wort Gottes“ lassen deutlich erkennen, worauf Johannes hinauswill: Jesus ist der ewige Sohn Gottes und damit Gott selbst. Auf diese entscheidende Wahrheit über sich weist Jesus sowohl die Schriftgelehrten (5,17ff) als auch seine Jünger (10,30; 14,7–10) unmissverständlich hin (5,18). Deshalb konnte er sagen „Ehe Abraham war, bin ich“, denn er ist der „Ich bin“, der ewige und lebendige Gott.

Auch wir müssen immer wieder neu erkennen, wie unglaublich groß Jesus, der Sohn Gottes, ist, sodass wir aufhören, unser Glück, unsere Erfüllung, unsere Sicherheit und unsere Bedeutung irgendwo anders zu suchen als in dem Messias, den Gott zu unserer Errettung gesandt hat.

Unmissverständliche Zeichen

Unsere Taten hängen unmittelbar mit unserer Persönlichkeit zusammen. Sie offenbaren, wer wir sind und was uns wirklich wichtig ist. Taten sind wichtig, denn sie sagen viel über den aus, der sie ausführt. Sie transportieren eine klare Botschaft und verraten manchmal tatsächlich mehr über uns als unsere Worte.

Man kann sich das Johannes-Evangelium ein bisschen wie ein Drama vorstellen, das aus verschiedenen Akten besteht. Nachdem der Hauptdarsteller im Prolog vorgestellt wurde (1,1–18), verwendet Johannes den ersten großen Akt des Dramas (1,19–12,50) vor allem darauf, durch Zeichen zu demonstrieren, dass Jesus wirklich der Messias ist. Es ist also nicht nur Jesu Identität, die zeigt, dass er der Messias ist. Auch seine Zeichen unterstreichen diese Tatsache. Die Juden warteten auf den Messias. Johannes lenkt ihre Augen auf Jesu Person und Werke und macht ihnen so deutlich, dass ihre Suche eigentlich zu einem Ende kommen muss. Denn die Zeichen, die Jesus vollbrachte, waren unmissverständlich. Sie zeigen, dass Jesus tatsächlich der Messias, der Gesalbte Gottes ist. Wie die Propheten des Alten Testaments, allen voran Mose, durch Zeichen bewiesen, dass sie Gottes Gesandte sind, unterstreicht Johannes durch die Zeichen, die er aufgreift, dass Jesus tatsächlich der ist, der er behauptete zu sein. Die Verwandlung des Wassers in Wein, die Säuberung des Tempels, die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten, die Speisung der Fünftausend und natürlich die Auferweckung des Lazarus von den Toten – diese und die anderen Zeichen unterstreichen die Tatsache: Jesus ist der Messias. In ihm kommt Gott selbst zur Rettung seines Volkes. Ja, tatsächlich deuten die Zeichen darauf hin, dass Gott in seinem Messias einen zweiten Exodus vollbringen will!

Johannes zeigt uns, dass es gewissermaßen unterschiedliche Arten von Glauben gibt.“
 

Tragischerweise führten die Zeichen bei den meisten Mitmenschen Jesu aber nicht zu Glauben. Sie bestaunten sie durchaus, aber bei vielen blieb es eben beim Staunen. Johannes zeigt uns damit, dass es gewissermaßen unterschiedliche Arten von Glauben gibt. Es gibt jenen rettenden Glauben, der Christus als den annimmt und verherrlicht, der er wirklich ist. Es gibt aber auch einen falschen Glauben, der die Taten Jesu zwar bestaunt, seine Wahrheit aber ablehnt. Die Zeichen waren darauf ausgerichtet, die Juden davon zu überzeugen, dass in Jesus der erwartete Messias tatsächlich erschienen ist. Johannes schreibt ja auch, dass er die Zeichen niedergeschrieben hat, damit die Menschen an Jesus, den Sohn Gottes, als den verheißenen Messias glauben (20,30–31). Doch der erste große Akt des Buches endet in der Ablehnung Jesu durch die Juden und dem Zeugnis über ihren Unglauben (12,37–40). Was für eine Tragik! Sein eigenes Volk nahm ihn nicht an (1,11), sondern lehnte ihn ab.

