„Gott, verkleidet als Michael Jordan“ (und wie sich meine Sicht auf Sport verändert hat)
„Das war Gott, verkleidet als Michael Jordan“.
Larry Bird sprach diese berühmten Worte, nachdem er dem jungen Michael Jordan dabei zugesehen hatte, wie dieser sein Team entfesselt zu 63 Punkten in den Playoffs im Jahr 1986 führte. Diese Worte wurden Teil der Jordan-Saga, Worte, die seine Größe bezeugen. Doch als gerade dieser Satz in der Dokumentation The Last Dance fiel, einer Serie über Jordan und die Chicago Bulls, die gerade bei Netflix läuft, traf er mich sicher anders, als Larry Bird es beabsichtigt hatte. Er veranlasste mich, zu reflektieren, wie ich Jordan im Laufe meines Lebens als Christ auf ganz unterschiedliche Art und Weise wahrgenommen habe, und darüber nachzudenken, als was ich ihn jetzt sehe.
Dass sich meine Sicht auf Michael Jordan verändert hat, ist nichts Besonderes. Diese Entwicklung lässt sich als Muster christlichen Engagements in der Kultur auf viele Lebensbereiche anwenden, nicht nur auf Sport. Das führt zu Fragen, die für unsere Generation nichts Neues sind. Wie sollen wir „in der Welt, aber nicht von der Welt“ sein? Wie kann man das Gute in Gottes Schöpfung in einer gefallenen Welt genießen? Wieso fühlen wir uns zu Berühmtheiten hingezogen – und was bewundern wir tatsächlich an ihnen?
Vielleicht stellst du dir diese Fragen bei Musikern, Schauspielern, Regisseuren oder Autoren. Doch ich stelle sie mir bei Michael Jordan.
Heilig versus weltlich
Meine Anfänge als Jordan-Fan liegen darin, dass ich versuchte, seine Art zu spielen in unserem Hinterhof nachzuahmen. Darin war ich nicht sehr gut, doch ich war ein ausgesprochen guter Konsument von allem, was Jordan in der Werbung guthieß, vor allem von Müsli mit seinem Konterfei auf der Packung. Nachdem ich meine Schüssel gefüllt und einen Bissen genommen hatte, stand ich auf und begann zu springen. „Ich glaube, ich springe höher!“, war ich mir sicher.
„Wie viele andere Evangelikale wurde ich erzogen, der Welt gegenüber skeptisch zu sein und mich im Alltag auf den Kampf mit der unsichtbaren Welt einzustellen: zwischen Geist und Fleisch, heilig und weltlich.“
Selbstverständlich hatte ich auch ein Poster von Jordan an meiner Zimmerwand hängen.
Doch meine Begeisterung als Fan wurde immer wieder ausgebremst. Wie viele andere Evangelikale wurde ich erzogen, der Welt gegenüber skeptisch zu sein und mich im Alltag auf den Kampf mit der unsichtbaren Welt einzustellen: zwischen Geist und Fleisch, heilig und weltlich.
Jordan fiel definitiv in die Kategorie weltlich.
Und so nahm ich das Poster, nur einige Wochen nachdem es aufgehängt wurde, wieder ab. Meine Eltern zwangen mich nicht dazu, aber sie sprachen mit mir über die geistlichen Mächte, die es eventuell repräsentieren könnte, und dass diese Kräfte möglicherweise im Gegensatz zum christlichen Geist stehen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie Larry Birds berühmten Satz gehört hatten. Doch wenn es so wäre, wäre es für sie wahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass seine Fans ihn so leichtfertig anbeteten, wie es eigentlich nur Gott gebührt, wahrscheinlich nur eine Bestätigung der geistlichen Gefahren, die von Jordans Anziehungskraft ausgingen.
Instrumentalisierung der Kultur
Als ich älter wurde und mich mehr mit Sport beschäftigte, klang das Spannungsfeld, das das Poster repräsentierte, nie wirklich ab. Doch ich fand neue Strategien, um das Ganze zu umgehen. Die vielleicht wichtigste Strategie war, dass ich Sport als Mittel sah, das für Gott genutzt werden konnte. Natürlich ist Sport ein Teil der säkularen Welt, doch er genießt die Aufmerksamkeit von Millionen von Menschen. Was für eine Plattform für Evangelisation! Christen könnten an solchen „weltlichen“ Dingen teilnehmen – solange ihre Teilnahme „geistlichen“ Zwecken dient.
Mit diesem Wissen ausgerüstet lernte ich nach Wegen zu suchen, wie man den Sport für das Christentum nutzen konnte. Jordan hatte vielleicht sechs Meisterschaften gewonnen, doch bekennende Christen wie David Robinson hatten, indem sie ihre Bekanntheit dafür nutzten, das Evangelium weiterzugeben, einen Einfluss für die Ewigkeit.
Diese Art der Instrumentalisierung des Sports half mir durch die Zeit, als ich im College Basketball spielte. Doch die Anspannung klang nie ganz ab. Der Gedanke, dass Sport zu machen und zu schauen eine christliche Aktivität zweiter Klasse war, blieb.
Teil der wunderbaren Schöpfung
Als mein Studium weiter voranschritt und ich anfing mehr darüber zu lesen, was Theologen über Sport und Kultur zu sagen hatten, fand ich einen neuen Weg für mich. Ich musste Sport nicht instrumentalisieren, um meine Liebe dafür zu rechtfertigen, denn alles in dieser Welt – Sport mit eingeschlossen – ist Teil der wunderbaren Schöpfung Gottes. Ich konnte Sport einfach annehmen und als ein Geschenk Gottes sehen.
