
Der Gott der unbegrenzten Möglichkeiten
Zu den größten Herausforderungen, die mir als Engländer in Amerika bisher begegnet sind, gehören automatisierte Call-Center. Man war beispielsweise nicht zuhause, um eine Paketsendung von FedEx entgegenzunehmen. Also muss man dort anrufen und einen neuen Liefertermin vereinbaren. Das Problem ist, dass man bei einem solchen Anruf nicht mit einem menschlichen Wesen verbunden wird. Man telefoniert mit einem sprechenden Roboter, der so programmiert ist, dass er erkennt, was man auf Englisch sagt.
Oder besser gesagt: Er ist so programmiert, dass er erkennt, was man mit amerikanischem Englisch sagt.
Wann immer ich bei FedEx anrufe, führe ich schlussendlich dieses Gespräch mit einem Akzent, der nur als eine sehr unerfreuliche Mischung aus John Wayne und Judi Dench beschrieben werden kann. Währenddessen fordert mich dieser sprechende Roboter – dem es mit Sicherheit schwerfällt, sich das Lachen zu verkneifen – hartnäckig dazu auf, das Gesagte nochmals zu wiederholen. Eine für einen Briten äußerst demütigende Situation! Man könnte fast meinen, dass jemand dieses ganze System als Retourkutsche für annähernd zwei Jahrhunderte Kolonialherrschaft eingeführt hat.
Doch das letzte Mal, als ich diese Situation erlebte, fiel mir dabei etwas auf: Kennen nicht viele von uns einen solchen furchteinflößenden Zwischenzustand allzu gut? Wir finden es immer schwieriger, Entscheidungen zu treffen und in unserem Leben Schritte voran zu gehen. Wir fühlen uns wie gelähmt; unfähig, all diese Entscheidungen zu treffen im Hinblick auf Beziehungen, Partnerwahl, Ehe, Finanzen, Familie und Berufsleben. Und ich möchte behaupten: Wenn wir uns nicht in der Lage fühlen, diese Entscheidungen festzumachen, dann liegt das nicht daran, dass wir den falschen Akzent hätten. Vielleicht liegt es daran, dass wir einen falschen Gott anbeten.
Der Gott der unbegrenzten Möglichkeiten
In 1. Könige 18,21 erleben wir einen kritischen Moment mit, in dem eine definitive Entscheidung gefragt ist. Es handelt sich um den endgültigen Showdown zwischen dem Gott Israels und einem falschen Gott namens Baal. Elia ruft Gottes Volk dazu auf, sich ein für allemal zu entscheiden zwischen dem lebendigen Gott, der es befreit hat, und diesem falschen Gott, der ihre Herzen erobert hatte: „‚Wie lange wollt ihr auf beiden Seiten hinken? Ist der HERR Gott, so folgt ihm nach, ist es aber Baal, so folgt ihm!‘ Und das Volk erwiderte ihm kein Wort.“
Es sieht so aus, als ob sie nicht in der Lage – oder nicht gewillt – wären, ihre Wahl zu treffen. Was sie wollen, ist, auf Nummer Sicher zu gehen, auf der Zuschauertribüne sitzen zu bleiben und sich alle Möglichkeiten offen zu halten.
Sind wir im 21. Jahrhundert da anders? Triffst du lieber eine felsenfeste Entscheidung, die nicht mehr zurückgenommen werden kann, oder eine, bei der du den Rückwärtsgang einlegen kannst, falls es nötig sein sollte? Kommt es dir manchmal so vor, als würdest du davor zurückschrecken, dich zu etwas zu verpflichten? Reagierst du auf Party-Einladungen eher mit „Mal sehen …“ als mit einem „Ja“ oder „Nein“? Muss dein Smartphone immer eingeschaltet sein, sogar in Besprechungen, so dass du niemals voll gegenwärtig bist? Konzentrierst du dich auf den Menschen, mit dem du nach dem Gottesdienst im Gespräch bist, oder hältst du über seine Schulter hinweg schon Ausschau nach jemandem, mit dem man sich besser unterhalten kann?
