Was ist das Abendmahl?

Artikel von Keith Mathison
25. August 2019 — 10 Min Lesedauer

Das Abendmahl ist gar nicht so einfach zu verstehen

Ist dir bislang jemals die Fremdartigkeit des Abendmahls aufgefallen? Viele von uns gehen schon so viele Jahre in die Gemeinde, dass diese Sache, die wir jede Woche oder jeden Monat tun, zur Gewohnheit geworden ist. Das Fremdartige daran fällt uns gar nicht mehr auf. Aber versuch dich einmal hineinzuversetzen in jemanden, der zum allerersten Mal eine Gemeinde besucht. Stell dir vor, wie das Abendmahl auf ein Kind wirkt. Mit einigen Unterschieden zwischen den Gemeinden in Fragen der Liturgie, empfangen die Mitglieder der Gemeinde Brot, welches sie auf eine zeremonielle Weise essen, nachdem der Pastor die Wort Jesu wiederholt hat: „Das ist mein Leib“. Dann empfangen sie Wein (oder Traubensaft), welchen sie auf eine zeremonielle Weise trinken, nachdem der Pastor an die Worte Jesu erinnert hat: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“. Was um alles in der Welt geht hier vor? Was ist eigentlich das Abendmahl?

Was hat das Abendmahl mit dem Passah zu tun?

Die Heilige Schrift geht davon aus, dass die von Gott verordneten Sakramente, Fragen bei den Gläubigen aufwerfen werden. Als zum Beispiel das Passah eingesetzt wurde, sagte Mose: „Und wenn dann eure Kinder zu euch sagen: Was habt ihr da für einen Dienst?, so sollt ihr sagen: Es ist das Passah-Opfer des HERRN, der an den Häusern der Kinder Israels verschonend vorüberging in Ägypten, als er die Ägypter schlug und unsere Häuser errettete!“ (2Mo 12,26–27). Der Herr wusste, dass das Passah einer Erklärung bedurfte. Er wusste, dass die israelitischen Kinder nach der Bedeutung der Rituale fragen würden. Wir sollten nichts anderes erwarten, wenn es um unsere Kinder und das Abendmahl geht. Aber woher wissen wir, wie wir solche Fragen beantworten sollen? Was sagen wir, wenn unsere Kinder fragen: „Was habt ihr da für einen Dienst?“

„Was ist das heilige Abendmahl?“

Christen in der reformierten Tradition haben die Heilige Schrift eingehend studiert, um solche Fragen zu beantworten. Die Ergebnisse dieses Studiums finden sich in den reformierten Bekenntnissen und Katechismen. Der große Westminster Katechismus gibt zum Beispiel eine knappe Antwort auf die Frage: „Was ist das heilige Abendmahl?“ „Das heilige Abendmahl ist ein Sakrament des Neuen Testaments, worin durch das Geben und Empfangen von Brot und Wein gemäß der Bestimmung Jesu Christi sein Tod verkündigt wird und die, welche würdig kommunizieren, seinen Leib und sein Blut zu ihrer geistlichen Nahrung und zum Wachstum in der Gnade genießen, ihre Einigung und Gemeinschaft mit ihm bestätigt erhalten, ihre Dankbarkeit und Verpflichtung Gott gegenüber und ihre gegenseitige Liebe und Gemeinschaft bezeugen und erneuern, die sie ein jeder mit dem anderen als Glieder desselben mystischen Leibes haben“ (Frage 168). Diese Definition offenbart, wie eng die Lehre vom Abendmahl mit anderen christlichen Lehren verbunden ist. In diesem Katechismus allein gibt es 167 Fragen und Antworten, bevor wir zum Abendmahl kommen, und viel von dem, was in den vorangehenden gelehrt wird, wird hier vorausgesetzt. Es ist deshalb wichtig zu wissen, dass unsere Antwort auf die Frage, was das Abendmahl ist, nicht getrennt von anderen christlichen Lehren verstanden werden kann. Es ist nicht möglich, die reformierte Lehre des Abendmahls völlig zu verstehen, ohne ein gewisses Verständnis von den Lehren über Gott, die Heilige Schrift, Sünde, Errettung, die Menschwerdung Jesu, die Gemeinde und mehr zu haben.

Wir sehen zum Beispiel in der Antwort des Katechismus, dass das Abendmahl ein Sakrament ist. Aber diese Antwort ist nicht hilfreich, wenn wir keine Vorstellung von dem Wesen eines Sakraments haben. Zusätzliche Probleme entstehen, weil viele, die das Wort Sakrament hören, es mit Mystizismus oder Zeremonialismus assoziieren. Manche assoziieren es mit dem Katholizismus und können sich nicht vorstellen, warum eine protestantische Gemeinde weiterhin solch ein vorbelastetes Wort gebrauchen würde. Es herrscht eine Furcht, dass dadurch etwas einen Fuß in die Tür bekommt, das man lieber draußen wissen möchte.

Das ist ein Grund, warum das Studium der Reformation und der Bekenntnisse der Reformation unglaublich hilfreich sein kann.

