Schöpfung aus dem Nichts
Die Bedeutung der Schöpfung ex nihilo
Ohne Schöpfung braucht es keinen Schöpfer
Der am stärksten in der säkularen Welt verwurzelte Artikel aus dem christlichen Glaubensbekenntnis war bis zur Aufklärung der Artikel zur Schöpfung. Er wurde nicht nur mit der Offenbarung, sondern auch mit der Vernunft begründet, nicht nur durch mit religiösen, sondern auch mit wissenschaftlichen Argumenten. Für mittelalterliche Philosophen war die Vorstellung, dass etwas aus dem Nichts kommt, absurd, unwissenschaftlich und unlogisch. Wenn irgendetwas existiert, muss es entweder die Kraft zum Sein in sich selbst tragen oder es muss von etwas kommen, das die Kraft zum Sein in sich selbst trägt. Andernfalls kann überhaupt nichts existieren. Dieses Argument ist wichtig, weil Atheisten und säkularisierte Denker in den letzten Jahrhunderten ihr Augenmerk auf die Schöpfung gerichtet haben. Wenn sie uns nämlich die Gewissheit nehmen, dass wir in einem geschaffenen Universum leben, dann wird es ihnen auch möglich sein, jedes andere Argument für die Existenz Gottes zu untergraben. Wer die Schöpfung abschafft braucht auch keinen Schöpfer.
Schöpferische Fähigkeit bei Gott und Menschen
Die klassische christliche Lehre über die Schöpfung ist die Schöpfung ex nihilo (aus dem Nichts). Augustinus hat dieses Konzept am grundlegendsten beschrieben. Er erklärt, dass Gott das Universum aus dem Nichts ins Sein sprach. Gott brauchte keine ewig präexistente Materie um aus ihr die heutige Welt zu formen. Seine schöpferische Fähigkeit ist nicht mit der von menschlichen Künstlern vergleichbar.
Denk an Michelangelo, der großartige Statuen aus Stein meißeln konnte. Er glaubte, dass er eine Statue nicht erschuf, sondern die Figur aus ihrem steinernen Gefängnis befreite. Es ist unvorstellbar, dass seine Statuen sich selbst geschaffen haben könnten, ohne das Zutun des Meisterbildhauers. Das Genie von Michelangelo bestand in seiner einzigartigen Fähigkeit, einen Steinklotz in eine großartige Skulptur zu verwandeln. Aber dafür musste er irgendein vorhandenes Material zur Verfügung haben. Gleichermaßen musste Rembrandt mit Leinwand und Farben beginnen. Sein Erfindungsreichtum zeigte sich, indem er mit Materialien arbeitete, die er bereits besaß. Wir sprechen bei Michelangelo und Rembrandt von schöpferischer Fähigkeit, aber kein Mensch in der Welt hat die Macht oder Fähigkeit, etwas aus dem Nichts heraus zu erschaffen. Das kann nur Gott.
Wenn wir bekennen, dass die Schöpfung ex nihilo entstand, dann entsteht aber auch die Frage: Wie kann Gott so etwas tun? Es klingt fast wie Magie, bei der Gott der Magier ist, der ein Kaninchen aus dem Hut zaubert. Aber in der Schöpfungshandlung gab es keine versteckten Spiegel, keine Kaninchen, keine Hüte und nicht mal einen Zauberstab.
Die Ursachen der Schöpfung
Jede Wirkung muss eine Ursache haben. Aristoteles unterscheidet verschiedene Arten von Ursachen anhand des Beispiels einer Skulptur:
- Ihre materielle Ursache (woraus sie hergestellt wurde) ist der Steinklotz.
- Ihre instrumentelle Ursache (das Mittel, durch das die Wirkung erzielt wurde) sind Hammer und Meißel; es sind die Instrumente, die der Bildhauer gebraucht, um Wirkungen hervorzubringen.
- Die formelle Ursache (die Vorstellung, mit der die Wirkung korrespondiert) ist die Skizze, die notwendig war um das Bild enstehen zu lassen.
- Die finale Ursache (der Zweck, für den es gemacht wurde) könnte z. B. sein, dass ein Gebäude verschönert oder einfach nur ein Auftrag erfüllt werden soll.
- Aristoteles unterschied außerdem zwischen verwirklichenden und vermögenden Ursachen: Die verwirklichende Ursache ist der Bildhauer, der die Skulptur erschafft. Die vermögende Ursache ist die Kraft, die benötigt wird, um die Verwirklichung hervorzurufen.
Die Schöpfung hatte keine materielle Ursache. Welche Ursachen lassen sich aber beobachten?
- Die formelle Ursache war Gottes Vorstellung und Plan, die Welt zu schaffen, nicht weil er sie benötigen würde, sondern nach seinem eigenen Ratschluss.
- Die finale Ursache entspricht Gottes Ratschluss; dem Plan, den er zunächst mit dem Schöpfungsakt ausführte. Die finale Ursache war Gottes Ehre und unser Wohlergehen (was auch zu seiner Ehre dient).
- Gott war sowohl die verwirklichende als auch die vermögende Ursache, weil er allein die Macht hat, etwas aus Nichts entstehen zu lassen.
