Sind die Religionen an allem schuld?

Argumente gegen einen häufig geäußerten Vorwurf

Artikel von David Robertson
7. April 2020 — 9 Min Lesedauer

„Religion ist eine Beleidigung der menschlichen Würde. Mit oder ohne Religion würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, dafür braucht man Religion.“ Dieses Zitat stammt von Steven Weinberg, einem amerikanischen Nobelpreisträger für Physik. Inzwischen ist es zu einem gängigen Mantra des neuen Atheismus geworden. Doch was können wir Christen darauf antworten? Wir überlassen es in dieser Angelegenheit den Muslimen, Hindus, Mormonen und Jedi-Kriegern, für sich selbst eine Antwort zu geben – wenngleich uns bewusst ist, dass ein weiterer fundamentaler Artikel des atheistischen Glaubensbekenntnisses besagt, alle Religionen seien im Grunde gleich. Entsprechend lautet eine andere, gerne wiederholte Aussage oder Anklage, dass „Atheisten keine Flugzeuge in Wolkenkratzer fliegen“ würden. Es scheint den neuen Atheisten entgangen zu sein, dass auch Presbyterianer, Katholiken oder Baptisten so etwas nicht tun!

Richard Dawkins wiederholt in Der Gotteswahn Weinbergs Behauptung – Religion sei ein Virus, der die Menschheit infiziert und andernfalls „gute“ Menschen dazu bringt, sich gefährlich und böse zu verhalten. Nachdem Dawkins an den Empirismus glaubt: Ist er in der Lage, einen Beweis zu erbringen, der solch eine umfassende Verurteilung rechtfertigt? Sein Hauptbeweis scheint der 11. September zu sein, daneben der verrufene Fred Phelps von Godhatesfags.com. Hierzu stellen die neuen Atheisten dann auch fest, dass wir alle an den „extremistischen“ Formen des Christentums (und des Islam) beteiligt seien – die einen, indem sie schweigen, die anderen, indem sie ihre Heilige Schrift konsequent auslegen! Auch wenn wir der Gefahr aus dem Weg gehen sollten, unsere Theologie von Atheisten zu übernehmen, möchte ich doch unmissverständlich erklären, dass Fred Phelps absolut gar nichts mit irgendeiner Form biblischen Christentums gemein hat. Sein „Evangelium“ ist eine eigennützige Wut-Tirade aus dem Abgrund der Hölle und wird von allen biblischen Christen vollständig abgelehnt.

Wir könnten uns nun ausgiebig damit amüsieren, uns über die Widersprüche und ad hominem-Attacken von Dawkins und seinen Freunden lustig zu machen, aber das wäre ein billiges Vergnügen und manche unserer Mitchristen würden es auch nicht besonders „nett“ finden. (Obwohl die Methode des Elia in 1. Könige 18,27 – „Ruft laut! denn er ist ja ein Gott; vielleicht denkt er nach oder er ist beiseite gegangen oder ist auf Reisen, oder er schläft vielleicht und wird aufwachen!“ – durchaus etwas für sich hat.) Wie sollen wir also damit umgehen?

Wir könnten darauf hinweisen, dass Dawkins einer simplifizierenden und fundamentalistischen Fantasie-Weltsicht folgt, die wohl nur in Hollywood funktioniert, nämlich die Menschen in gut und böse zu unterteilen.

Wir könnten das Zugeständnis des mea culpa machen und anerkennen, dass Religion schon viel Schaden bewirkt hat. Auch wenn wir weiterhin nicht der Meinung sind, alle Religionen seien im Grunde gleich, so müssen wir doch zugestehen, dass im Namen des Christentums auch schon viel Schlimmes getan wurde. Der Name Gottes wurde unter den Heiden oft verlästert, weil es Menschen gab, die sich mit den Lippen zum kostbaren Namen Christi bekannten, während ihr Handeln dazu im Widerspruch stand.

