Fasten

Kein Extra für Musterschüler, sondern Hilferuf in Not

Artikel von David Kakish
1. Mai 2020 — 5 Min Lesedauer

Fasten ist so etwas wie der Grünkohl unter den geistlichen Disziplinen. Wir wissen, dass es gut für uns ist, aber es ist nicht gerade das Erste auf der Speisekarte, wonach wir suchen.

Vor einigen Jahren habe ich das Fasten so ausprobiert, wie es der Werbespruch von Nike besagt: „Just do it“. Ich fastete drei Monate lang jeweils einen Tag pro Woche (nichts außer Wasser). Das erzähle ich jetzt nicht, um anzugeben; es ist mehr oder weniger ein Geständnis. Mein Ziel war, mich auf Gottes Charakter zu konzentrieren und ihm durch Gebet in einer Zeit der absichtlichen Entbehrung näher zu kommen. Aber nach drei Monaten fühlte es sich nicht so an, als ob ich etwas erreicht hätte. Ich war nicht von einem Glanz umgeben wie Mose, als er vom Berg herunterkam; ich war die schlechteste Version meiner selbst, und jeder um mich herum bekam das zu spüren.

Ich las ein Buch, in dem stand, man soll die Hungerschmerzen als Erinnerung nutzen, mit Gott zu sprechen. Jedes Mal, wenn mein Magen knurrte, betete ich also zu Gott, dass er mein Elend mildern möge. Doch ich erhielt keine einzigartige, übernatürliche Klarheit, welche Richtung mein Leben nehmen sollte, oder welche Zahlen ich beim Lottospielen tippen sollte oder über irgendetwas anderes. Ich dachte: Wenn ich mich nur weiter durchboxe und einen disziplinierten Rhythmus entwickle, wird das Ganze doch irgendwann Wurzeln schlagen und Früchte bringen. Aber das tat es nicht.

Obwohl ich wusste, dass ich fasten sollte, merkte ich, dass ich kein klares Konzept des Fastens formulieren konnte. Also entschied ich mich, bei Null anzufangen und zunächst eine Definition zu finden. Und ich beschloss, dass ich erst einmal eine Antwort brauche, wann und warum man überhaupt fasten sollte.

Wann sollte man fasten?

Als ich mir in der Bibel Beispiele für das Fasten ansah, las ich, dass Aaron fastet, als sein Sohn stirbt. David und seine Männer fasten in Trauer, als sie von Sauls Tod erfahren. Daniel verzichtet in seiner Klage darauf, Fleisch zu essen oder Wein zu trinken.

Manchmal bittet eine einzelne Person oder eine ganze Menschengruppe Gott durch Fasten um Vergebung, um Hilfe, Befreiung oder um sein Eingreifen. Israel und Ninive weinen in Buße und mit Fasten, als Gott ihnen ihre Sünde aufdeckt und damit droht, sie zu richten. Sie bitten Gott um Erbarmen, um seine Führung, seinen Trost, sein Eingreifen und auch darum, dass er seine angedrohte Strafe nicht ausführen möge. Durch das Fasten wenden wir uns von dem Trost ab, der oft in den guten Dingen, die Gott uns gibt, gefunden werden kann (z. B. Essen und Trinken), und rennen stattdessen zu Gott selbst, um Trost zu finden.

„Du wachst nicht eines Freitags auf und denkst: ‚Ich sollte heute wahrscheinlich mal fasten.‘“

 

In jedem Fall war das Fasten aber eine Antwort auf veränderte Umstände. Es war nicht grundlos. Es handelte sich nicht um eine geistliche Disziplin im traditionellen Sinn, wie Bibellesen oder Gebet. Du wachst nicht eines Freitags auf und denkst: „Ich sollte heute wahrscheinlich mal fasten.“ Meine Probleme mit dem Fasten lagen auch an meinem willkürlichen und ziellosen Ansatz.

