Lass deinen Sonntagmorgen zur Herausforderung werden

Artikel von Rebecca McLaughlin
6. Juli 2020 — 7 Min Lesedauer

„Entschuldige bitte, ich muss dich unterbrechen!“ Ich fing eigentlich gerade an, mich vor dem Gottesdienst mit einer alten Freundin zu unterhalten. Ich hatte mich auf diese Unterhaltung gefreut. Doch als sie sprach, bemerkte ich eine Frau, die alleine saß und durch ihr Gemeindeheftchen blätterte.

Ehrlich gesagt, hatte ich mir gewünscht, ich hätte sie nicht gesehen. Es wäre unhöflich, meine Freundin zu unterbrechen. Es ist gut, dass ich Zeit in meine Freunde investiere! Bestimmt wird die Frau auch jemand anderem auffallen. Das waren einige Ausreden, an die ich sofort gedacht habe. Doch die Frau war offensichtlich neu, und soweit ich wusste, eine Ungläubige. Und so unterbrach ich widerwillig meine Freundin.

Sobald ich mich neben den Neuankömmling setzte, dankte ich Gott dafür, dass ich es getan hatte. Sie war katholisch aufgewachsen und hatte seit mehr als 10 Jahren keine Kirche mehr besucht. Ihr Verlobter hatte sie kurz vor ihrer Hochzeit verlassen und sie sehnte sich nach einem höheren Sinn in ihrem Leben. Ich traute mich und lud sie in unseren Hauskreis ein. Sie nahm die Einladung an. Seitdem besucht sie regelmäßig unseren Gottesdienst und die Bibelstunden.

Dies war eine der vielen Gelegenheiten, in denen mein Mann Bryan und ich die Möglichkeit hatten, uns mit Nichtchristen oder Unentschlossenen innerhalb unserer Gemeinde zu unterhalten. Ansonsten haben wir sehr wenig gemeinsam. Ich bin extrovertiert; er ist ein introvertiert. Ich komme aus England; er aus Oklahoma. Ich interessiere mich für Literatur; er ist Ingenieur. Doch Gott hat uns durch ein gemeinsames Gespür für Mission zusammengebracht, und Bryan formulierte vor einiger Zeit drei Grundideen für Engagement innerhalb der Gemeinde.

1. Eine einsame Person in unseren Gottesdiensten ist ein Notfall

In Krisenzeiten verhalten wir uns anders als sonst. Wir unterbrechen Unterhaltungen. Wir ignorieren soziale Anstandsregeln. Wenn jemand im Gemeindehaus zusammenbrechen würde, wären alle sofort zur Stelle. Doch jede Woche kommen Menschen zum ersten Mal in unseren Gottesdienst und werden bewusst ignoriert. Vielleicht kennen sie Jesus noch nicht, oder haben sich in den letzten Jahren mehr und mehr von ihm entfernt. Ihre geistliche Gesundheit steht auf dem Spiel, und eine einfache Unterhaltung könnte das Medikament sein, mit dem Gott sie auf eine lebensrettende Operation vorbereitet. Es geht hierbei um ewiges Leben.

„Wenn jemand im Gemeindehaus zusammenbrechen würde, wären alle sofort zur Stelle. Doch jede Woche kommen Menschen zum ersten Mal in unseren Gottesdienst und werden bewusst ignoriert.“

 

Was, wenn es sich bei der einsamen Person um einen regelmäßigen Besucher handelt? Ein isolierter Gläubiger ist genauso ein Notfall. „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid“, sagte Jesus, „wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh 13,35). Natürlich genießen wir es alle, hin und wieder mal allein zu sein, doch Einsamkeit in der Gemeinde steht auf der gleichen Stufe wie fehlendes Gebet oder mangelnde Großzügigkeit. Wie können wir behaupten, „ein Leib“ (1Kor 12,12) zu sein, wenn wir im Gottesdienst nicht einmal nebeneinander sitzen und einander ermutigen können?

Wir kommen als fünfköpfige Familie in den Gottesdienst. Doch unsere wahre Familie ist aus neutestamentlicher Sicht nicht unsere biologische; es ist die Gemeinde selbst. Um genau zu sein, versprach Jesus jedem, der seine Familie verlassen und ihm nachfolgen würde, als Gewinn eine weitaus größere Familie innerhalb seines Volkes (Mk 10,29–30). Es gibt konkrete Möglichkeiten, wie wir dies innerhalb der Gemeinde zum Ausdruck bringen können. Diejenigen, die mit ihren eigenen Familien zum Gottesdienst kommen, können andere einladen, sich zu ihnen zu setzen. Alternativ kann man sich als Familie sogar aufteilen, um neben anderen Personen sitzen zu können.

Letzte Woche beschloss ich zum Beispiel, mich zwischen zwei Schwestern im Glauben zu setzen – eine aus Nigeria, eine aus Ghana – und Jesus gemeinsam mit ihnen anzubeten. Ein Leib mit unseren geistlichen Geschwistern zu sein bedeutet mehr, als sich im Gottesdienst neben sie zu setzen, aber es bedeutet garantiert nicht weniger.

