Drei Konzepte von Irrlehre
„Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, schrieb der Prediger (Pred 1,9). Für Professor Klaus Haacker aus Wuppertal ist eine der Hauptquellen des Irrtums in der Theologie das Verlangen, etwas Neues zu sagen. Als Lehrer für Theologie über viele Jahrzehnte habe ich Folgendes bemerkt: Es ist extrem schwierig für einen Theologen, heute etwas zu sagen, das nicht entweder geliehen ist von einem früheren, rechtgläubigen Autor oder häretisch. Ja, sogar die neuesten Irrlehren, die manchmal als die aktuellsten Entdeckungen in der biblischen Forschung präsentiert werden, erweisen sich als von früheren Irrlehrern abgekupfert.
Als junger Theologiestudent beschloss ich, mich in die Kirchengeschichte zu vertiefen und die Zeitepoche zu finden, in der der christliche Glaube rein und unentstellt „der Glauben [war], der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist“ (Jud 1,3). Die Schwierigkeit wurde bald deutlich. Selbst im Neuen Testament finden wir Hinweise darauf, dass es unter den Gläubigen Streitgespräche über die Lehre gab. Gab es jemals eine Zeit, in der alle Christen die richtige christliche Lehre kannten? Gab es vielleicht nie einen Glauben „der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist“? Wie konnten Christen aus dem 3., dem 6., dem 16. oder dem 20. Jahrhundert wissen, was sie glauben sollten, wenn wir selbst im Neuen Testament Hinweise sehen, dass Irrlehre neben gesunder Lehre existierte, fast von Geburt der Kirche an? Es gibt aber in der Tat einen Glauben, der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist.
Es ist eine sonderbare Tatsache, dass das Christentum die einzige Hauptreligion ist, bei der viele bezahlte, vollzeitig arbeitende Priester, Prälaten und Professoren viel Zeit und Energie dafür aufbringen, zu zeigen, dass sie falsch ist und völlig verändert oder vielleicht sogar aufgegeben werden sollte. Buddhisten tun so etwas nicht – noch Hindus. Muslime tun das ganz gewiss nicht, oder wenn sie es tun, leben sie nicht lange. Das zeigt, so glaube ich, dass die Religion der Schrift, das historische, biblische Christentum, in den Augen des Fürsten der Finsternis so widerwärtig ist, dass er alle Anstrengungen unternimmt, die Professoren und Priester des Christentums dazu zu versuchen, ihre eigene Lehre zu unterminieren.
In meinem Buch Häresien folge ich der Praxis der frühen Christen, indem ich Häresien nur als diejenigen Lehren definiere, die das Wesen des Glaubens so fundamental verändern, dass man sich nicht länger darauf verlassen kann, dass er rettender Glaube ist. Es gibt drei prinzipielle Konzepte, die im Neuen Testament behandelt werden, und die als in diesem Sinne häretisch eingestuft werden können. Interessanterweise – oder vielleicht nicht, wenn wir der Worte des Predigers gedenken – dauern diese drei Probleme des Neuen Testaments bis heute an.
Sie sind (1) Gesetzlichkeit (was in der frühen Kirche oft Judaisierung genannt wurde), die auch Errettung durch Werke oder Werkegerechtigkeit genannt werden kann; (2) das diesem entgegengesetzte Konzept des Antinomismus; und vielleicht am bedeutsamsten für unsere heutige Zeit (3) der eigentümliche Komplex fantastischer Vorstellungen und Lehren, der den Namen Gnostizismus trägt.
Gesetzlichkeit
Paulus konfrontierte jeden dieser drei Punkte in seinen verschiedenen Briefen, vornehmlich dem Römerbrief, dem Galaterbrief und dem Kolosserbrief. Johannes behandelt in seinen ersten zwei Briefen auch den Gnostizismus. In Galater 1 warnt Paulus davor, den zu verlassen, der uns berufen hat, „zu einem anderen Evangelium, während es doch kein anderes gibt“ (Gal 1,6-7). Im Kontext dieses Briefs wird deutlich, dass er von der Neigung redet, dem Evangelium von der Rechtfertigung aus Glauben an das vollbrachte, einmalige Werk Christi Werke hinzuzufügen. In unserer heutigen Zeit, wo es überall Zügellosigkeit gibt, driften manche Christen in Gesetzlichkeit hinein, obwohl Paulus explizit dagegen in seiner Parodie warnt: „Rühre das nicht an, koste jenes nicht, betaste dies nicht!“ (Kol 2,21) Der römische Katholizismus neigt besonders zu diesem Irrtum, obwohl er gewiss nicht auf Katholiken beschränkt ist.
