Grenzenlose Gnade

Warum John Owen die Verbundenheit mit Christus so wichtig war

Artikel von Sinclair B. Ferguson
22. September 2019 — 4 Min Lesedauer

Die üblichste und grundlegendste Beschreibung des Neuen Testaments für einen Gläubigen ist, dass er oder sie eine Person „in Christus“ ist. Der Ausdruck und seine Varianten beherrschen die Lehre der Apostel. Und eine Hilfe, die uns die Schrift dabei gibt, die Bedeutung dieses Ausdrucks zu verstehen, ist, wenn wir unsere Einheit mit Christus in Begriffen ausdrücken, die John Owen „konjugale Beziehungen“ nannte, oder wie wir sagen würden: „Ehe“. Durch den Dienst des Geistes und durch Glauben werden wir mit Christus verbunden, „einsgemacht“, auf eine Art und Weise, wie ein Mann und eine Frau „ein Fleisch“ werden in der Ehe.

Dieses Bild, welches schon im Alten Testament präsent ist (Jes 54,5; 61,10; 62,5; Hes 16,1–22; siehe das Buch Hosea), erfährt seine Erfüllung im Neuen Testament in der Beziehung zwischen Christus und seiner Gemeinde. Christus erfreute sich in der Ewigkeit an der Erwartung darauf und verwirklichte sie in der Zeit, indem er die Demütigung, den Schmerz und das Leid des Kreuzes ertrug. Christus wird uns in all seiner rettenden Gnade und persönlichen Attraktivität im Evangelium angeboten. Der Vater bringt die Braut zu seinem Sohn, die er für ihn bereitet hat, und bittet beide Parteien, ob sie einander haben wollen – den Retter, ob er Sünder sein Eigen nennen will; Sünder, ob sie den Herrn Jesus als ihren Retter, Ehemann und Freund umarmen wollen.

Wie viele seiner Zeitgenossen sah Owen diese geistliche Einheit und Gemeinschaft zwischen Christus und dem Gläubigen vorgedeutet und beschrieben in dem alttestamentlichen Buch des Hohelieds. Seine Auslegung der Attraktivität Christi für den Christen ist stark beeinflusst von den Beschreibungen des Liebhabers und den Ausdrücken der Zuneigung der Geliebten. Obwohl seine Analyse typisch für seine Zeit war, würden ihm wenige Kommentatoren heutzutage bei den Einzelheiten seiner Exegese folgen.

Aber was vorrangig und bemerkenswert bei Owens Denken hervorgeht, ist, dass ein Christ zu sein beinhaltet, tiefe Zuneigung für Christus zu haben.

„Christus ist eine Person, die erkannt, geschätzt und geliebt werden will.“

 

Christus ist eine Person, die erkannt, geschätzt und geliebt werden will. Gemeinschaft mit Christus umfasst demnach „gegenseitige Hingabe“ zwischen uns selbst und ihm. Es gibt „endlose, unversiegliche, grenzenlose Gnade und Mitleid“ in Christus, eine „Fülle der Gnade in der menschlichen Natur Christi“, die ein solches Ausmaß hat, dass Owen in einem Ausbruch von Erstaunen und Lobpreis sagt:

Wenn die ganze Welt, wenn ich das sagen darf, von dieser freien Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung trinken wollte, indem sie beständig Wasser aus dem Brunnen der Errettung schöpft; wenn sie eine einzige Verheißung in Anspruch nehmen wollte, wobei ein Engel nebenbeisteht und ausruft: „Trinkt, meine Freunde, trinkt reichlich, nehmt soviel Gnade und Vergebung wie ausreicht für die Welt an Sünde, die in jedem einzelnen von euch ist“; sie würde die Gnade der Verheißung nicht um eine Haaresbreite ausschöpfen. Es gibt genug für Millionen von Welten, wenn es sie gäbe; weil sie aus einer unendlichen, unversieglichen Quelle fließt.

Deshalb bedeutet für Owen, Christ zu werden, das Gewicht der Worte des Herrn in Hosea 3,3 zu spüren, so als wenn wir direkt angesprochen wären: „Du sollst mir viele Tage so bleiben und nicht huren und keinem anderen Mann angehören; ebenso will auch ich mich dir gegenüber verhalten!“ Als Antwort darauf ordnen wir unseren Willen Christus und dem Weg der Errettung unter, den Gott geschaffen hat, und sprechen:

„Herr, ich hätte dich und deine Errettung auf meine Weise gewollt, damit sie teilweise durch mein Streben erlangt worden wäre und gewissermaßen durch die Werke des Gesetzes; ich bin nun bereit, dich zu empfangen und auf deine Weise gerettet zu werden - allein durch Gnade. Und obwohl ich nach meinem eigenen Willen gewandelt wäre, gebe ich mich nun vollkommen unter die Herrschaft deines Geistes; denn in dir habe ich Gerechtigkeit und Stärke, in dir bin ich gerechtfertigt und in dir rühme ich mich“ – dann setzt sich dies fort in der Gemeinschaft mit Christus in den gnädigen Eigenschaften seiner Person. Das ist es, was es bedeutet, den Herrn Jesus in seiner Anmut und Exzellenz aufzunehmen. Das ist die besondere Gemeinschaft mit dem Sohn Jesus Christus.

Es ist gewiss schwierig für uns, solche Passagen zu lesen – egal wie altertümlich die Sprache zunächst erscheinen mag – ohne dass unser Herz springt durch die schiere Größe dessen, was mit uns geschehen ist, als wir zum Glauben an solch einen Retter gekommen sind. Wir können unsere Sünden nicht weiter ausbreiten als er seine Gnade ausbreiten kann. Darüber nachzusinnen, von dem Wasser solch einer reinen Quelle zu kosten, ist gewiss uns zu „freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude“ (1Petr 1,8).