Dieser Aufruf bezieht sich nicht nur auf verheiratete Paare. Unterschätze nicht, wie Gott andere durch dich segnen kann, wenn du alleine zum Gottesdienst kommst. Vor einiger Zeit erzählte mir eine alleinstehende Freundin, wie traurig sie darüber sei, im Gottesdienst alleine sitzen zu müssen. Sie hat einen wundervollen, extrovertierten Charakter mit viel sozialer Empathie. Also sagte ich ihr, dass sie kein Recht hätte, alleine zu sitzen, wenn sie doch durch ihre Gemeinschaft ein Segen für andere sein könnte! Ich bin mir sicher, dass wir alle an irgendeinem Punkt in den Gottesdienst kamen und uns fragten: „Wer wird sich für mich interessieren?“ Was wäre, wenn wir uns stattdessen fragen würden „Für wen kann ich mich interessieren?“

2. Freunde können warten

Verpasste ich einen wertvollen Moment in unserer Freundschaft, als ich meine Freundin unterbrach, um die allein sitzende Frau zu begrüßen? Ja und Nein. Die Bibel nennt uns Mitstreiter (Phil 2,25; Phlm 2), und nur wenige Bindungen sind stärker als die, die im Kampf entstehen. Soldaten schauen selten einander an. Sie schauen eher nach außen, Schulter an Schulter stehend, oder in Extremsituationen Rücken an Rücken. Der Kampf bringt sie näher zusammen.

„Kennst du diese Frau?“ fragte ich eines Sonntagmorgens eine andere Freundin am Anfang unseres Gesprächs. „Nein. Ich sollte hingehen und sie ansprechen, oder?“, antwortete sie. Als ich meiner Freundin dabei zusah, wie sie den neuen Gast begrüßte, fühlte ich mich ihr näher denn je, denn wir teilten eine gemeinsame Mission.

Sich gegenseitig anzuspornen, Fremde in Jesu Namen willkommen zu heißen, wird unsere Freundschaft nicht schwächen; es wird ihr eine neue Tiefe geben.

 

Freunde können sonntags hintenangestellt werden. Oder noch besser, sie können sich der gleichen Sache widmen. Sich gegenseitig anzuspornen, Fremde in Jesu Namen willkommen zu heißen, wird unsere Freundschaft nicht schwächen; es wird ihr eine neue Tiefe geben.

3. Stelle die neue Person anderen vor

Vor einigen Jahren traf ich eine Frau in der Kassenschlange im Supermarkt. Sie war vor kurzem aus China hierher gezogen und war Gastwissenschaftlerin in Harvard. Wir fingen an, uns zu unterhalten, und ich traute mich, sie in den Gottesdienst einzuladen. Sie nahm die Einladung an. Ihr Englisch war bei weitem besser als mein nicht vorhandenes Mandarin, trotzdem gab es eine Sprachbarriere zwischen uns. Nach dem Gottesdienst stellte ich sie also einer Chinesisch sprechenden Freundin vor. Minuten später tauschte meine Glaubensfreundin schon Telefonnummern mit der Frau aus. Mir hatten in dieser Situation die richtigen Worte gefehlt, doch meine Freundin ergriff sofort die Gelegenheit, der Frau das Evangelium zu erklären.

Auch ohne Sprachbarrieren ist es von Vorteil, wenn Fremde mehrere Bekanntschaften machen. Wenn möglich, suche ich immer jemanden mit einer Überschneidung; gleiches Herkunftsland, gleicher Heimatstaat, gleiche Schule, gleicher Beruf oder gleiche Lebensphase. Doch unsere Treffen sollten alle demografischen Grenzen überschreiten, und wir müssen uns dazu verpflichten, uns mit denen zu beschäftigen, die anders sind als wir.

Tatsächlich sind wir keine guten geistlichen Vorbilder, wenn wir Sonntagmorgens nicht auch Unterhaltungen haben, die schwierig zu führen sind und uns somit zwingen, Gespräche über unsere üblichen Themen hinaus zu führen, um Barrieren zu überwinden.

Als Paulus die ethnischen, kulturellen und sozialen Unterschiede seiner Zeit aufzeigte, erinnerte er die Kolosser daran, dass „nicht Grieche noch Jude ist, weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit, noch Barbar, Skythe, Knecht, Freier – sondern alles und in allen Christus“ (Kol 3,11).

Geh das Risiko ein

Lasst uns also diesen Sonntag das Risiko eingehen. Lasst uns über die kleinen Unterschiede hinweg andere erreichen, indem wir den nachahmen, der die große Kluft zu uns überwunden hat. Und lasst uns unsere Freunde anspornen, das Gleiche zu tun, denn die Ernte ist groß.

Wir werden vielleicht nie erfahren, welchen Unterschied unser kleiner Schritt gemacht hat. Doch manchmal zeigt uns Gott, wie er unsere kleinen Taten in seinen viel größeren Plan mit eingewebt hat. Letzten Monat bat ich in unserem Hauskreis um Zeugnisse, wie Gott die Teilnehmer in schweren Zeiten gesegnet hat. Die bewegendste Antwort war die jener Frau, für die ich meine Freundin an diesem einen Sonntag hatte stehen lassen: „Ich bin so dankbar, dass mein Verlobter mich verlassen hat. Wäre das nicht passiert, hätte ich Gott nie gefunden.“