Als Pastor in der Hauptstadt: Ein Interview mit Mark Dever
Tabletalk: Wie begann die Geschichte der Capitol Hill Baptist Church und wie wurdest du als Pastor dorthin berufen?
Mark Dever: Im Jahr 1867 begann die Hauptwäscherin des Büros für Gravuren ein Gebetstreffen auf dem Capitol Hill. Bis zum Jahr 1876 war dieses Gebetstreffen zu einer Sonntagsschulgesellschaft angewachsen und das Grundstück, auf dem nun die Capitol Hill Baptist Church (CHBC) sitzt, wurde gekauft, um dort ein Gebäude zu errichten. Die Sonntagsschulgesellschaft wurde 1878 zunächst zur Metropolitan Baptist Church, bevor sie sich in Capitol Hill Baptist Church umbenannte.
Die Gemeinde ist mehr als hundert Jahre alt. Es war die erste Kirche überhaupt im nordöstlichen Viertel von Washington D.C. Sie hatte ein langes und gesundes Pastorat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gefolgt von acht Pastoren mit kürzeren Amtszeiten in der zweiten Hälfte, wobei viele nicht so gesund waren. Im Januar 1993 schrieb mir Dr. Carl F.H. Henry, der seit den 1950er Jahren Mitglied der CHBC war, um mich wissen zu lassen, dass sie einen neuen Pastor brauchten. Ich hatte Carl Henry einige Jahre früher zum ersten Mal getroffen und kannte ihn recht gut. Er hatte mich ermutigt, an der Bibelschule zu unterrichten; deshalb überraschte es mich zunächst, als er mich in einem Brief fragte, ob ich Interesse hätte, als Pastor der Gemeinde auf dem Capitol Hill zu dienen. Daraufhin besuchte ich zunächst die Gemeinde und nach vielen Gebeten und vielen Gesprächen beschlossen sowohl die Gemeinde als auch ich, dass ich ihr Pastor werden sollte. Das wurde meiner Frau und mir im Sommer 1993 klar und die Gemeinde berief mich im Dezember 1993. Nach ein paar Wochen des Gebets und des Nachsinnens nahm ich diese Berufung an. Sie wussten, dass ich mit dem Pastorendienst erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1994 würde beginnen können. Meine Familie und ich zogen schließlich im Sommer 1994 dorthin und konnten die Gemeinde im Juli, August und November zunächst einmal als einfache Gäste besuchen, um so die Gemeindekultur besser kennenlernen zu können. Ich wurde schließlich am letzten Sonntag des Septembers 1994 als Pastor eingesetzt; mein erste Predigt hielt ich am ersten Sonntag im Oktober 1994; seitdem bin ich dort.
Tabletalk: Was sind die besonderen Herausforderungen eines Pastorendienstes in Washington D.C.? Wie versuchst du, diese zu meistern?
„Der beste Weg, den ich kenne, um jede noch so besondere Herausforderung zu überwinden, liegt darin, das Evangelium in der Predigt klar und deutlich zu verkündigen.“
Mark Dever: Ich glaube nicht, dass es besonders spezifische Herausforderungen gibt. Wahrscheinlich muss ich aufgrund unseres Standorts aufpassen, dass ich nicht so rede, als ob ich einer politischen Partei angehöre. Aber sonst ist der Dienst hier genauso wie in jeder anderen Stadt der Welt.
Der beste Weg, den ich kenne, um jede noch so besondere Herausforderung zu überwinden, liegt darin, das Evangelium in der Predigt klar und deutlich zu verkündigen. Ich konzentriere mich auf das Evangelium und versuche, politische Ausdrücke oder entsprechende Sprache zu vermeiden.
Tabletalk: Wie hat 9Marks angefangen und was ist seine Mission?
