Rediscovering the Holy Spirit
Der Heilige Geist im Meer der Meinungen
In Zeiten von Fake News und polarisierten Meinungen fällt es schwer, nüchtern die Fakten zu überblicken. Vieles klingt zu gut, um falsch zu sein. Wer dennoch versucht abwägend aufzutreten, überzeugt oder begeistert meistens erst im zweiten Anlauf, wenn überhaupt. Ähnlich ergeht es vielen, die sich eingehender mit dem Heiligen Geist beschäftigen: Unzählige Stimmen kursieren und bemühen sich um die Deutungshoheit. Was oder wer ist also der Heilige Geist? Welche Rolle spielt er heute im Leben der Gläubigen? Der Professor, Autor, Konferenzredner und Radio-Moderator Michael Horton hat dazu ein fundiertes und zum Teil kurzweiliges theologisches Sachbuch veröffentlicht, das Aufmerksamkeit verdient.
Die Orientierung nicht verlieren
Einführend schildert Horton die Unklarheit, die viele verspüren, wenn es um Gottes Geist geht: Oft spielen Gläubige die persönliche Erfahrung und Gottes Wort gegeneinander aus, oder sie sehen die Zuständigkeit des Geistes nur im Außergewöhnlichen. Auch wenn die Pneumatologie, d. h. die Lehre vom Heiligen Geist, in den letzten Jahrzehnten wieder neu in den Fokus von Theologen kam, so beschäftigte sich die Kirche bereits von Anfang an mit dem Geist. Auffällig und bedenklich ist die heutige Tendenz in akademischen und kirchlichen Kreisen, den Heiligen Geist zu entpersonalisieren oder aus der Trinität herauszulösen. In den restlichen zwölf Kapiteln verbindet Horton drei unterschiedliche Perspektiven, um die Lehre vom Heiligen Geist griffig, relevant und dennoch tiefgehend darzustellen: die Biblische Theologie, um dem roten Faden in Gottes Wort zu folgen; die Systematische Theologie, um thematisch-theologisch den Überblick zu behalten; sowie die Kirchengeschichte, um von den Einsichten und Abwegen vergangener Generationen zu lernen.
Den Geist umfassender verstehen und kennenlernen
Kapitel 1 dreht sich grundsätzlich um den Heiligen Geist als Herrn und Lebensspender, der sich zwar vom Vater und vom Sohn unterscheidet, doch in Einheit mit ihnen existiert und entsprechend agiert. Bereits im ersten Kapitel der Bibel stößt man auf Gottes ewigen Geist, der sich beim Weiterlesen gerade nicht als eine unpersönliche Kraft darstellt, sondern als aktiv Handelnder und als göttliche Person der Dreieinigkeit. Wie der Geist in der Schöpfung und in Gottes Vorsehung in der Welt handelt, beleuchtet Horton in Kapitel 2. Darüber hinaus geht er auf pantheistische und postmoderne Theorien ein, die den Heiligen Geist entweder zu universal sehen, oder ihn in einen zu starken Gegensatz zur Schöpfung setzen.
In Kapitel 3 verfolgt Horton, welche Rolle der Heilige Geist in der biblischen Heilsgeschichte hat: Wie der erste Mensch Adam geschaffen wurde, so bereitete der Geist durch die Patriarchen und später durch die Propheten das Volk Israel zu, um bei ihnen zu wohnen. Der Höhepunkt ist schließlich Jesu Menschwerdung, bei der ein Individuum – wahrer Gott und wahrer Mensch – zum rettenden Stellvertreter einer erneuerten Menschheit wird. Dass der Heilige Geist nicht nur rettend, sondern in der gesamten Bibel auch richtend aktiv ist, nicht zuletzt in der Endzeit seit Pfingsten, ist der Schwerpunkt von Kapitel 4.
Der Heilige Geist im Neuen Bund
Jesu Abschiedsreden im Johannesevangelium gehören zweifellos zu den Schlüsseltexten der Pneumatologie. Darin betont Jesus, dass sein Abschied und die Sendung seines Geistes zum Vorteil für die Jünger ist – einerseits ist er ihr Tröster, andererseits ihr Anwalt, der ihnen in dieser Welt beisteht. Horton unterstreicht in Kapitel 5, dass Jesus seit seiner Verherrlichung faktisch nicht mehr präsent, doch durch den Geist weiter gegenwärtig ist. Der Geist wird so das Werk vollenden, das der Vater begonnen und der Sohn zur Erfüllung gebracht hat.
