J.I. Packer – eine persönliche Würdigung von Ray Ortlund

Artikel von Ray Ortlund
21. Juli 2020 — 8 Min Lesedauer

Unser lieber Freund, James Innell Packer, wurde aus diesem Leben entlassen. Wie ich spüren wohl viele von uns einen tiefen persönlichen Verlust. Wir werden ihn vermissen – und das aus gutem Grund.

Packer verkörperte die persönlichen Eigenschaften und Ideale, die wir Evangelikalen am meisten schätzen. Er war fromm und klug, brillant und praktisch, gewissenhaft und friedliebend, mutig und freundlich, fröhlich und gelassen, direkt und sanft, demütig und wagemutig, ordnete sich der Schrift unter und war empfindsam für das Wirken des Geistes. Vor allen Dingen ehrte Packer aber Christus. Mein Ziel ist nun also, das zu tun, was die Schrift sagt: „Haltet solche in Ehren“ (Phil 2,29).

Ich habe Packer predigen und lehren gesehen, und mehr als 40 Jahre lang seine Bücher und Abhandlungen gelesen, und so erinnere ich mich voller Dankbarkeit an fünf bedeutende Merkmale seines Lebens und Dienstes.

1. Packer liebte die Bibel und half einer ganzen Generation, es ihm nachzutun.

In der Ausgabe meines Vaters von Fundamentalism and the Word of God: Some Evangelical Principles ist dieser Satz unterstrichen: „Einzig die Schrift selbst ist befugt, unsere Lehre von der Schrift zu beurteilen.“ Typisch Packer. Er bringt uns behutsam dazu, uns unserer eigenen Sicht der Schrift, ob treu oder töricht, klarer bewusst zu werden. Und in dem Artikel Infallibility and Inerrancy of the Bible im New Dictionary of Theology schreibt Packer weise: „Mit der Ablehnung der biblischen Unfehlbarkeit ersetzt man überschaubare Probleme im Text durch unüberschaubare Verwirrung in der Theologie und im geistlichen Leben.“ Ich habe diesen Satz in meiner Ausgabe des Buches unterstrichen, denn er beschreibt verständlich, klar und hilfreich, warum gläubige Christen ihr Wissen auf die Bibel stützen. In seinem mutigen Protest gegen den Verrat seiner eigenen Dennomination an der Schrift – Why I walked (Christianity Today, 1. Januar 2003) – positionierte sich Packer auf der Seite

„ […] des historisch christlichen Glaubens, dass Gott durch die Propheten, den inkarnierten Sohn, die Apostel und die Verfasser der kanonischen Schriften die menschliche Sprache verwendet hat, um uns endgültig und kulturübergreifend etwas über seinen Willen, seine Werke und seine Anbetung beizubringen. Darüber hinaus erkennt man diese offenbarte Wahrheit, indem man die Bibel sich selbst auslegen lässt, in dem Wissen, dass wir Gottes Denken durch das Denken der Schreiber kennenlernen.“

Wenn Gott spricht, ist keine externe Bestätigung notwendig. Packer hielt auf seine glaubensvolle, liebevolle und intelligente Art und Weise an dieser Überzeugung fest, und zeigte uns anderen so den Weg hin zu einem tieferen Glauben.

2. Packer liebte den gekreuzigten Christus und lehrte uns, das Kreuz Gottes als ausreichendes Heilmittel für unsere objektive moralische Schuld anzusehen.

Seine Abhandlung What Did the Cross Achieve: The Logic of Penal Substitution (die in In My Place Condemned He Stood nochmals veröffentlicht wurde) klärte für mich den Sachverhalt dieser klassischen Lehre. Mir kommt dabei sofort die Fußnote 33 in den Sinn, in der er Martin Luther zitiert – „Luther beschreibt dies dramatisch und überschwänglich, wie es immer schon seine Art war“ – über Jesus, der unsere Identität ans Kreuz trägt:

„Unser barmherzigster Vater … sandte seinen einzigen Sohn in die Welt, legte ihm die Sünden aller Menschen auf und sagte: Du sollst Petrus, der Verleugner sein; Paulus, der Verfolger, Gotteslästerer und grausame Unterdrücker; David, der Ehebrecher; jener Sünder, der den Apfel im Paradies aß; dieser Dieb, der am Kreuz hing; kurz, du sollst die Person sein, die die Sünden aller Menschen begangen hat; sieh also zu, dass du für sie bezahlst und sie begleichst.“

Dank Packer hat diese Aussage Luthers mehr als einmal den Weg in meine Predigt gefunden, und aufgrund seiner klaren Sicht wurden Menschen von ihrer tyrannisierenden Vergangenheit befreit.

Packers Liebe zur Wahrheit des Evangeliums ist überall in seinen Werken offensichtlich – insbesondere in seinem einleitenden Aufsatz zu John Owens The Death of Death in the Death of Christ (eine gekürzte Version von Owens Werk ist auf deutsch erschienen: Leben durch seinen Tod). Hier hat Packer mir geholfen, meine unreife Begeisterung für die fünf Punkte des Calvinismus zu überwinden, so dass ich schließlich verstand: „Für den Calvinismus gibt es in Wirklichkeit nur einen Punkt, der in den Bereich der Soteriologie fällt: den Punkt, dass Gott Sünder rettet.“ Und dann ging Packer ausführlich und mit überzeugender Kraft auf dieses Thema ein. Ich habe diesen Abschnitt seines Aufsatzes im ersten Kapitel meines Jesaja-Kommentars zitiert, als den „Schrank“, der in das „Narnia“ der Evangeliumsbotschaft des Propheten führt.