Mark Dever: Zum ersten Mal dachte ich in einem Brief an die neun Merkmale, den ich an eine Gemeindegründungsinitiative im Gebiet Boston gesandt hatte, bei der ich selbst involviert war. Ich schrieb ihnen im Jahr 1991 und sprach dabei von neun Eigenschaften, die ihre Gemeinde auszeichneten und die nicht ohne Grund die Essenz der Gemeinde bildeten; weshalb jeder Pastor, der mit ihnen arbeiten würde, sie verstehen sollte, bevor er zu ihnen käme. 9Marks als echte Organisation begann, als Matt Schmucker den Wunsch äußerte, anderen Pastoren die bei CHBC gelernten Lektionen weiterzugeben. Matt war schon immer ein Visionär. Seine Stärke liegt darin, mit großer Begeisterung neue Dinge anzufangen. Matts Überlegungen in Verbindung mit einer großzügigen Spende erlaubten es uns, im November 1998 loszulegen. Zunächst nannten wir uns das Zentrum für Gemeindereform, aber wir merkten schnell, dass Pastoren Probleme bekamen, als sie sich in der Gemeinde auf eine Organisation beriefen, die andeutete, dass sich die Gemeinde verändern sollte. Also entschlossen wir uns für den einfachen und positiven Namen 9Marks, der die besonderen Themen widerspiegelte, die wir in der Ortsgemeinde besonders ansprachen.
Die Mission von 9Marks ist es, Pastoren und Gemeindeleitern sowie allen interessierten Christen zu helfen, biblischer über die Gesundheit einer Gemeinde zu denken.
Tabletalk: Was sind die neun Merkmale einer gesunden Gemeinde? Warum sind sie so wichtig?
Mark Dever: Die neun Merkmale einer gesunden Gemeinde sind Auslegungspredigten, eine biblische Theologie, das Evangelium, Bekehrung, Evangelisation, Gemeindemitgliedschaft, Gemeindezucht, biblische Gemeindeleitung sowie Jüngerschaft und Wachstum. Diese Merkmale sind nicht nur wichtig, weil sie biblisch sind; es gibt ja noch viele weitere biblische Merkmale einer gesunden Gemeinde, die bedacht werden könnten. Das Problem bei diesen ist, dass sie so oft und so unbewusst vernachlässigt werden. Ein Beispiel: Obwohl es viele Missverständnisse über Anbetung, Mission und Gebet geben mag, wurden sie doch in den letzten Jahrzehnten von verschiedenen Lagern betont. Es gibt riesige Konferenzen, die für Lobpreisleiter, für Mission und für Gebet organisiert werden. All das ist gut, aber diese Themen werden nicht vernachlässigt. Biblische Theologie wird jedoch oft dem akademischen Betrieb überlassen. Bekehrung ist für viele Menschen ein Abschnitt in einem Buch über Systematische Theologie. Gemeindemitgliedschaft wird in vielen Gemeinden heruntergespielt oder sogar abgeschafft. Und doch ist es absolut lebensnotwendig, dass Pastoren und Gemeindeleiter diese Themen verstehen. Wir hatten erst im letzten Jahr eine Konferenz über Gemeindemitgliedschaft, die von eintausend Pastoren und Gemeindeleitern besucht wurde. Diese Themen sind wichtig und 9Marks ist ein übergemeindliches Werkzeug, um ihrer Vernachlässigung entgegenzusteuern.
Tabletalk: Es gibt im Protestantismus verschiedene Formen der Gemeinde- bzw. Kirchenstruktur (kongregationalistisch, presbyterianisch, episkopal, usw.). Wie kann 9Marks, das ja in einem baptistischen Kontext entstanden ist, trotzdem eine Hilfe für Gemeinden mit anderen Strukturen sein?
Mark Dever: 9Marks möchte die Gewissheit über die Genügsamkeit der Heiligen Schrift für das Leben der Gemeinde, die die frühen Protestanten auszeichnete – egal ob Presbyterianer, Baptisten, Kongregationalisten, Methodisten oder Anglikaner – den Pastoren von heute bewusst machen. Die neun Merkmale waren nie die Scheidepunkte zwischen den einzelnen Strömungen. Das auslegende Predigen war die übliche Praxis von evangelischen Pfarrern in den vergangenen Generationen. Ich möchte gern das Gespräch über diese frühere und tief in der Bibel verwurzelte Praxis wieder aufnehmen und schauen, was wir für unser pragmatisches Zeitalter lernen können.