Dass Jesus der verheißene Messias ist, unterstrich er durch die Zeichen, die er vollbrachte. Unmissverständlich untermauern seine Taten, wer er ist – der Gesandte Gottes. Und als solcher ist er gekommen, um durch seinen Tod und seine Auferstehung einen neuen Exodus zu bewirken – eine Erlösung, die in alle Ewigkeit ausreicht. Doch wer an dieser Rettung teilhaben will, muss mehr haben als Staunen über seine Zeichen und Wunder. Wir müssen Teil des Volkes Gottes werden – durch Glauben an Jesu Worte (8,31–32).

Unvergleichliche Gemeinschaft

Wenn wir in die Geschichte der Menschheit sehen, treffen wir immer wieder auf große Persönlichkeiten, schillernde Reizfiguren und charismatische Führer, deren Wirken andere beeinflusst und deren Ideen zur Entstehung neuer Gruppen und Bewegungen geführt hat. Viele dieser Ideen und Ansichten waren für die Menschheit zerstörerisch. Andere durchaus hilfreich. Jedoch ist eine nach der anderen von der Weltbühne verschwunden oder durch andere ersetzt worden. Und wer mal etwas genauer hinsieht, merkt: Es gibt tatsächlich nichts wirklich Neues unter der Sonne. Etwas anderes gilt aber für die christliche Kirche. Ihre Entstehung und Auswirkungen auf unsere Welt sind grundlegend verschieden von allem, was unsere Welt je gesehen hat und sehen wird. Und der Grund dafür ist sehr einfach: Die Kirche Christi ist nicht das Ergebnis menschlicher Anstrengung und Überlegungen, sondern Gottes Werk. Deshalb ist sie unvergleichlich.

Am Ende des zweiten großen Teils des Buches passiert etwas, das unsere Welt für immer verändert hat. Wir lesen davon, dass Jesus Christus von den Toten aufersteht, dass er erst Maria Magdalena und dann auch seinen Jüngern begegnet (20,11ff). Johannes betont immer wieder, dass der Auferstandene von seinen Jüngern mit eigenen Augen gesehen wurde. Jesus ist also leibhaftig auferstanden. Er hat den Tod wirklich besiegt. Aber Johannes möchte uns noch mehr damit sagen. Er möchte uns klar machen, dass mit der Auferstehung Jesu etwas ganz Neues begonnen hat. Zweimal innerhalb des 20. Kapitels betont Johannes, dass die Auferstehung Jesu am ersten Tag der Woche stattfand (20,1.19). Nun, das scheint erst einmal nichts Besonderes zu sein. Wenn wir diese Aussage aber durch die Brille der ersten Leser sehen und dann noch lesen, dass Jesus seine Jünger anhaucht (20,22), müssen wir feststellen: Hier geht es um mehr! Wie zu Beginn des Evangeliums wird hier ein klarer Bezug zu den ersten Kapiteln der Bibel hergestellt. Gott war es, der am ersten Tag der (Schöpfungs-)Woche anfing, die Himmel und die Erde zu erschaffen. Gott war es, der dem ersten Menschen seinen Lebensodem einhauchte und ihn damit erschuf. Johannes zeigt uns hier, dass mit der Auferstehung Jesu etwas ganz Neues anbricht – eine neue Schöpfung. Und indem er seine Jünger anhaucht, wird deutlich, dass in seinen Jüngern, in denen, die an ihn glauben, diese neue Schöpfung anbricht. Jesus ist nicht nur das Wort Gottes, durch das diese Welt geschaffen wurde. Er ist der Messias, der durch sein Wort auch eine neue Schöpfung ins Leben ruft. Diese neue Schöpfung ist sein Volk – eine neue messianische Gemeinschaft. Dieses neue Volk sind seine Jünger. Dieses neue Volk sind die, die an ihn glauben.