Wenn ja, dann kann es sein, dass du den Gott der unbegrenzten Möglichkeiten anbetest.
Das Paradox der unbegrenzten Möglichkeiten
Menschen warten Jahre, bis sie im Studium ihr Hauptfach festlegen. Andere gehen nur in Geschäfte, die ihnen eine problemlose Rückgabe garantieren. Und es ist nicht ungewöhnlich, dass Paare bereits auf lange Jahre der Beziehung zurückblicken, wenn sie heiraten – falls sie überhaupt jemals heiraten. Von der Sexualität bis hin zum geistlichen Leben: Wir nehmen uns das Recht heraus, uns in jedem Bereich unseres Lebens die Optionen offen zu halten.
Der Psychologe Barry Schwartz erklärt in seinem Buch The Paradox of Choice (dt.: Anleitung zur Unzufriedenheit), warum wir Schwierigkeiten damit haben, uns festzulegen, und warum wir uns so gern alle Möglichkeiten freihalten. Er beobachtet, dass wir als ganze Kultur darauf bestehen, die Wahl zu haben. Wir fordern es ein, dass uns die Möglichkeiten offenstehen. Denn wir leben in dem Glauben, dass mehr Optionen auch mehr Freiheit bedeuten. Und die meisten Leute denken, dass grenzenlose Freiheit eine wirklich gute Option sein muss.
Doch die Ironie besteht darin, so stellt Schwartz fest, dass uns diese vermeintlich grenzenlose Wahlfreiheit in Wirklichkeit gar nicht glücklich macht. Denn die Menge der Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, erdrückt uns. Tatsächlich wird es dadurch für uns schwierig, jemals die Freude zu erleben, die entsteht, wenn man sich völlig einer Sache oder einem Menschen verschreibt. Sogar wenn wir uns festlegen, bleibt oft ein Gefühl der Unzufriedenheit im Hinblick auf die Entscheidung, die wir getroffen haben.
Der Baal der unbegrenzten Möglichkeiten
Das Volk Israel hatte über die Jahre erlebt, wie es aus der Sklaverei befreit wurde, immer wieder, auf überwältigende Art und Weise, durch Wunder – und zwar durch den lebendigen Gott. Die ägyptischen Götter waren gegen ihn machtlos, ebenso die Götter der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Pheresiter, Hewiter und Jebusiter. Und doch sehen wir die Israeliten hier in 1. Könige 18, wie sie Baal zu Füßen liegen, wie sie einen weiteren aus der Reihe dieser Götter anbeten, dessen Niederlage bereits zum Greifen nahe ist.
Auf uns sollte das einfach nur abstoßend wirken. Aber wir als Gottes Volk heute – sind wir wirklich anders? Wir wurden durch Christi Tod und Auferstehung aus der Sklaverei der Sünde befreit, auf überwältigende Art und Weise, ein Wunder.
Und dennoch gibt es auch unter uns viele, die eben diese Götter anbeten, die Christus besiegt hat. Und das, obwohl wir genau wissen, dass sie besiegte Götter sind, die uns nur in den Tod ziehen werden, wenn wir uns an sie klammern.
Wir beten den Gott der unbegrenzten Möglichkeiten an. Und er tötet uns. Er tötet unsere Beziehungen, weil er uns sagt, dass es besser ist, sich nicht zu sehr in die Beziehung hineinzugeben. Er tötet unseren Dienst, weil er uns sagt, es wäre doch besser, unsere Wochenenden für uns selbst zu nutzen. Er tötet unsere Großzügigkeit, weil er uns sagt, dass wir in finanziell unsicheren Zeiten leben und man nicht weiß, wann man das Geld vielleicht noch braucht. Er tötet unsere Freude in Christus, weil er uns sagt, dass es besser ist, nicht als zu geistlich dazustehen.
Doch das Erschreckendste an diesem Gott der unbegrenzten Möglichkeiten ist, dass du möglicherweise noch nicht einmal weißt, dass du ihn anbetest. Denn er erweckt den Anschein, als wäre er überhaupt kein Gott.