Kapitel 6 trägt die markante Überschrift ‚Das Zeitalter des Geistes‘. Horton beschreibt hier, wie Menschen den Heiligen Geist in unterschiedlichen Epochen erlebten und welche Absicht er in diversen Schlüsselmomenten verfolgte. Seine Gegenwart im Alten Testament hat einiges mit dem Neuen Testament gemeinsam; gleichzeitig erweitert er vieles und bringt in den Worten und Taten der Apostel etwas Neues voran. Mit Blick auf die Taufe des Geistes betont Horton in Kapitel 7, wie zunächst Christus selbst damit geheiligt und stellvertretend gerichtet wurde, bevor Gott sein endzeitliches Volk auf dieselbe Weise beansprucht. Die Taufe des Geistes versteht der Autor nicht als einen zweiten Segen oder als eine intensivere Nähe zu Gott, sondern grundsätzlicher, als versiegelnde Vereinigung mit Christus aus Gnade durch den Glauben. Wie nun der Heilige Geist seine größte Gabe, die Rettung in Christus, auf die Gläubigen im Einzelnen anwendet, beschreibt eindrücklich das darauffolgende Kapitel.
Der Heilige Geist und die Gesamtgemeinde Jesu
Kapitel 9 beschäftigt sich hingegen mit den vielfältigen Gaben des Geistes, um die eine Gemeinde Gottes aufzubauen. Ausgehend von Epheser 4,8 deutet Horton die Geistesgaben als ‚Beuteanteil‘ des Sieges, den Christus errungen hat. Mit Blick auf die scheinbar außergewöhnlichen Gaben unterscheidet der Autor zwischen dem, wie der Geist nach Pfingsten einmalig die Grundlage der Kirche gelegt hat, und wie er in der heutigen Zeit darauf aufbaut. Auch wenn er außergewöhnliche Zeichen nicht ausschließt, hält Horton an dem hermeneutischen Prinzip fest: Die ursprüngliche Erfahrung der Apostel ist keine schematische Vorgabe für die Kirche der Gegenwart.
„Von Ewigkeit her liegt die Gemeinde Gott so sehr am Herzen, dass der ewige Sohn sie durch sein eigenes Blut erworben hat und nun durch den Geist zubereitet.“
Zur Stärkung der Gemeinde benutzt der Geist besonders auch das gepredigte Wort und die Sakramente, so der Hauptgedanke von Kapitel 10. Statt nach sogenannten Wundern Ausschau zu halten, darf die Gemeinde im Alltäglichen erleben, wie Menschen auf mächtige Weise gerettet und durch den Geist verändert werden. Während Horton danach knapp auf das himmlische Heimweh der Christen und ihre zukünftige Verherrlichung eingeht, betrachtet er in Kapitel 12 die Beziehung von Gottes Geist und Jesu Braut. Statt den Geist und die Gemeinde voneinander zu trennen oder in eins zu setzen, statt die Kirche und das Königreich Gottes als Konkurrenten zu verstehen, liefert die Bibel eine integrierende Sicht: Von Ewigkeit her liegt die Gemeinde Gott so sehr am Herzen, dass der ewige Sohn sie durch sein eigenes Blut erworben hat und nun durch den Geist zubereitet. So gesehen ist die Gemeinde nicht nur ein Zweck, sondern in ihrer missionarischen Extraversion das eschatologische Ziel von Gottes Mission.
Ein wegweisendes Buch mit wenigen Ecken und Kanten
Obwohl der zwanglose Titel es nahelegt und Horton einen guten Schreibstil pflegt, liegt hier kein Buch für Einsteiger vor. Die gut 320 Textseiten mit 557 Fußnoten, das Bibelstellenverzeichnis sowie das Schlagwortverzeichnis laden zu einer ausführlichen Beschäftigung mit dem Heiligen Geist ein. Die Untersuchung ist insgesamt gut strukturiert, aber nicht immer geht der Autor gleichmäßig und linear vor: Einige Kapitel sind ausgesprochen detailliert, andere wirken eher gerafft. Manche Passagen überlappen sich inhaltlich, was neben hilfreichen Verknüpfungen auch Wiederholungen mit sich bringt. Eine methodische Stärke des Buches ist, Biblische Theologie, Systematische Theologie und Kirchengeschichte zu kombinieren. Hortons durchgehend trinitarischer Ansatz, sein Blick auf die Patristik, seine apologetischen Abstecher und die Besprechung gegenwärtiger Theologien (u.a. Moltmann) sind ebenso hilfreich. Geradezu erbaulich wirken Kapitel 8 zur ordo salutis und Kapitel 12 zur Ekklesiologie, in denen Horton nochmals viele Fäden zusammenführt. Nicht alle seine Erklärungen und Rückschlüsse werden überzeugen; auch wünschte man sich mehr explizite pastorale Impulse. Trotzdem ist Rediscovering the Holy Spirit den Kauf definitiv wert. Hauptamtliche und Leser mit theologischen Vorkenntnissen werden hier jede Menge Anregungen zum theologischen Weiterdenken und für die persönliche Bibellese finden. Wer sich mit der englischen Sprache schwer tut und eher ein einführendes Buch bevorzugt, dem empfehle ich gerne James Packers: Auf den Spuren des Heiligen Geistes (Brunnen-Verlag, 1999).
Buch
Michael S. Horton. Rediscovering the Holy Spirit: God’s Perfecting Presence in Creation, Redemption, and Everyday Life. Grand Rapids: Zondervan Academic, 2017. 336 S., ca. 23,00 US-Dollar (UVP). Erhältlich auch als Ebook und Audiobook.