Der erste Teil des Johannes-Evangeliums endet damit, dass genau das eintritt, was Johannes zu Beginn seines Evangeliums auch festgehalten hat: Jesus wird von den Seinen nicht angenommen (1,11). Wir erfahren, dass ihn ein großer Teil des jüdischen Volkes nicht als den Messias erkannte (12,37). Wir sehen, dass Jesus ab Kapitel 13 beginnt, seine Jünger in besonderer Weise zu unterweisen, zuzurüsten und zu ermutigen. Er zeigt ihnen, was echte Hingabe bedeutet und dass man sie, seine Jünger, an der Liebe untereinander erkennen soll, die auch er zu ihnen hatte (13,34–35). Er macht ihnen klar, dass er bald nicht mehr in ihrer Mitte sein wird, dass er ihnen aber den Tröster, den Heiligen Geist, senden wird (14,15–18). Er erinnert sie daran, dass sie auf innigste Art und Weise mit ihm, dem wahren Weinstock, verbunden sind, und dass sie ohne ihn nichts tun können (15,1–5). Er betet für sie – nicht für die Welt, sondern für seine Jünger (17,9). Er bittet den Vater um Bewahrung seiner Jünger in dieser Welt. Und zuletzt sehen wir, wie er sich für seine Schafe hingibt (18–19), wie er es ja auch angekündigt hatte (10,15).

Nun, warum widmet Johannes diesen großen zweiten Teil seines Buches dem Bericht darüber, wie Jesus seine Jünger vorbereitet und zurüstet, für sie betet und sich schließlich für sie hingibt? Der Gedanke an den Messias stand immer in einer festen Verbindung mit der Existenz und der Identität des Volkes Gottes. Der Messias war für die Juden der Gesalbte Gottes, der kommen sollte, um das Volk Gottes in die enge Verbundenheit und Gemeinschaft mit Gott selbst zurückzuführen. Es ist also auch kein Wunder, dass gerade die Kapitel 13–16 durchzogen sind von dem Gedanken der Verbundenheit zwischen Gott und seinem Volk. Johannes zeigt uns, dass Gott in seinem Messias etwas ganz Neues, eine neue Schöpfung anbrechen lässt. Es ist ein neues Volk, das von der Liebe des Vaters geprägt, von den Worten des Sohnes und von der Kraft des Heiligen Geistes getragen ist.

Als Christen sind wir Teil dieser unvergleichlichen Gemeinschaft, die durch Jesus ins Leben gerufen wurde.
 

Als Christen sind wir Teil dieser unvergleichlichen Gemeinschaft, die durch Jesus ins Leben gerufen wurde. Wir sind auf unvergleichliche Weise mit Christus verbunden. Er ist der Weinstock, wir sind die Reben. Wir hängen an ihm mit unserem ganzen Leben. Er hat uns gezeigt, was echte Hingabe bedeutet, als er den niedrigsten aller Dienste, die Fußwaschung, auf sich nahm (Joh 13,1ff), aber vor allem, als er sich für seine Schafe kreuzigen ließ. Er hat uns den Heiligen Geist gegeben, der uns tröstet und uns durch den Glauben mit all dem verbindet, was Christus vollbracht hat. Jesus gibt uns die Verheißung, dass sein Geist in Ewigkeit bei uns bleiben und uns Gottes Wahrheit nahebringen wird (14,16–17.26). Durch diese Aussagen wird ebenfalls klar, dass wir vollkommen abhängig vom Wirken des Geistes sind: Er wirkt den Glauben in uns, sodass wir Jesus als den Christus und als das Brot des Lebens erkennen. Er führt uns in die wahre Anbetung Gottes und ist das lebendige Wasser, das unser Herz zur Ruhe bringt. Er gibt uns die Fähigkeit, die Stimme des guten Hirten zu hören. Er führt uns in diese enge Verbindung mit Jesus selbst und befähigt uns zu lieben, wie Jesus uns geliebt hat. Die Frage ist: Wird an unserem Leben deutlich, dass Gott selbst uns neues Leben eingehaucht hat und wir aufs Engste mit Christus verbunden sind? Wird an unserem Handeln deutlich, dass wir von einer Liebe bewegt sind, die diese Welt so nie gesehen hat? Wird an unserem Denken deutlich, dass wirklich etwas ganz Neues angebrochen ist; dass unsere Herzen an den Worten unseres Hirten hängen? Wir sind Teil des neuen Gottesvolks. Wir wurden von Gott selbst ins Leben gerufen. Seine Auferstehungskraft lebt in uns und muss zum Ausdruck kommen – in allem, was wir denken, reden und tun. Denn darin zeigt sich, dass wir wirklich seine Reben sind und er, Jesus, unser Weinstock ist.