Tabletalk: Können Christen, die eine unterschiedliche Auffassung von Kirchenstruktur vertreten, eine wahre Einheit in Christus haben? Wie sieht diese Einheit aus?
„Wir haben denselben Heiligen Geist, sind durch denselben Tod gerettet und gerechtfertigt durch dieselbe Auferstehung. Wir folgen demselben Herrn, beten denselben Gott an nach dem Glauben an dasselbe Evangelium. Unsere Einheit ist kein Ziel; es ist eine geistliche Realität und Tatsache. Unsere Aufgabe ist es nun, diese Einheit auszuleben.“
Mark Dever: Ja. Wir haben denselben Heiligen Geist, sind durch denselben Tod gerettet und gerechtfertigt durch dieselbe Auferstehung. Wir folgen demselben Herrn, beten denselben Gott an nach dem Glauben an dasselbe Evangelium. Unsere Einheit ist kein Ziel; es ist eine geistliche Realität und Tatsache. Unsere Aufgabe ist es nun, diese Einheit auszuleben.
Wir leben diese Einheit durch bibeltreue Gemeinden aus, die an das gleiche Evangelium glauben, jeweils für die Gesundheit und das Wohl der anderen beten und die einander dienen und ermutigen. Das umfasst auch das treue Bezeugen von aus der Schrift erkannten Dingen, über die unter Evangelikalen gestritten wird. Die Klarheit der Schrift wird nicht außer Kraft gesetzt, weil jemand etwas anders versteht und wir sollten in diesen Situationen konsequent unserem Herrn gehorchen und das von uns erkannte in die Tat umsetzen, während wir gleichzeitig liebevoll mit Brüdern und Schwestern umgehen, die genauso gehorsam sein wollen wie ich, aber an bestimmten Stellen andere Schlüsse aus dem Studium der Schrift ziehen.
Tabletalk: Was ist die Verantwortung einer Ortsgemeinde gegenüber einem Gemeindemitglied, das zwar nicht ausgeschlossen wurde, aber einfach woanders hingeht und Mitglied einer Gemeinde in der Nähe wird?
Mark Dever: Das hängt davon ab. Wenn es eine Gemeinde ist, die nicht das Evangelium verkündigt, und das Gemeindemitglied sich trotz Belehrung weigert, zu deiner Gemeinde zurückzukehren oder in eine Gemeinde zu gehen, die das Evangelium verkündigt, dann musst du ihn oder sie ausschließen. Wenn sie allerdings aus anderen Gründen zu einer anderen Gemeinde gegangen sind, und diese Gemeinde das Evangelium verkündigt, dann ist es völlig legitim, dass er oder sie geht, und ich kann ihn oder sie vielleicht sogar dazu ermutigen. Jeder Pastor weiß, dass es diese Situationen geben kann. Es gibt immer wieder Mitglieder unserer Gemeinde, die uns verlassen und sich anderen evangelikalen Gemeinden anschließen. Diese Gemeinden werden uns dadurch eher kostbarer und wir heißen die vormals zu uns gehörenden Mitglieder herzlich willkommen, wenn sie uns besuchen.
Ein Faktor, der häufig nicht bedacht wird, ist die Lage der Gemeinde. Wir möchten, dass Menschen Mitglied einer Gemeinde in ihrer Nähe sind. Selbst wenn du ein treues Mitglied einer Gemeinde sein kannst, die sich eine Stunde entfernt von dir trifft, wäre es eine bessere Option, wenn du eine Gemeinde findest, die nur eine halbe Stunde von dir entfernt ist; vorausgesetzt, die anderen Faktoren stimmen.