Und dann könnten wir zu Gegenanklagen übergehen und unsere neuen Atheisten sanft daran erinnern, dass der Atheismus, wenn er zur Staatsphilosophie wurde, selten zu einem Übermaß an Liebe und Frieden geführt hat. Stalin, Mao, Pol Pot, Hitler und andere, die ebenfalls jenen Glauben teilten, die Religion sei ein Virus, das ausgerottet werden muss – sie sind kaum leuchtende Vorbilder für das Gute, das der Atheismus in die Welt gebracht haben will. Dabei sind sie konsequent ihrem Propheten Nietzsche gefolgt, der sagte: „Ich nenne das Christentum den einen großen Fluch, die eine große intrinsische Verderbtheit, den einen großen Racheinstinkt, für den kein Mittel zu giftig, zu geheim, zu unterirdisch, zu minderwertig ist – ich nenne es den unsterblichen Makel der Menschheit.“

Wir könnten auch noch darauf verweisen, dass die westliche Zivilisation – einschließlich der Wissenschaft und Moral, auf die Dawkins und die neuen Atheisten so große Stücke halten – in der christlichen Lehre verwurzelt ist. Wir könnten zahlreiche Beispiele von Christen nennen, die Krankenhäuser gebaut, Schulen errichtet und Sozialprogramme entwickelt haben. Dawkins würde natürlich argumentieren, dass Menschen das sowieso getan hätten und dass Atheisten genauso moralisch und tugendhaft sind wie Christen. Wir könnten uns dann eine Art Weitspuckwettbewerb liefern, in dem wir Christen problemlos nachweisen könnten, dass wir mehr Schulen bauen, mehr Bilder malen und mehr Menschen gesund pflegen als die Mitglieder von American Atheists. Aber das würde letztlich nichts beweisen. Wie Christopher Hitchens feststellt, könnte man an dieser Stelle im Grunde auch darauf verweisen, was für ein großartiges Sozialhilfeprogramm die Hamas in der West Bank anbietet.

Wir brauchen mehr als das. Der Nachweis, dass das Christentum eine Macht für das Gute und nicht für das Böse ist, ergibt sich aus dem Zusammenspiel der großen biblischen Lehren – der Lehren über Christus und über die Menschheit, in denen wir die Erklärung dafür finden, warum unsere Welt in solch einem Schlamassel steckt, aber auch die Motivation, etwas dagegen tun zu wollen, und außerdem die Mittel, durch die das geschehen kann.

Totale Verdorbenheit

„Religion ist kein Virus. Die Sünde ist es.“

 

Wie George Thorogood feststellt, sind wir „böse bis ins Mark hinein“. Und so glauben wir nicht an „gute Länder“ und „böse Länder“, an „gute“ Menschen und „böse“ Menschen. Wir stellen uns unter die biblische Lehre, dass alle Menschen und alle Bereiche des menschlichen Lebens von der Sünde infiziert sind. Religion ist kein Virus. Die Sünde ist es. Als Folge davon wird auch Religion zu einem Werkzeug der menschlichen Sündhaftigkeit. Statt des simplizistischen und törichten Optimismus der neuen Atheisten wissen wir, dass Menschen von Natur aus und tiefgehend verbogen sind. Eine Religion ohne Christus befeuert die Sünde zusätzlich, aber wenn man alle Religion wegnehmen würde, bliebe immer noch das Feuer der Sünde. G.K. Chesterton formulierte es treffend in einem Brief an die Times: „Mein werter Herr, was ist nur falsch mit dieser Welt? Ich bin es.“ Dass diese grundlegende Lehre im Kielwasser des ungerechtfertigten Optimismus der Aufklärung verloren ging, wurde zu einem wesentlichen Faktor für die genozidalen Regimes des zwanzigsten Jahrhunderts – des Jahrhunderts, in dem der Atheismus scheiterte. Der Philosoph John Grey, der kein Freund des Christentums ist, fasst es gut zusammen: „Wie wir heute erkennen können, begann die Entwicklung des Utopismus zeitgleich mit dem Rückzug des christlichen Glaubens“ (Black Mass: Apocalyptic Religion and the Death of Utopia).

