Was sich hinter Verschwörungstheorien verbirgt
Einer meiner Lieblingsfilme von Mel Gibson ist „Fletchers Visionen“ (Originaltitel: Conspiracy Theory). Ich mag den Film nicht deswegen, weil mich Verschwörungstheorien in ihren Bann ziehen würden. Mich fasziniert, dass man sich am Ende des Films fragt: Ist Gibsons Figur paranoid – bringt er die verschiedenen Ereignisse aus den Nachrichten miteinander in Verbindung, weil er irgendwie geistig krank ist – oder ist seine Theorie doch objektiv begründbar?
Ich schreibe diesen Artikel, nachdem ich mich anderthalb Stunden mit einem alten Bekannten unterhalten habe, den ich vor dreißig Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Er ist, das möchte ich betonen, nicht psychisch labil. Doch in unserem Gespräch präsentierte er mir eine unheimlich komplizierte und detaillierte Verschwörungstheorie, angefangen bei den Illuminati, über die katholische Kirche, Pädophilenringe, das Dark Web, von der CIA angeordnete Morde und bis hin zur Herstellung von genmanipulierten Nahrungsmitteln zur Reduzierung der Weltbevölkerung. Nach 90 Minuten war ich fix und fertig.
Als erstes fiel mir auf: Ich konnte sagen, was ich wollte, um die Theorie dezent in Frage zu stellen, alles wurde wegerklärt. Es war ihm nicht möglich, auch nur das kleinste Problem in seiner Theorie zu erkennen oder Ungereimtheiten einzugestehen. Als ich anmerkte, dass einige Punkte widersprüchlich seien, brachte er Aliens ins Spiel, um die Geschichte gerade zu biegen.
Während er mir so seine Theorie beschrieb, schossen mir zwei Fragen durch den Kopf: Klingen Christen so für andere Leute? Und was macht Verschwörungstheorien so anziehend?
Daher nun fünf Überlegungen zu Verschwörungstheorien im Blick auf diese zwei Fragen:
1. Verschwörungstheorien sind ein Versuch, unsere Welt zu erklären.
„Verschwörungstheorien sind ein Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen. Der christliche Glaube tut das auch – und zwar besser.“
Verschwörungstheorien versuchen, Zusammenhänge herzustellen und die Masse an Informationen, die uns tagtäglich überflutet, zu sortieren. Der menschliche Verstand ist nun mal begrenzt und hat seine Mühe damit, die Datenmengen zu ordnen, mit denen wir förmlich bombardiert werden und die niemand komplett verarbeiten kann. Verschwörungstheorien sind ein Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen.
Der christliche Glaube tut das auch – und zwar besser. Er bietet eine stimmige Weltsicht, die sowohl die kleinen Details des Lebens als auch die großen Zusammenhänge erklären kann, ohne zu viel zu behaupten oder zu viel zu versprechen. Er erklärt alle Aspekte unseres Daseins, einschließlich Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, die menschliche Natur in ihrer besten und ihrer schlimmsten Form, gute und schlechte Regierungen, den Sinn der Menschheitsgeschichte und den Sinn des Lebens. Er erklärt die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, indem er auf Jesus weist, als unseren Herrn, Richter und König, der über diese Schöpfung und über die neue Schöpfung regiert.
2. Eine zynische Sicht auf Medien und Macht.
Verschwörungstheorien sind zu Teilen eine verständliche Reaktion auf echte Medienmanipulation. Ein Blick in die Geschichte und auch die eigene Erfahrung zeigen schnell, dass die Medien oft nicht ihrem Wahrheitsanspruch gerecht geworden sind. Wir haben uns an eine gewisse politische Schlagseite der Nachrichten und mittlerweile auch an „Fake News“ gewöhnt. Wir sind uns bewusst, dass sich alle Supermächte – ob USA, China oder Russland – aktiv in die Angelegenheiten der anderen einmischen, indem sie Falschinformationen verbreiten.
Die Regierungsskepsis der Verschwörungstheoretiker hat eine gewisse Berechtigung. Denn Regierungen bestehen nun mal aus Menschen, die einerseits im Bilde Gottes geschaffen sind und Gutes tun, aber andererseits eben auch gefallene und sündhafte Geschöpfe sind. Sie können von Satan benutzt werden (und werden das auch häufig), um die Machtlosen auszunutzen und die Gläubigen zu unterdrücken (Dan 2; 7; Offb 13).
Und dennoch sagt die Bibel, dass wir für unsere Regierungen dankbar sein sollen. Selbst schlechte Regierende sind Gottes Diener, die er eingesetzt hat, um das Böse in die Schranken zu weisen und Übeltäter zu bestrafen (Röm 13). Verschwörungstheoretikern fehlt die Dankbarkeit für unvollkommene Regierungen. Wir sollten uns alle bewusst sein, dass selbst eine schlechte Regierung besser ist als gar keine Regierung. Anarchie ist immer noch die schlechteste aller möglichen Welten.
