Es ist Zeit für eine moderate Offensive

Zum Umgang mit dem Säkularismus

Artikel von Rebecca McLaughlin
29. September 2019 — 9 Min Lesedauer

Wenn es darum geht, Gründe für unseren Glauben zu nennen, spielen wir Christen ein viel zu defensives Spiel. Wir haben gedacht, dass das Christentum immer weiter abnimmt, aber das tut es nicht. Wir haben angenommen, dass das Christentum sich nicht an Universitäten behaupten kann, aber das kann es. Zu viele von uns denken, dass das Christentum durch die säkulare Betonung von Vielfalt bedroht ist, aber das war es noch nie. Und zu wenige von uns denken, dass die christliche Sexualethik in der modernen Welt tragfähig ist, aber das ist sie. An diesen und vielen anderen Fronten haben wir dem Säkularismus viel mehr Boden zugestanden, als er verdient.

Aber wir haben auch ein zu aggressives Spiel gespielt. Wir haben uns mit Punkte-Erzielen und Kulturkämpfen beschäftigt, wo die Bibel uns eigentlich zu „Sanftmut und Ehrfurcht“ (1 Petrus 3,15) aufruft. Wir haben schwache Argumente verbreitet, ohne auf richtige Experten zu hören. Und wir sind blindlings in ein kulturelles Durcheinander getreten, anstatt jenen die Führung zu übergeben, die die Glaubwürdigkeit besitzen, zu sprechen.

Wenn wir in dieser kulturellen Situation treu agieren wollen, dürfen wir weder Verteidiger noch Angreifer sein, weder (unnötig) defensiv noch (untreu) aggressiv auftreten. Wir müssen stattdessen in eine „moderate Offensive“ gehen. Folgende fünf Hinweise können dabei helfen:

1. Wir müssen unsere Situation kennen

Vor vierzig Jahren sagten Soziologen den religiösen Niedergang voraus. Die Modernisierung hatte die Säkularisierung in Westeuropa vorangetrieben, und wo Westeuropa hinführte (so ihre Logik), dorthin würde der Rest der Welt folgen.

Aber diese Prophezeiung schlug fehl.

Die Identifikation mit Religion ist im Westen sicher zurückgegangen und dürfte auch weiter abnehmen. Aber der Rest der Welt hat sich dieser Entwicklung nicht angeschlossen. In den nächsten vierzig Jahren wird das Christentum mit 32 Prozent der globalen Bevölkerung, was einer einprozentigen Zunahme seines derzeitigen Anteils entspricht, die größte Glaubensrichtung weltweit sein. Vom Islam wird dagegen erwartet, dass er von 24 Prozent auf 31 Prozent erheblich zunehmen wird. In der Zwischenzeit wird jener Teil der Menschheit, der sich mit keiner bestimmten Religion identifiziert (Atheisten, Agnostiker und solche, die sich keiner Gruppe zuordnen) von 16 Prozent auf 13 Prozent abnehmen. Wenn China sich so schnell in Richtung Christentum entwickelt, wie das manche Experten erwarten, könnte die nichtreligiöse Kategorie noch weiter schrumpfen und der Anteil der Christen zunehmen.

Zur Überraschung vieler in der akademischen Welt im Westen ist die brennendste Frage der kommenden Generation nicht „Wie lange dauert es, bis Religion ausstirbt?“, sondern „Christentum oder Islam?“

2. Wir müssen gleiche Bedingungen schaffen

Die Neuen Atheisten behaupteten, dass Religion alles vergiftet. Das verzerrt das Denken unserer säkularen Freunde, aber es stimmt nicht mit den Fakten überein. Empirisches Beweismaterial zeigt, dass die regelmäßige Teilnahme an religiösen Aktivitäten für Einzelne und die ganze Gesellschaft von Vorteil ist. In Amerika ist bei denjenigen, die wöchentlich oder öfter zum Gottesdienst gehen, die Sterbewahrscheinlichkeit, über einen Zeitraum von 15 Jahren betrachtet, um 20 – 30 Prozent geringer. Sie leiden seltener an Depressionen, sie begehen weniger wahrscheinlich Selbstmord es ist weniger wahrscheinlich, dass sie sich scheiden lassen.