Ich verschlang Bücher wie Michael Novaks Klassiker aus dem Jahr 1976, „The Joy of Sports“. Novak beschreibt einen „Hunger nach Perfektion“ im Sport, der „den treibenden Kern des menschlichen Geistes“ darstellt. Jordan hat höchstwahrscheinlich nicht Jesus nach seinen Siegen gedankt, doch mit seinem gottgegebenen Talent wies er trotz allem auf den Schöpfer hin.
„Ich musste Sport nicht instrumentalisieren, um meine Liebe dafür zu rechtfertigen, denn alles in dieser Welt – Sport mit eingeschlossen – ist Teil der wunderbaren Schöpfung Gottes.“
Dieses Verständnis von Sport half mir dabei, das unvergleichbare Talent Jordans aufs Neue zu erkennen und wertzuschätzen. Ich sah die Welt nicht mehr zweigeteilt in heilig und weltlich, mit Sport als Teil der zweiten Kategorie. Mein ganzes Leben gehörte Jesus – jeder Quadratzentimeter davon. Genauso wie ein Musikliebhaber sich Gott vielleicht näher fühlt, während er Mozart hört, kann ein Sportbegeisterter während einer akrobatischen Spitzenleistung über die Schönheit der Schöpfung nachdenken.
„Gott, verkleidet als Michael Jordan“ war kein Satz mehr, bei dem für Christen sofort die Warnlampen aufleuchteten. Es war kein Versuch, Gottes Allmacht zu untergraben. Stattdessen stand es für einen von Gott gegebenen menschlichen Impuls, nach Spitzenleistungen zu streben und über uns hinaus zu wachsen.
Wiederentdeckte Spannung
Zu der Zeit, als ich diese Sicht auf Sport entwickelte, hatte Jordan seine professionelle Karriere schon längst beendet, doch The Last Dance erweckte ihn für mich wieder zum Leben. Während ich zuschaute sah ich vieles, was meine Einstellung gegenüber Sport und Kultur bestätigte. Ich sah Schönheit, Anmut, Entschlossenheit – alles Dinge der Schöpfung, an denen man sich erfreuen darf. Und ich erlebte auch zwischenmenschlich Freude, wenn ich mit anderen über die Dokumentation sprach.
„Fühle ich mich mehr zu den Göttern des Erfolgs, des Ruhms und des Gewinnens als zu Gott dem Schöpfer hingezogen, wenn ich mich an Jordan erfreue?“
Doch The Last Dance zu schauen weckte in mir auch die Kindheitserinnerungen, die ich mit Jordan erlebt hatte: das Poster, das Müsli, das Nachahmen. Und es ermöglichte mir eine Sicht auf Michael Jordan, wie ich sie früher nicht hatte: der rachsüchtige, tyrannisierende Mobber. Ich konnte nicht anders als mich zu fragen, ob ich bei meinem scheinbar weiter entwickelten Verständnis von Sport nicht etwas verloren hatte. Vielleicht enthielten die frühen Verdachtsmomente doch einiges an Wahrheit.
Das Problem liegt nicht so sehr darin, dass ich Jordan vielleicht als Gott sehen würde. Stattdessen liegt das Problem viel mehr in den Dingen, die sich als Gott-Ersatz, verkleidet als Michael Jordan, in unser Leben schleichen. Es geht um die kulturellen Werte und Prioritäten, die Jordan verkörpert und vertritt. Fühle ich mich mehr zu den Göttern des Erfolgs, des Ruhms und des Gewinnens als zu Gott dem Schöpfer hingezogen, wenn ich mich an Jordan erfreue?
Natürlich sage ich mir selbst, dass bei mir das letztere zutrifft. Doch es ist viel schwerer nachzuvollziehen, was in meinem Herzen wirklich vor sich geht, wenn ich Michael Jordan bewundere – oder wenn wir zu Musikern, Schauspielern oder Autoren aufsehen.
Was können wir also tun? Sollen wir unsere Poster von der Wand reißen und unsere kulturellen Interessen in „weltlich“ und „heilig“ aufteilen?
Ich habe angefangen, mir die folgende Frage zu stellen: Wo sehe und erfreue ich mich in der Regel an Gottes wunderbarer Schöpfung? Wenn ich das sogar bei den alltäglichen und kleinen Dingen tun kann – die, die unsere Kultur nicht anbetet – kann meine Begeisterung für Jordan auch einfach nur eine Art sein, die Welt so zu sehen, wie Gott sie sich gedacht hat. Doch wenn ich Gottes Güte vorrangig in Dingen sehe, die – in der Welt des Michael Jordan – für Erfolg stehen, dann bete ich mit großer Wahrscheinlichkeit auch andere Götter an. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich nicht so immun gegenüber kulturellen Einflüssen bin, wie ich denke. Der Unterschied zwischen mir als Kind, das daran glaubte, dass Essen von Müsli würde mich springen lassen wie Mike und mir als Erwachsenem, der sich so sehr wünscht, seinen Glauben und seine Begeisterung für Jordan vereinen zu können, ist nicht so groß.
Heute würde ich das Poster von Jordan höchstwahrscheinlich nicht abnehmen. Aber ich versuche, mir wieder etwas von meinem Kindheitseifer anzueignen, die „Geister zu prüfen“. Es geht nicht mehr um die Spannung zwischen heilig versus weltlich, aber dennoch ist es ein Spannungsfeld: Wir leben in einer guten, aber gefallenen Welt, in der Gottes Reich schon jetzt da ist, gleichzeitig aber noch nicht vollendet ist, wo die Götzen unserer Zeit sich vielleicht nur als die verkleideten Stars herausstellen, die wir so bewundern.