Tatsächlich verspricht er dir die Freiheit von allen Göttern, von allen Verantwortungen. „Halte dir alle Möglichkeiten offen“, flüstert er. „Bete mich an, und du wirst nichts und niemand anderem dienen müssen. Keine Verpflichtung mehr nötig. Absolute Freiheit.“
Der Gott, der sich bindet
Doch der lebendige Gott, der liebende, dreieinige Gott, hat uns nicht dazu geschaffen, uns alle Möglichkeiten offen zu halten. Er hat uns nicht dazu geschaffen, mit der Angst vor Entscheidungen zu leben. Er hat uns nicht dazu geschaffen, so zu sein wie jene Figur, die Robert De Niro 1995 im Film Heat darstellte: ein Mann, der geschworen hat, sich niemals auf eine Beziehung einzulassen, die er nicht binnen 30 Sekunden hinter sich zurücklassen kann. Gott hat uns dafür geschaffen, uns zu binden: an ihn und an andere. Er hat uns dafür geschaffen, zu wählen. Dabei ist es natürlich richtig, unsere Entscheidungen mit Bedacht zu treffen: darüber zu beten, nach Antworten in der Schrift zu suchen und weise Christen um Rat zu fragen. Je größer die Entscheidung ist, desto vorsichtiger sollten wir hier sein.
„Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem das Überlegen zum Zaudern wird, an dem Warten nicht mehr länger weise ist. Es kommt der Punkt, an dem nicht zu wählen zum Götzendienst wird.“
Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem das Überlegen zum Zaudern wird, an dem Warten nicht mehr länger weise ist. Es kommt der Punkt, an dem nicht zu wählen zum Götzendienst wird. Es wird zu einem Mangel an Vertrauen in den Gott, der die Entscheidungen, die wir treffen werden, bestimmt, der die losen Enden verbindet und alle Dinge zu unserem Besten und zu seiner Ehre wirkt.
Sei weise, aber dann finde Ruhe in Gottes absoluter Souveränität und Güte – und triff deine Wahl. Lege dich fest. Entscheide dich. Rückhaltlos und konsequent. Jakobus 1,6–8 formuliert es so: „Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer zweifelt, gleicht einer Meereswoge, die vom Wind getrieben und hin- und hergeworfen wird. Ein solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen wird, ein Mann mit geteiltem Herzen, unbeständig in allen seinen Wegen.“
Vertraue darauf, dass Gott gut und souverän ist, und dass er unsere Entscheidungen "erlöst". Wenn selbst die Entscheidungen derer, die seinen eigenen Sohn ermordeten, zu unserem ultimativen Wohl bestimmt waren (Apg 4,27–28) – wie können wir daran zweifeln, dass er auch durch die unklugen unter unseren Entscheidungen Gutes beabsichtigt?
Ein weiterer Grund, weshalb wir den Gott der unbegrenzten Möglichkeiten zurückweisen sollten, liegt darin, dass der lebendige Gott selbst ein Gott ist, der ohne zu zögern entscheidet. Und er hat uns in seinem Ebenbild geschaffen.
- „… wie er uns in ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt“ (Eph 1,4)
- „… sondern das Törichte der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen“ (1Kor 1,27)
- „… dass Gott euch … erwählt hat in der Heiligung des Geistes“ (2Thess 2,13)
Wenn der lebendige Gott so sehr daran interessiert wäre wie wir, sich alle Möglichkeiten offen zu halten, dann hätten wir nichts anderes zu erwarten als ewige Qualen.
Binde dich an den lebendigen Gott
Deswegen stelle ich dir jetzt die Frage: In welchem Bereich deines Lebens flirtest du noch immer mit dem Gott der unbegrenzten Möglichkeiten? Wo weigerst du dich, dich festzulegen? Vielleicht weigerst du dich, dich auf eine bestimmte Beziehung festzulegen. Vielleicht bist du bei deiner Arbeit nur halbherzig bei der Sache – in deinem Browser hast du nebenher Facebook geöffnet, in der halben Hoffnung, vielleicht unterbrochen zu werden. Vielleicht hast du dich immer noch nicht einer gesunden Gemeinde angeschlossen. Vielleicht sind deine unruhigen Augen ständig auf der Suche nach etwas oder jemand Besserem.