3. Packer hat aus der Bewegung der Puritaner viele bemerkenswerte Erkenntnisse gewonnen, die meine Generation geprägt haben.

In meiner Ausgabe von A Quest for Godliness: The Puritan Vision of the Christian Life habe ich den folgenden Satz auf Seite 39 gelb markiert:

„Das Ziel, dem nach puritanischer Auffassung jegliche kirchliche Ordnung dienen sollte, und für welches alles, was abergläubisch und irreführend ist und den Geist dämpft, ausgerottet werden musste, war die Herrlichkeit Gottes in und durch die Errettung der Sünder und die Gründung lebendiger Gemeinden, in denen Menschen Gott begegneten.“

Dieser eine Satz fasst zusammen, was wir in der Immanuel Church in Nashville mit Hilfe der Gnade Gottes versucht haben. Wir sind Packer – und durch ihn vermittelt unseren puritanischen Vorfahren – für ihre Einsicht und ihren Mut zu Dank verpflichtet, denn sie haben nichts zwischen sich und Gott kommen lassen und beeinflussen heute noch die Art und Weise, wie wir unsere Gottesdienste feiern.

4. Packer war ein Freund der Erweckung – was umso beeindruckender ist, da er ein theologisch gründlich denkender Mann war.

Er sehnte sich danach, die Macht des Herrn in seiner Gemeinde wirken zu sehen. Packer verstand das Problem: „Mangelnder Realitätssinn in Bezug auf Gott ist eine weit verbreitete, verheerende Krankheit im modernen Christentum“ (Gott erkennen, S. 305). Und er setzte sich für das Gegenmittel ein. In dem Buch God in Our Midst nannte er fünf Merkmale einer echten Erweckung: (1) Bewusstsein für Gottes Gegenwart, (2) Reaktion auf Gottes Wort, (3) Empfindsamkeit für Sünde, (4) lebendige Gemeinschaft und (5) Fruchtbarkeit des Zeugnisses. Mit pastoraler Weisheit appellierte Packer, offen zu sein. Auch mit Keep in Step with the Spirit (dt. Auf den Spuren des Heiligen Geistes) gab er uns ein gewinnbringendes Werk voller Korrektur und Ermutigung inmitten von Verwirrung und Kontroversen. Ich erinnere mich an eine Bemerkung Sinclair Fergusons, wie selten in Büchern über den Heiligen Geist Erweckung erwähnt werde. Packer ließ uns nicht im Stich, er definierte und beschrieb Erweckung klar, überzeugend und bewegend.

5. Packer half uns, Gott besser kennenzulernen.

Das Wort „Klassiker“ wird zu oft verwendet. Aber Packers Knowing God (dt. Gott erkennen) verdient es, als Klassiker bezeichnet zu werden. In unserer Ausgabe fiel meiner Frau diese scharfsinnige Beobachtung auf: „Wir sind moderne Menschen, und der moderne Mensch – der doch so sehr von seinen eigenen Fähigkeiten überzeugt ist – hat für gewöhnlich ein sehr kleines Bild von Gott.“ Das ist die wahre Quelle unseres tiefsten Elends. Doch dieses Buch führt uns respektvoll und nachdenklich in die heilende Herrlichkeit unseres Gottes und Vaters. Wer sonst würde in ein Buch, das uns die Erkenntnis Gottes auf persönlicher Ebene nahebringen will, einen Abschnitt über das biblische Buch Prediger aufnehmen? Packer tat es, und das mit einer hilfreichen Ehrlichkeit

„Der Gott der [diese Welt] regiert, hält sich selbst im Verborgenen. Nur selten erweckt die Welt den Eindruck, als würde sie von einer gütigen Vorsehung gelenkt werden. Nur selten scheint hinter allem eine rationale Kraft zu stehen. Zu häufig ist Wertloses von langer Dauer, während Wertvolles viel zu schnell vergeht.“

Ich habe großen Respekt vor diesem geistlichen Leiter, der die nötige Sensibilität besitzt, ein solch heißes Eisen mit der Zuversicht anzupacken, dass wir selbst in Gottes Unauffindbarkeit mehr von Gott erkennen werden.

Packers glaubensvolles Vermächtnis

Im Nachwort zu Leland Rykens Buch J.I. Packer: An Evangelical Life beschreibt Packer sich selbst als „historisch-theologischen Generalisten … mit einem besonderen Interesse am evangelikalen Erbe der reformatorischen, puritanischen, Erweckungs- und Erneuerungsfrömmigkeit“. Mein eigenes Engagement im Hinblick auf dieses Erbe ist aufgrund dieses liebenswürdigen Mannes selbstbewusster und klarer geworden. Ich bin dankbar. Ich fühle mich, als ob in mich investiert und für mich gesorgt wurde. Deshalb habe ich auch umso mehr die Verantwortung, in die nächste Generation zu investieren und für sie zu sorgen.

Wir haben inzwischen nicht nur J.I. Packer verloren, sondern eine ganze Generation großartiger christlicher Leiter. Zum Beispiel Billy und Ruth Graham, Carl Henry, Francis und Edith Schaeffer, John Stott, Bill und Vonette Bright, Jim und Elisabeth Elliot, Ray und Anne Ortlund und viele andere. Sie haben uns inspirierende Beispiele hinterlassen – es bleibt kein Raum für Ausreden. Ihre Geschichten sind ein lebendiger Beweis dafür, dass auch unser Lauf zu schaffen ist, wenn wir auf Jesus schauen (Hebr 12,1–2).

Lasst uns weitermachen.