Gesetzlosigkeit
Andere wiederum verfallen in das Konzept des Antinomismus, und das ist wahrscheinlich verglichen mit Gesetzlichkeit die größere Gefahr für Christen heute. Wir können es folgendermaßen ausdrücken: „Wenn man einmal gerettet ist, spielt es keine Rolle mehr, wie man sich verhält.“ Paulus fragt ironisch: „Sollen wir in der Sünde verharren, damit das Maß der Gnade voll werde?“ (Röm 6,1) Und natürlich antwortet er darauf an einer Vielzahl von Stellen, einschließlich denen im Galaterbrief: „… der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist“ (Gal 5,6) und „… denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung [das Gesetz zu halten] noch Unbeschnittensein [das Gesetz zu ignorieren] etwas, sondern eine neue Schöpfung“ (Gal 6,15).
Man wird nicht durch Werke gerettet, aber ein Glaube, der nichts hervorbringt, ist kein Hinweis darauf, dass man eine „neue Schöpfung“ in Christus geworden ist. Moderne Varianten dieses antinomistischen Fehlers finden sich in einigen protestantischen Kreisen, die glauben, dass man einfach nur durch eine verbale Bekundung des Glaubens gerettet wird, ohne Bezug auf die Art conversio cordis (Bekehrung des Herzens), die sich in einem veränderten Leben beweist. Viele Menschen suchen Zuflucht in dieser Art von Antinomismus, der so bequem ist für diejenigen, die weiter sündigen wollen, ohne sich über die Folgen Sorgen machen zu müssen.
Gnosis
Zweifellos der gefährlichste Irrtum in unseren Tagen ist jedoch der Gnostizismus; eine Weltanschauung, die aus einer Vielzahl von Irrlehren besteht und sowohl Christen als auch Nichtchristen befällt. Er stellt die Versuchung des natürlichen Menschen dar, spekulative Weltanschauungen zu entwickeln, die ihn von jedem Bewusstsein persönlicher Sünde und Schuld befreien, sowie eine einfache Errettung ermöglichen. Gnostizismus lässt sich schwer in ein paar Worten beschreiben, aber man kann zwei gemeinsame Bestandteile nennen: geheime Erzählungen und Elitismus. Gewöhnliche Menschen mögen mit einem einfachen Glauben auskommen, aber der Gnostiker kennt die Geheimnisse und gehört zu einer geistlichen Elite. Paulus kritisiert das zum Beispiel in Kolosser 2,18. Es ist typisch für die Gnostiker, dass sie Christus auf eine Weise ehren, aber gleichzeitig leugnen, dass der historische Mensch Jesus derjenige „Name unter dem Himmel ist … in dem wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). Sie sagen, dass Jesus nur eine Manifestation „des Christus“ gewesen sei; es gäbe jedoch andere und werde andere geben.
Obwohl der Gnostizismus zu seiner Zeit noch nicht voll entwickelt war, argumentierte Johannes gegen diese aufkommende Strömung in seinen ersten zwei neutestamentlichen Briefen (zum Beispiel: 1Joh 1,1–2; 2,22–23; 5,1).
Die Gnostiker glaubten an eine unglaubliche Vielzahl geistlicher Wesen. Die meisten Gnostiker lehrten, dass die materielle Welt nicht real sei, genauso wie der Leib und das Böse. Es gibt eine jüngste Parallele zum Gnostizismus in Mary Baker Eddys Christlicher Wissenschaft und sehr aktuell in der New Age Bewegung.
Offensichtlich könnte ich noch mehr sagen und habe es getan in dem Buch Häresien. Aber die wichtige Sache bei diesen „Häresien“ ist die Tatsache, dass sie nicht nur unzulässige Varianten, Optionen oder Möglichkeiten darstellen, sondern durch ihr Wesen den christlichen Glauben so unterminieren, dass sie die Errettung unerreichbar machen für diejenigen, die den Fehler machen, sie anzunehmen.