Wir alle wissen um den gesundheitlichen Nutzen, wenn wir Sport treiben, das Rauchen aufgeben oder mehr Obst und Gemüse essen. Aber die Studien zeigen, dass der Besuch eines Gottesdienstes mindestens einmal pro Woche zu gleichwertigen Ergebnissen führt! Es gibt noch weitere Vorteile: In seinem 2018 erschienenen Buch „The Character Gap: How Good Are We?”, beobachtet der Philosoph Christian Miller, dass buchstäblich hunderte von Studien den Zusammenhang zwischen der Teilnahme an religiösen Aktivitäten und besseren sittlichen Resultaten aufzeigen. In Nordamerika spenden Gottesdienstbesucher, die regelmäßig in eine Gemeinde gehen, das 3,5-fache des Geldes, das ihre nichtreligiösen Mitmenschen pro Jahr spenden. Mehr als doppelt so viele engagieren sich ehrenamtlich. In einer Stichprobe unter US-Männern war das Ausmaß der häuslichen Gewalt bei denen, die nicht zum Gottesdienst gingen, fast doppelt so hoch wie bei denen, die einmal pro Woche oder häufiger zum Gottesdienst gingen. Die Teilnahme an religiösen Aktivitäten korrelierte zudem mit niedrigeren Raten für 43 weitere Straftaten.

Viele dieser Effekte beschränken sich nicht nur auf das Christentum, aber sie widerlegen die These, dass die Säkularisierung gut für die Gesellschaft ist. Warum aber hören wir häufig etwas anderes? Der atheistische Sozialpsychologe Jonathan Haidt warnt, dass wir uns in diesen Fragen nicht von den Neuen Atheisten irreführen lassen sollten. Sie überprüfen das Material voreingenommen und ziehen so den Schluss, dass Religion außer den gesundheitlichen Vorteilen keine weiteren bietet.

3. Wir müssen Vielfalt wieder entdecken

Es ist ein zentraler säkular-liberaler Wert, Vielfalt zu feiern. Aber wenn es um Vielfalt geht, haben Christen die besseren Karten in der Hand. Das Christentum ist weltweit der kulturell und ethnisch vielfältigste Glaube. Wenn wir uns die Entwicklung des Christentums in Nordamerika ansehen, fallen zwei Dinge auf. Erstens ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass Farbige im Gegensatz zu Weißen religiös sind. In jeder Umfrage, in der es um Teilnahme an christlichen Aktivitäten geht, ist der Wert der farbigen Amerikaner wesentlich höher als der von Weißen. Oft sind es circa 20 Prozent mehr. Auch bei Lateinamerikanern ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass sie aktive Christen sind. Zweitens sind Frauen, ganz im Einklang mit globalen Entwicklungen, deutlich häufiger aktive Christen als Männer. Die Differenz zwischen den Geschlechtern ist nicht so hoch wie zwischen den Rassen, aber immer noch bedeutsam. Farbige amerikanische Männer sind religiöser als weiße amerikanische Frauen. Im Gegensatz dazu sind unter den amerikanischen Atheisten weiße Männer übermäßig stark vertreten.

Das ist kein Zufall. Das Christentum war von Anfang an äußerst rassenübergreifend, multiethnisch und multikulturell. Außerdem war die Kirche im Laufe der Geschichte immer mehrheitlich weiblich. Wenn wir über unsere kulturelle Situation nachdenken, müssen wir daher aufhören, uns darüber zu beklagen, dass die Kirche von Entwicklungen zerstört wird, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Wir müssen stattdessen beginnen, zu feiern, was Gott durch wunderbare Vielfalt in der Gemeinde tut.

4. Wir müssen unser bestes Team aufs Feld schicken

Vor fünfundzwanzig Jahren schrieb der Historiker Mark Noll die folgenden verurteilenden Worte: „Der Skandal des evangelischen Denkens ist, dass es kaum evangelisches Denken gibt." Für eine lange Zeit des 20. Jahrhunderts deuteten viele Evangelikale die Schlichtheit des Evangeliums als Auftrag für intellektuelle Bequemlichkeit. Aber das Christentum ist die größte intellektuelle Bewegung der gesamten Geschichte! Christen erfanden die Universität. Universitäten wie Oxford, Cambridge, Harvard und Yale wurden speziell dafür gegründet, Gott zu verherrlichen. Selbst wissenschaftliche Fächer, von denen man annahm, dass sie den Glauben anzweifeln, sind tief im christlichen Glauben verwurzelt. Die moderne wissenschaftliche Methode wurde beispielsweise zuerst von Christen entwickelt, weil sie an Gott als Schöpfer glaubten.