Hierbei ist eine Sache ganz wichtig: Wir dürfen dabei nicht auf unsere eigene Kraft vertrauen, denn dann werden wir ganz sicher versagen. Und sicherlich erleben wir das auch immer wieder. Die gute Nachricht ist: Jesus selbst hat die Grundlage für unsere Einheit mit ihm und einem Leben zur Ehre Gottes geschaffen, indem er nämlich am Kreuz gestorben und am dritten Tag auferstanden ist. Genau darum geht es in den Kapiteln 18–20. Der Sohn Gottes hat die Welt durch sein Werk für dich und mich überwunden (16,33). Wir können an Jesus glauben und dürfen für ihn leben, weil unser Hohepriester für uns gebetet und sein Leben für uns gelassen hat.

Unüberhörbarer Aufruf

Der russische Schriftsteller Dostojewski hat an einer Stelle geschrieben: „Im Westen hat man Christus verloren, und deshalb kommt der Westen zu Fall, einzig und allein deshalb.“ Ein berühmter Gedanke des Johannes-Evangeliums ist, dass derjenige, der an Jesus als den Christus glaubt, durch eben diesen Glauben Leben hat. Andersherum bedeutet das: Getrennt von Christus bleibt nur Finsternis, Gericht und Tod für uns übrig.

Das Johannes-Evangelium ist durchzogen von Begegnungen zwischen Jesus und seinen Mitmenschen, in denen immer wieder die Frage nach Glaube und Unglaube thematisiert wird.
 

Das Johannes-Evangelium ist ein unüberhörbarer Aufruf an seine Leser – der Aufruf zum Glauben an Jesus. Das wird wiederum in der „Zielformulierung“ in Johannes 20,30–31 besonders deutlich. Diese verrät uns, dass Johannes dieses Buch geschrieben hat, „damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen“ (20,31). Das Johannes-Evangelium ist durchzogen von Begegnungen zwischen Jesus und seinen Mitmenschen, in denen immer wieder die Frage nach Glaube und Unglaube thematisiert wird. Es gibt kaum einen Dialog, in dem Jesus den Glauben seines Gegenübers nicht anspricht oder eben den Unglauben offenlegt. Jesus trifft auf Menschen, die ihn anfeinden und anzweifeln. Er begegnet Menschen, die ihm nicht glauben. Zu Letzteren gehören sogar seine eigenen Brüder (7,5). Er trifft aber auch auf Menschen, die ihm glauben und nachfolgen. Dazu gehören die berühmte Samariterin (4,1–42) und auch der königliche Beamte (4,43–54).