Durch welches Mittel vollbrachte Gott die Schöpfung ex nihilo? Durch sein Wort. Augustinus nannte das den göttlichen Imperativ oder Befehl. Gott sprach: „Es werde“ (1Mo 1,3.6.14) – und die Dinge existierten. Im Film Anna und der König von Siam sagt der König häufig: „So lasst es uns sagen; so lasst es uns tun.“ Das ist ein königlicher Befehl, dem nicht widersprochen werden kann. In der Schöpfung gab es keinen Steinklotz oder eine Masse unstrukturierter Materie, sondern nur den Befehl Gottes. Er allein hat die Macht, Dinge einfach geschehen zu lassen, indem er einen Befehl erlässt. Es war die Macht seiner Worte, durch die er diese Welt schuf.
Jesus demonstriert die Macht des Schöpfers
Durch die Macht seines Wortes und durch seinen souveränen, wirksamen Willen kann Gott per Befehl etwas erschaffen. Wir sehen das in gewissem Maß auch bei Jesus, als er dem See Genezareth befiehlt und dieser aufhört, zu toben. Jesus sagte: „Schweig! Werde still!“ (Mk 4,39) und es wurde still. Daraufhin erschraken die Jünger. Sie riefen aus: „Wer ist denn dieser?“ (Mk 4,41) Nie zuvor waren sie jemanden mit einer solchen Autorität, die übernatürlich, heilig und majestätisch war, begegnet, dass sogar die Winde und das Meer ihm gehorchten.
Jesus demonstrierte diese Macht auch, als er Lazarus von den Toten erweckte. Nachdem Lazarus schon vier Tage tot war, „roch er schon“ (Joh 11,39). Diese Beschreibung unterstreicht die Tatsache, dass Lazarus tatsächlich tot war und dass sein Leichnam anfing, zu verwesen. Als Jesus ihn von den Toten erweckte, stand er vor der Grabstätte und rief: „Lazarus, komm heraus“ (Joh 11,43). Auf den Befehl des menschgewordenen Christus hin fing unmittelbar das Herz von Lazarus an, zu schlagen und Blut durch die Venen zu pumpen, woraufhin der Sauerstoff zu zirkulieren begann und Gehirnwellen in Gang setzte. Lazarus erwachte und kam lebendig aus dem Grab heraus.
Im Römerbrief spricht Paulus von der Einzigartigkeit Gottes. Er allein kann etwas aus dem Nichts und Leben aus dem Tod hervorbringen (Röm 4,17). Paulus sagt uns, dass Gottes Wort die Kraft hat, uns aus dem geistlichen Tod zu erwecken und uns aus dem Reich der Finsternis in das Reich des Lichts zu versetzen. Gott versichert seinem Volk, dass sein Wort nicht leer zu ihm zurückkommen wird, weil es seine Macht enthält (Jes 55,11). Wir staunen ehrfürchtig, dass unser Schöpfer durch den bloßen Befehl seiner Stimme das ganze riesige Universum aus dem Nichts erschaffen hat.
Ohne Gott existiert kein Leben
Aus dem Konzept der Schöpfung ex nihilo entstehen einige tiefgründige philosophische Beobachtungen. Obwohl vor der Schöpfung kein Material vorlag, aus der Gott das Universum formte, war Gott selbst schon immer da. Seine geistliche Realität war bereits vor der physischen da. In der Heiligen Schrift lernen wir, dass wir niemals das Universum oder einen Teil davon mit Gott gleichsetzen dürfen. Wenn wir den Schöpfer mit der Schöpfung vermischen, verfallen wir in Pantheismus, die klare Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf wird verwischt.
Paulus schreibt zwar, indem er einen griechischen Dichter zitiert „Denn in ihm leben, weben und sind wir“ (Apg 17,28), doch macht er dort deutlich, dass wir absolut abhängig von der erhaltenden Macht Gottes sind. Das, was er erschafft, erhält er auch. Wir sind nicht nur in Bezug auf den ursprünglichen Schöpfungsakt von ihm abhängig, sondern jeden Moment unseres Lebens. Es gibt ohne ihn kein Leben. Es ist schwer zu verstehen, wie Gott, der in seinem Wesen unendlich ist, alles durchdringen kann und doch zulässt, das etwas existiert, das völlig getrennt von seinem eigenen Sein ist. In gewisser Hinsicht verdanken wir unsere Existenz seinem Sein, aber das macht uns nicht zu Göttern. Es gibt einen Unterschied zwischen Existenz aus sich selbst heraus und geschöpflicher Existenz, und wir sollten nie von uns denken, dass wir kleine Götter wären oder Funken der Unendlichkeit. Wir existieren nicht aufgrund unserer eigenen Macht, sondern sind jede Sekunde vom Sein Gottes abhängig. Wir sind nicht Gott und niemand von uns kann erklären, wie wir durch den Einfluss seiner schöpferischen Macht existieren. Aber wir können überzeugt sein: Wenn diese Macht nicht Tag für Tag über und vor uns wäre, würde nichts existieren.