3. Eine Ahnung, dass nicht alles so ist, wie es scheint.
Verschwörungstheoretiker wollen ständig einen Blick hinter die Kulissen werfen. Sie reden von grauen Männern in geheimen Treffen, die im Verborgenen agieren und versuchen, die Strippen zu ziehen – womit sie dem kleinen Mann das Leben schwer machen.
Der christliche Glaube sagt, dass diese Sichtweise zumindest teilweise stimmt. Es gibt tatsächlich eine Realität, die über das, was wir mit unseren Augen sehen können, hinausgeht: „[Unser] Kampf richtet sich nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Herrschaften, gegen die Gewalten, gegen die Weltbeherrscher der Finsternis dieser Weltzeit, gegen die geistlichen [Mächte] der Bosheit in den himmlischen [Regionen]“ (Eph 6,12). Der Satan ist der Fürst dieser Welt und er hat den Verstand der Ungläubigen verblendet. Wie schon gesagt, sind die Regierenden einerseits Gottes Diener, um das Böse in die Schranken zu weisen, werden aber andererseits auch vom Satan benutzt, um Schaden zu bewirken und die Menschen zu unterdrücken.
4. Wir sind alle Teil des Problems (nicht nur „die da oben“)
„Die Situation ist noch schlimmer, als es diese Theorien ausmalen. Denn das Problem liegt nicht irgendwo da draußen, sondern in unserem eigenen Herzen.“
Die Situation ist noch schlimmer, als es diese Theorien ausmalen. Denn das Problem liegt nicht irgendwo da draußen, sondern in unserem eigenen Herzen. Während Verschwörungstheorien sich meist um eine kleine Gruppe mächtiger Schurken drehen, sagt die Bibel, dass wir alle beteiligt sind. Wir alle versuchen, „die Wahrheit durch Ungerechtigkeit [aufzuhalten]“ (Röm 1,18); wir alle versuchen, vergessen zu machen, dass wir einen Schöpfer und Richter haben, der uns zur Verantwortung ziehen wird.
Als die Times ihre Leser fragte: „Was ist bloß los mit der Welt?“, war Chestertons Antwort einfach: „Ich bin das Problem.“ Verschwörungstheoretiker denken zu wenig darüber nach, dass sie selbst ein Faktor in den Problemen dieser Welt sind.
5. Verschwörungstheorien sind eine Form des Gnostizismus
Verschwörungstheoretiker sind fasziniert von der Vorstellung eines „Geheimwissens“ – ähnlich wie die Gruppe der Gnostiker zur Zeit der frühen Gemeinde. Der Gnostizismus versprach eine Art religiöses Insider-Wissen, das nur einer geistlichen Elite zugänglich war. Um diese Einsichten zu gewinnen, musste man in Kontakt mit den Menschen kommen, die wussten, wie man an die echte Wahrheit herankommt.
Und so denken auch Verschwörungstheoretiker heute. In unserem Gespräch stellte sich mein Bekannter als der Mann „mit dem Durchblick“ dar – als der, der das Rätsel lösen und die Zusammenhänge aufzeigen kann.
Doch die christliche Weltanschauung sagt, dass Gottes Offenbarung in der Menschheitsgeschichte öffentlich und „nicht im Verborgenen geschehen“ ist, wie Paulus sagt (Apg 26,26). Sie basiert auf Augenzeugenberichten und wurde für den prüfenden Blick der Öffentlichkeit aufgeschrieben (Joh 20,30–31). Die Aufgabe des Predigers ist es lediglich, das Wort Gottes gerade heraus, klar und verständlich zu predigen, ohne irgendwelche Hinterlist oder Manipulation.
Zusammenfassung
Verschwörungstheorien verbreiten Furcht, ohne eine tragfähige Lösung zu bieten. Der christliche Glaube hingegen verbreitet Vertrauen auf Christus, jetzt und in Zukunft – selbst unter der schlimmsten Unterdrückung und Gewaltherrschaft. Weil Christus lebt und regiert, kann Gottes Volk unaussprechliche Freude und Zuversicht haben (1Petr 1,3.6.8).
Wir fürchten den Herrn, damit wir dem Herrn frei von Furcht dienen können. Durch ihn wissen wir, dass wir Frieden mit Gott, den Sieg über den Tod, vollkommene Vergebung und neues Leben haben können. Wir erwarten den Tag, an dem der Satan entwaffnet und hinabgestürzt wird; wir erwarten einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Wir können eine bessere Geschichte erzählen, denn als Christen beten wir einen souveränen und gnädigen Gott an. Deshalb können wir sagen: „Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?“