Aus biblischer Sicht scheint Fasten situationsbedingt zu sein. Die Umstände veranlassen einen dazu. Beim Fasten trauern wir um die Situation, in die uns unsere Sünde (einzeln oder gemeinsam) gebracht hat. Wir versuchen, durch Umkehr die Nähe zwischen Gott und uns wieder herzustellen. Im Fasten liegt ein verzweifelter Schrei nach Geduld und Hilfe, Führung und Heilung. Das Fasten verstärkt die Klarheit unserer Bitte. Wir erkennen unsere Schwäche und unsere Abhängigkeit von Gott an, während wir darauf warten, dass er eingreift.

Wir Menschen sind insofern einzigartig, als wir Wesen sind, die sowohl eine materielle Komponente (Körper) als auch eine immaterielle Komponente (Seele/Geist) besitzen. Dein Körper ist nicht nur das Megaphon oder der Träger deiner Seele. Deine Seele/dein Geist und dein Körper sind ganzheitlich miteinander verbunden: Was deiner Seele passiert, wirkt sich auf deinen Körper aus und umgekehrt.

Wenn wir tiefes Leid, Scham oder etwas anderes Beunruhigendes erleben, sagen wir oft: „Mir ist der Appetit vergangen.“ Bei der Beerdigung eines 5-Jährigen hat niemand Lust auf Schweinebraten. Leid, Trauer, Besorgnis, Angst, Depression, Verzweiflung, Schuldgefühle, Scham und Tragödien bringen uns in eine Situation, in der wir auf einzigartige Art und Weise sensibel für unser Bedürfnis nach Gott werden. In diesem Moment sehnen wir uns mehr als nach allem anderen nach seinem Trost, seiner Barmherzigkeit, seiner Präsenz und seinem Eingreifen. Unsere Seelen kommunizieren diese Sehnsucht an unseren Körper. Genau dann sollten wir fasten.

Warum sollte man fasten?

Beim Fasten geht es nicht darum, sich selbst Leid oder Verlust zuzufügen, um mir selber beizubringen, dass ich Gott brauche. Sondern Fasten ergreift den Schmerz, den wir unvermeidlich durchleben werden, wenn wir versuchen, Gott in dieser gefallenen Welt zu gehorchen, und nutzt diese Gelegenheit, um sich an Christus zu klammern, in Schwachheit zu ihm zu kommen, und uns vor seinem Thron niederzuwerfen.

„Daher fasten wir aufgrund unserer Sünde und aufgrund der Schmerzen, die sie anderen zufügt.“

 

Daher fasten wir aufgrund unserer Sünde und aufgrund der Schmerzen, die sie anderen zufügt. Das Fasten wird uns begleiten, solange wir atmen, weil unsere Heiligung in diesem Leben niemals abgeschlossen ist. Wir fasten, weil Naturkatastrophen diese Welt verwüsten. Wir fasten, weil Menschen an Hunger und Durst sterben, weil ihnen lebensnotwendige Dinge fehlen. Wir fasten, wenn Krebs durch unseren Körper oder durch den unserer Lieben wuchert. Wir fasten, weil sich der ganze Kosmos nach Erlösung sehnt. Wir fasten, weil Christus das Werk, das er in jener Krippe begann, noch nicht abgeschlossen hat.

Was genau bedeutet also Fasten?

Es sieht so aus, als könnten wir nun eine Definition formulieren:

Fasten ist eine situationsbedingte, psychosomatisch empfundene Aufforderung der Seele, mit einer vom Gebet durchdrungenen Enthaltsamkeit bei Gott nach Richtung, Korrektur und Trost zu suchen, während wir auf die Rückkehr unseres Königs warten.

Fasten ist nicht das Extra für die geistlichen Musterschüler; es ist für dich und mich. Mögen wir es praktizieren und den Gott, der uns liebt, tiefer erfahren.

Wie alle Gebote Gottes dient uns das Fasten zum Wohl und zur Freude.