Um ewiges Leben zu haben, muss man an Jesus, den Sohn Gottes, als den verheißenen Christus glauben. Glaube ist, worauf Johannes abzielt. Es ist wirklich genial, wie Johannes durch die verschiedenen Begegnungen zwischen Jesus und seinen Mitmenschen aufzeigt, dass jeder Mensch Glauben nötig hat, um gerettet zu werden. Es gibt hier keine Ausnahme. Besonders eindrucksvoll wird das in den Kapiteln drei und vier dargestellt. Hier begegnet Jesus zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite sitzt ihm ein Mann gegenüber, der wegen seiner Frömmigkeit und Gelehrtheit geschätzt und respektiert wird. Auf der anderen Seite treffen wir eine Frau, eine Samariterin, die nicht nur eine Anbetung praktiziert, die Gott missfällt, sondern deren Leben auch noch von Ehebruch und der verzweifelten Suche nach Erfüllung geprägt ist. Dass gerade diese beiden Geschichten nebeneinander auftauchen, kann nicht zufällig sein. Zunächst einmal muss der fromme Nikodemus lernen, dass ihn seine eigene Frömmigkeit nicht näher zu Gott bringt und dass er ohne die tiefgreifende Veränderung der Wiedergeburt, die allein Gott schenkt, das Reich Gottes nicht sehen wird (3,3.5). Jesus verbindet diese Tatsache aber auch sofort mit der Aufforderung zum Glauben, denn Gott hat seinen Sohn gesandt, „damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat“ (3,16). Genauso muss aber auch die samaritische Frau lernen, dass ihre endlose Suche nach Erfüllung, Sicherheit und Glück erst dann aufhören wird, wenn sie im Glauben zu dem kommt, der das lebendige Wasser hat.

Was Dostojewski für den Westen schrieb, gilt umso mehr für jeden einzelnen Menschen: Wer Christus nicht hat, kommt zu Fall – und zwar auf ewig.
 

Beide Lebensgeschichten zeugen von der Suche nach Erlösung. Beide Lebensgeschichten sind geprägt von der Suche nach Antworten auf Fragen, die tief in unserem Menschsein schlummern und die nur durch Gott selbst beantwortet werden können. Jesus weist beide Menschen, den frommen Gelehrten und die ehebrecherische Samariterin, auf den Glauben an ihn. Er ist derjenige, der vor dem Gericht Gottes rettet (nicht unsere eigene Gerechtigkeit), und er ist auch derjenige, der uns zur wahren Anbetung Gottes führt, worin die Bestimmung jedes Menschen liegt. Johannes ruft uns zum Glauben auf – an Jesus als den Messias, als den Retter der Welt. Und dieser Glaube wird im Johannes-Evangelium immer wieder mit einem bestimmten Objekt verbunden: den Worten Jesu. Besonders eindrücklich wird das in der Geschichte des königlichen Beamten. Noch bevor er irgendetwas von der möglichen Heilung seines Sohnes sehen kann, reitet er voller Zuversicht nach Hause. Warum? Er glaubte den Worten Jesu (4,50). Jesus ist das ewige Wort Gottes, durch das jedes Leben entstand und besteht. Durch sein Wort erweckte er Tote zum Leben und durch sein Wort erweckt er sein Volk. Und es sind seine Worte, denen wir Glauben schenken sollen – denn sie machen wirklich frei und sind unser Leben.

Schlussfolgerung

Jeder Mensch sucht nach Erlösung. Jeder Mensch sehnt sich nach Befreiung auf einer viel tieferen Ebene seines Seins. Und unsere Suche wird niemals zu einem Ende kommen, wenn wir nicht zu dem gehen, der unser Schöpfer ist. Wir werden immer weiter fragen (wie Nikodemus). Wir werden immer weiter suchen (wie die Samariterin). Wir werden erst zur Ruhe kommen, wenn wir Jesu Worten glauben (wie der königliche Beamte). Was Dostojewski für den Westen schrieb, gilt umso mehr für jeden einzelnen Menschen: Wer Christus nicht hat, kommt zu Fall – und zwar auf ewig. Aber: Wer an Jesus, den Sohn Gottes, als seinen Erlöser glaubt, wird ewiges Leben haben. Denn er ist der Messias, den wir alle nötig haben.