Was die Universität anbelangt: Wir betteln nicht um einen Platz am Tisch oder versuchen, ihn zu Feuerholz zu zerhacken. Vielmehr stellen wir unseren Stuhl an den Tisch, den wir gebaut haben, dazu. Aber im akademischen Bereich, wie auch in anderen Bereichen, müssen wir unsere Experten ausfindig machen: Tausende von christlichen Professoren, die Gott in Universitäten aufgezogen hat. Wir müssen von ihrer Arbeit lernen und ihnen die Führung überlassen.

Auch in anderen Bereichen, in denen es um kulturelles Engagement geht, sollten wir unsere glaubwürdigsten Vertreter sprechen lassen. In einer Welt, in der Christen als homophobe Fanatiker erachtet werden, müssen wir den Christen den Rücken stärken, die der Bibel treu bleiben obwohl sie sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen. Gott hat sie dazu berufen, für die Mitglieder ihrer Gemeinde und auch zu ihnen zu sprechen. In einer Welt, in der das Christentum als weiße Religion abgelehnt wird, müssen wir den farbigen Männern und Frauen den Rücken stärken, die der Bibel treu sind. In einer Welt, in der das Christentum als eine Religion angesehen wird, in der Frauen schlecht gemacht werden, müssen wir den rhetorisch begabten Frauen den Rücken stärken, die der Bibel treu sind. Das müssen wir vor allem in Bezug auf Themen wie Abtreibung tun, bei dem der Widerstand gegen Abtreibung oftmals fälschlicherweise mit Frauenfeindlichkeit gleichgesetzt wird.

Nichts davon bedeutet, sich der Identitätspolitik zu beugen. Wahrheit ist Wahrheit, unabhängig davon, wer sie ausspricht. Gott hat Leiter großgezogen, deren Stimmen gehört werden können. Wir müssen unser bestes Team in der Öffentlichkeit präsentieren. Die anderen unter uns folgen dann ihrem Beispiel.

5. Wir müssen unser eigenes Spiel verbessern

Als Jesus predigte, war die Ernte groß. Das Gleiche gilt heute für Amerika. Erfreulicherweise ist ein großer Teil des lauthals verkündeten Niedergangs des amerikanischen Christentums in nominell christlichen und theologisch liberalen Denominationen zu beobachten. Der überzeugte evangelische Glaube bleibt bestehen. Obwohl zudem viele Amerikaner von der Identifikation als Christen zu einer Identifikation unabhängig von einer Religion gewechselt sind, handelt es sich nicht um eine Einbahnstraße. Eine aktuelle Studie hat ergeben, dass 80 Prozent jener, die als Protestanten in den Vereinigten Staaten aufwuchsen, sich auch noch als Erwachsene als Protestanten identifizieren, wohingegen nur 60 Prozent jener, die nicht-religiös aufwuchsen, sich auch als Erwachsene von jeglicher Religion fern hielten. Viele von ihnen sind zum Christentum konvertiert. Es ist ziemlich schwierig, eine nichtreligiöse Identität über mehrere Generationen hinweg aufrecht zu erhalten.

Anstatt die Schotten dicht zu machen sollten wir daher in eine evangelistische Offensive gehen. Der säkulare Konsens bröckelt und wir müssen demütig das Beste aus jeder Gelegenheit machen – im Mehrbettzimmer, an der Bushaltestelle oder beim Wasserspender. Aber wir müssen unser Spiel verbessern.

Um es klar zu sagen: Wenn wir das Evangelium treu weitergeben, werden wir oft auf Ablehnung stoßen. Nur Gott kann verblendete Augen öffnen. Wir müssen beten, als ob Menschenleben davon abhängen – denn das tun sie. Aber wir müssen sicherstellen, dass Christus der Stolperstein ist, über den unsere Freunde stolpern und nicht die Legenden, die wir hätten ausräumen können.

Lasst uns also unser bestes Team aufs Feld schicken und mit Sorgfalt, Sanftmut und Respekt in die evangelistische Offensive gehen. Jesus ist kein Relikt aus der Antike. Er ist die größte Hoffnung unserer modernen Welt.