Bibelsoftware und ihre Grenzen

Weshalb es sich lohnt, Hebräisch und Griechisch zu lernen

Artikel von Kevin McFadden
27. April 2020 — 7 Min Lesedauer

„Heutzutage gibt es Computerprogramme wie BibleWorks, Logos und Accordance – ist es da überhaupt noch nötig, dass Pastoren und Bibellehrer die biblischen Sprachen lernen?“ Weil ich als Professor seit einigen Jahren eine dieser beiden Sprachen unterrichte, wurde mir diese Frage schon häufig von Pastoren gestellt. Und ich kann verstehen, warum.

Hebräisch und Griechisch sind sicherlich die schwierigsten Fächer im Theologiestudium. Der Sprachunterricht gilt oft als die Hürde, die Studenten zu überwinden haben, wenn sie ihren Abschluss erreichen wollen. Viele Pastoren erinnern sich mit Schrecken an den Sprachunterricht zurück – an das Pauken von Vokabeln und Formen, oder daran, sich wie auf dem „Heißem Stuhl“ zu fühlen, wenn es an das Analysieren von Substantiven und Verben ging.

Außerdem ist es eine Tatsache, dass viele (wenn nicht die meisten) Pastoren die biblischen Sprachen nur wenig für ihre Predigtvorbereitung nutzen. Der volle Terminkalender lässt ihnen kaum Zeit, einen Abschnitt selbst zu übersetzen, daher stammen ihre Einblicke in den hebräischen oder griechischen Urtext gewöhnlich aus Kommentaren. Und wenn sie doch selbst auf die Ursprachen zurückgreifen, dann meist, um die Bedeutung eines einzelnen Wortes nachzuschlagen – was bei Verwendung einer Bibelsoftware nicht mehr erfordert, als dass man mit der Maus über diesen Begriff fährt.

Ist es nötig, den Studenten weiterhin Hebräisch und Griechisch abzuverlangen?

Viele theologische Seminare haben sich inzwischen von dem Anspruch verabschiedet, dass die Sprachen zum Erlangen eines Master of Divinity (Anmerkung: Der M.Div. ist in Deutschland ungefähr zwischen dem Bachelor und Master anzusiedeln) erforderlich seien. Andere sind dazu übergegangen, einen eher „tool-basierten“ Zugang anzubieten: Die Studenten lernen, wie man ein Bibelprogramm verwendet, statt sich die Sprache an sich anzueignen. Wiederum andere bleiben bei dem, was seit Jahrhunderten als unerlässlich für die Pastoren-Ausbildung betrachtet wurde – nämlich dem Studium von Hebräisch und Griechisch.

Warum sollte diese Anforderung beibehalten werden?

Meine Antwort lautet im Wesentlichen: Bibelsoftware hat eigentlich überhaupt nichts verändert. Diese Programme sind nützlich, weil sie einen schnellen und einfachen Zugang zu einer großen Menge an Informationen über den Text bieten: Wortbedeutungen, Bestimmungen, Wortstatistiken, unterschiedliche Übersetzungsmöglichkeiten, Grammatiken, Kommentare und sogar Abbildungen der Originalmanuskripte. Ich habe alle drei bekannten Bibelprogramme auf meinem Computer und ich verwende täglich mindestens eines davon. Aber der Großteil dieser Informationen war schon immer problemlos in Büchern zu finden. Der Einsatz von Software hat einfach nur unsere Zugangsweise verändert und es ermöglicht, dass bestimmte Dinge nun schneller erledigt werden können.

Wenn Leute darauf verweisen, dass durch Software das Studium der biblischen Sprachen überflüssig geworden sei, dann scheint mir, sie wollen damit sagen, dass uns diese Programme sehr schnell die Bedeutung eines bestimmten Worts liefern können und wie es zu analysieren ist. Aber wir hatten schon immer solche Hilfsmittel, durch die wir uns – auch ohne Hebräisch und Griechisch zu lernen – diese Informationen beschaffen konnten. Begriffe kann man in Wörterbüchern nachschlagen und Bestimmungen findet man in Nachschlagewerken (z.B. einem Sprachschlüssel).

Verwenden oder beherrschen?

Es war niemals das Ziel im Hinblick auf die biblischen Sprachen, die Bedeutung einzelner Worte verstehen zu lernen oder in der Lage zu sein, sie zu deklinieren bzw. zu konjugieren. Dass man Vokabeln auswendig lernen muss und Worte bestimmen lernt, ist einfach ein notwendiges Mittel zum Zweck. Denn das eigentliche Ziel, wenn man die biblischen Sprachen studiert, ist, diese Sprachen lesen und verstehen zu lernen, um den Text noch präziser auslegen zu können.