Vielleicht hältst du dir auch die Möglichkeiten offen in Bezug auf Gott selbst, indem du es vermeidest, dich zu sehr festzulegen. Elia spricht zu dir in 1. Könige, und er sagt: „Entscheide dich.“ Du hast alle Informationen über Gott, die du brauchst. Schluss mit dieser unverbindlichen, risikoscheuen, willensschwachen, Gott vergessenden Unreife. Oder, wie es möglicherweise in moderneren Übersetzungen ausgedrückt wird: „Werde erwachsen.“
Ich schreibe das unter Tränen. Wenn ich auf die letzten 20 Jahre meines Christenlebens zurücksehe, dann habe ich immer wieder den Gott der unbegrenzten Möglichkeiten angebetet und ihm gedient – und ich habe viele das Gleiche tun sehen. Wie viele, beispielsweise, sind vor der Verbindlichkeit der Ehe zurückgeschreckt, weil der Gott der unbegrenzten Möglichkeiten Traugottesdienste hasst? Er weiß, dass wir dort Treue versprechen werden, „bis dass der Tod uns scheidet“ – und das bedeutet, alle anderen Optionen aufzugeben.
„Wir waren wie der hungernde Mann, der ein All-you-can-eat-Buffet vor sich hatte, und aus dem simplen Grund starb, weil er sich nicht zwischen Hühnchen und Shrimps entscheiden konnte.“
Der Gott der unbegrenzten Möglichkeiten ist grausam und rachgierig. Er wird dir das Herz brechen. Er wird es nicht zulassen, dass dir irgendjemand zu nahe kommt. Aber gleichzeitig – weil er wirklich boshaft ist – wird er niemanden zu weit weggehen lassen, denn das würde bedeuten, dass diese Menschen keine Option mehr sind. So wird es weiter und weiter gehen, kräftezehrend und frustrierend und verwirrend und unaufhörlich, Anziehung und Abstoßung, wie die Gezeiten am Strand, ohne sich jemals auf irgendeine Weise zu binden. Wir waren wie der hungernde Mann, der ein All-you-can-eat-Buffet vor sich hatte, und aus dem simplen Grund starb, weil er sich nicht zwischen Hühnchen und Shrimps entscheiden konnte.
Der Gott der unbegrenzten Möglichkeiten ist außerdem ein Lügner. Er verspricht, wenn du dir alle Optionen offenhältst, dann kannst du alles und jeden haben. Aber am Ende bekommst du nichts und niemanden.
Jesus sagt, dass wir nicht zwei Herren dienen können. In jedem einzelnen Moment musst du dich entscheiden, wem du folgen willst. Und wenn du dich für den Gott der unbegrenzten Möglichkeiten entscheidest, dann kannst du nicht gleichzeitig den dreieinigen Gott wählen – den einen, der mit voller Absicht seine Optionen aufgegeben hat, um dein Leben zu retten. Denn nichts schränkt deine Optionen mehr ein, als wenn du es zulässt, mit Händen und Füßen an ein hölzernes Kreuz genagelt zu werden.
„Wähle den Gott, der tatsächlich uneingeschränkte Möglichkeiten besitzt, aber der die Entscheidung traf, sich selbst auf eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Ort und ein bestimmtes Volk zu begrenzen.“
„Ich nehme heute Himmel und Erde gegen euch zu Zeugen: Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt; so erwähle nun das Leben, damit du lebst, du und dein Same, indem du den HERRN, deinen Gott, liebst, seiner Stimme gehorchst und ihm anhängst; denn das ist dein Leben …“ (5Mose 30,19–20)
Wähle den Gott, der tatsächlich uneingeschränkte Möglichkeiten besitzt, aber der die Entscheidung traf, sich selbst auf eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Ort und ein bestimmtes Volk zu begrenzen. Wähle den Gott, der sich keine anderen Alternativen offenließ, damit er für sich selbst die eine Braut erlangen konnte. Wähle den Gott, der sich dafür entschied, nicht vom Kreuz herunterzukommen, bis diese Braut gewonnen war.
Wähle den schmalen Weg.