Götzendienst

Menschen haben ein Bewusstsein dafür, dass es Gott gibt. Gottes Gesetz ist in ihre Herzen geschrieben. Selbst Dawkins gibt zu, dass es bei Kindern ein angeborenes Bewusstsein für Gott gibt, aber er versucht es als „Fehler der Evolution“ wegzuerklären. Die biblische Erklärung ist hier viel einfacher. Wir sind im Ebenbild Gottes geschaffen. Wir sind geschaffen mit der Fähigkeit, eine Beziehung zu unserem Schöpfer zu haben. Es gibt in uns eine innere Leere, die nach Gott schreit. Das Problem ist, dass wir versuchen, diese Leere mit allem möglichen zu füllen – außer mit Gott. Wir erfinden unsere eigenen Religionen, wir erschaffen unsere eigenen Götzen und wir vergöttern uns am Ende selbst. Wir sollten uns nicht wundern, dass die Leere dadurch nicht gefüllt wird, sondern das alles zu Zwietracht, Wut und Zerrissenheit führt. Götzendienst ist eine falsche Religion. Daher haben wir hier ein Argument für die wahre Religion statt gegen sie.

Das Kreuz

„Wir müssen nicht nur etwas repariert werden. Wir brauchen Vergebung, Gnade, Barmherzigkeit, ein neues Herz und eine neue Geburt.“

 

Die göttliche Lösung für das Problem liegt in Jesus Christus, dem Gekreuzigten. Wir müssen nicht nur etwas repariert werden. Wir brauchen Vergebung, Gnade, Barmherzigkeit, ein neues Herz und eine neue Geburt. Das Kreuz ist die Antwort auf jeden Aspekt unserer menschlichen Sündhaftigkeit, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich. Durch das Kreuz wird die Liebe Gottes in unser Herz ausgegossen. Die Beatles sangen mit Recht: „All you need is love“. Sie wussten nur nicht, wovon sie sangen. Die Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt hätten, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühneopfer für unsere Sünden gesandt hat.

Die Souveränität Gottes

Jesus ist Herr und Retter. Alles steht unter seiner Herrschaft. Es gibt keinen Bereich des Lebens, der nicht ihm gehört. Deshalb leben diejenigen, die zu ihm gehören, in allen Bereichen ihres Lebens für ihn – sei es in der Ausbildung, in der Familie, bei der Arbeit, im Sport, in der Politik, was die Gesundheit betrifft, das soziale Leben oder die Unterhaltung.

Wenn wir in diesen großen biblischen Lehren verwurzelt sind, bringen wir Frucht. Christen sind weder Utopisten noch religiöse Moralisten. Wir sind nicht der Meinung, dass man Menschen durch bessere Gesetze mehr Moral beibringen kann, und auch nicht, dass eine Art religiöses Pflaster die tiefen Wunden der Menschheit heilen kann. Wir sind keine Pietisten, die sich in ihre religiösen Gruppierungen zurückziehen. Wir sind Salz und Licht in einer Welt, die geschmacklos und finster ist. Weil wir die Liebe Christi erfahren haben, können wir nicht anders, als diese Liebe zu reflektieren und sie weiterzugeben. Die Liebe Christi drängt uns. Laut seiner Sekretärin Traudl Junge hasste Hitler die Kirche, weil „nur die Menschen und vor allem die Kirche es sich zum Ziel gemacht haben, die Schwachen, die Lebensunwerten und Niedrigen am Leben zu erhalten“. Genau. Die Geschichte der christlichen Kirche ist voll von Menschen, die zunächst selbst gerettet, geheilt, wiederhergestellt und begnadigt wurden, was sie freisetzte, dem lebendigen Gott zu dienen – indem sie das Leben der Schwachen bewahrten, Kranke heilten, Ungerechtigkeit bekämpften, Hungrige speisten, Gefangene besuchten und mit ihrem Leben, ihren Worten und ihren Taten die Barmherzigkeit und das Mitleid Gottes demonstrierten.

Welch eine Ironie, dass die Mitglieder des britischen Parlaments vor einigen Jahren als ihre zwei Lieblingsbücher für den Sommer sowohl den Gotteswahn von Dawkins als auch William Wilberforce von William Hague nannten! Während die Wut-Tirade von Dawkins den irrationalen und tief verwurzelten Hass der Menschen auf Gott demonstriert, zeigt das Leben des großen Kämpfers gegen die Sklaverei, Wilberforce, welch eine mächtige Kraft für das Gute ein begnadigter Sünder in der Hand eines gnädigen Gottes ist. An Wilberforce zeigt sich beispielhaft, wie Jesus den Glauben der neuen Atheisten widerlegt, dass alle Religion de facto böse sei: So soll euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.