Wir haben uns in unseren Gemeinden so daran gewöhnt, die „Verwendung“ oder den „Gebrauch“ von Hebräisch und Griechisch zu betrachten, dass ich fürchte, wir haben dabei vergessen, dass es sich dabei um echte Sprachen handelt – und man kann eine Sprache nicht wirklich verwenden, wenn man sie nicht beherrscht. Ich hatte an der High School drei Jahre lang Spanisch, aber das ist für mich völlig nutzlos, weil ich diese Sprache nicht wirklich gelernt habe. Ich beherrsche diese Sprache nicht (abgesehen von: „Wo ist bitte die Toilette?“).

„Es liegt eine gewisse Ironie darin, aber wenn jemand die Ursprachen verwendet, ohne sie zu beherrschen, dann führt das oft eher zu einer fehlerhaften Auslegung als zu einer genaueren Auslegung.“

 

Wenn Pastoren oder Bibellehrer Hebräisch oder Griechisch verwenden, ohne es wirklich zu beherrschen, dann konzentrieren sie sich normalerweise auf Wortstudien und erklären die „wahre Bedeutung“ eines bestimmten griechischen Worts (seltener die eines hebräischen). In der überwiegenden Zahl der Fälle sind solche Wortstudien lexikalische Fehlschlüsse. Es liegt eine gewisse Ironie darin, aber wenn jemand die Ursprachen verwendet, ohne sie zu beherrschen, dann führt das oft eher zu einer fehlerhaften Auslegung als zu einer genaueren Auslegung.

Ich will den springenden Punkt noch anders verdeutlichen: Mein Vater ist Elektriker, und als ich zuhause auszog, gab er mir einiges an Werkzeug mit. Dabei war auch ein Messgerät, mit dem man den elektrischen Strom von Batterien und in Steckdosen messen kann. Letzten Sommer habe ich nun in unserem renovierungsbedürftigen Haus überall neue Steckdosen installiert. Da ich aber recht wenig Ahnung von Elektrizität habe, war ich nicht in der Lage, das Gerät dabei einzusetzen. Ich denke, dieses Messgerät kann vermutlich ziemlich viel und hätte mir eine Menge über die Kabel in unserem Haus mitteilen können. Aber für mich war das alles griechisch.

Man kann ein Werkzeug nicht verwenden, wenn man das, wofür es gemacht ist, nicht wirklich verstanden hat. Das ist bei Sprach-Tools nicht anders. Wenn man die biblischen Sprachen nicht beherrscht, dann werden die entsprechenden Tools einer Bibelsoftware nahezu nutzlos sein – oder schlimmer: Sie werden zu Fehlschlüssen führen.

Mühsam erkämpfte Einblicke

Hebräisch und Griechisch erst zu lernen und dann frisch zu halten ist harte Arbeit. Es ist für mich ein steter Kampf, sie zu bewahren – besonders die Sprache, die ich nicht unterrichte. Ich versuche, jeden Tag einige Verse zu lesen. Ich organisiere in den Sommerferien eine Lesegruppe, in der man sich Rechenschaft gibt. Auch der Druck, einen Bibeltext zu predigen oder zu lehren, zwingt mich zum Übersetzen. Eine zutreffende und genaue Auslegung eines Textes unter Rückgriff auf die Ursprachen ist immer mühsam erkämpft. Das wird nicht dadurch geleistet, dass man einzelne Wörter nachschlägt, ohne ihren Kontext zu verstehen. Es geschieht durch die langsame und anstrengende Tätigkeit des Übersetzens und Auslegens.

Wenn unser Dienst seine Grundlage im Wort Gottes hat und auf das Evangelium ausgerichtet ist, dann sollten die, welche die Möglichkeit dazu haben, sich der Aufgabe stellen, die biblischen Sprachen zu lernen. Können wir die Bibel und ihre Botschaft verstehen, auch wenn wir kein Hebräisch und Griechisch können? Ja, Gott sei Dank – und ich habe tatsächlich schon viele hervorragende Prediger gehört, die die biblischen Sprachen nicht gelernt hatten.

Wären sie möglicherweise noch bessere Prediger, wenn sie die Ursprachen beherrschen würden? Ich denke schon. Sie könnten dann präzise unterscheiden, welche Übersetzung den Sachverhalt genau wiedergibt. Sie könnten dann die Schlussfolgerungen von Kommentatoren abwägen, ohne sich einfach darauf verlassen zu müssen. Und sie hätten Einblick in den Text der Schrift, wie er wirklich niedergeschrieben wurde.

„Bibelprogramme sind nützliche Werkzeuge. Aber sie sind kein Ersatz für die Arbeit des sorgfältigen Übersetzens. “

 

Man kann eine Sprache, die man nicht beherrscht, nicht verwenden. Damit sage ich nicht, dass wir von unseren Pastoren und Bibellehrern erwarten sollen, dass sie Experten für die biblischen Sprachen werden. Aber im Idealfall sollten sie sich so viel davon aneignen, dass sie sich durch die Übersetzung eines Texts arbeiten können, um ihn dann mit größerer Präzision auszulegen. Diese Kompetenz erlangt man tatsächlich nur durch Lernen und harte Arbeit.