„Die Reformatoren hatten keine Angst vor dem Wort Sakrament und keine Bedenken, es zu gebrauchen, und sie kannten, besser als jeder heute, die Gefahren des mittelalterlichen Katholizismus.“

 

Die Reformatoren hatten keine Angst vor dem Wort Sakrament und keine Bedenken, es zu gebrauchen, und sie kannten, besser als jeder heute, die Gefahren des mittelalterlichen Katholizismus. Auch hatten die reformierten Kirchen in den nachfolgenden Generationen keine Angst vor dem Wort. Fast jedes reformierte Bekenntnis aus dem 16. und 17. Jahrhundert hat ein Kapitel, das den Titel trägt: Über die Sakramente. Und reformierte Theologen haben das Wort über Jahrhunderte gebraucht. Solange wir es sorgsam definieren, ist es ein vollkommen angemessenes Wort. Wie wird das Wort Sakrament also definiert? Hier ist wieder der große Westminster Katechismus hilfreich, der erklärt, dass ein Sakrament „eine heilige Ordnung [ist], von Christo in seiner Kirche eingesetzt, um denen, die innerhalb des Bundes der Gnade stehen, die Wohltaten seiner Mittlerschaft zu bezeichnen, zu versiegeln und darzureichen, ihren Glauben und alle anderen Gnadengaben zu stärken und zu vermehren, sie zum Gehorsam zu verpflichten, ihre Liebe und ihre Gemeinschaft unter einander zu bezeugen und zu pflegen, und sie von denen, welche draußen stehen, zu unterscheiden“ (Frage 162). Der Katechismus erklärt im Folgenden, dass ein Sakrament zwei Teile hat: ein sichtbares äußeres Zeichen und die geistliche Wirklichkeit, die durch das Zeichen bezeichnet wird (Frage 163). Reformierte Kirchen lehren, dass es nur zwei solche Sakramente gibt, die von Jesus Christus im neuen Bund eingesetzt wurden: die Taufe und das Abendmahl.

Das Abendmahl ist ein Sakrament des Neuen Testaments oder des neuen Bundes, welches von Jesus Christus im Obergemach in der Nacht, in der er verraten wurde, eingesetzt wurde (Mt 26,26–29; Mk 14,22–25; Lk 22,14-23; 1Kor 11,23–26). Weil es ein Sakrament ist, bezeichnet das Abendmahl „die Wohltaten der Mittlerschaft [Christi]“, versiegelt sie und reicht sie den Gläubigen dar.

Das Abendmahl versiegelt die Wohltaten von Jesus Christus

Was meinen wir, wenn wir sagen, dass das Abendmahl die Wohltaten der Mittlerschaft Christi bezeichnet, versiegelt und darreicht? Lasst uns zunächst das Wort „bezeichnen“ ansehen. Sakramente haben zwei Teile: ein äußerliches Zeichen und eine Wirklichkeit, die durch das Zeichen bezeichnet wird. Im Abendmahl ist das sichtbare, äußerliche Zeichen das Spenden und Empfangen von Brot und Wein. Brot und Wein bezeichnen den gekreuzigten Christus und seine Wohltaten (Westminster Bekenntnis 29,5.7). Genauer gesagt, das Brot ist ein Zeichen für den Leib Christi und der Wein ein Zeichen für sein Blut (Mt 26,26–28; 1Kor 10,16). Heutzutage, wenn wir das Wort Zeichen hören, denken wir z.B. an ein Straßenschild, das Informationen kommuniziert oder ein Symbol wie die Raute (#, nunmehr oft als Hashtag bekannt). Das ist nicht genau das, was gemeint ist, wenn wir vom Brot und Wein als Zeichen für den Leib und das Blut des gekreuzigten Christus sprechen, weil es im Abendmahl eine „geistliche Beziehung oder sakramentale Vereinigung zwischen dem Zeichen und der bezeichneten Sache“ gibt (Westminster Bekenntnis 27,2). Aufgrund der sakramentalen Vereinigung ist ein sakramentales Zeichen verschieden von dem, was es bezeichnet, aber nicht getrennt davon. Wir werden auf diesen Gedanken der sakramentalen Vereinigung zurückkehren, deshalb ist es wichtig, ihn im Hinterkopf zu behalten.

Was meinen wir damit, wenn wir sagen, dass das Abendmahl die Wohltaten der Mittlerschaft Christi „versiegelt“? Paulus redet in Römer 4,11 von Abrahams Beschneidung als „Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er schon im unbeschnittenen Zustand hatte“. Der Kontext weist darauf hin, dass die Beschneidung ein Siegel in dem Sinne war, dass sie die Wirklichkeit von dem bekräftigte, was sie bezeichnete, nämlich die Gerechtigkeit, die Abraham durch Glauben hatte. Die Beschneidung bestätigte sie. In gleicher Weise ist das Abendmahl ein Siegel in dem Sinne, dass es die Verheißung Gottes bekräftigt und beglaubigt bezüglich der Wirklichkeit der Wohltaten, die von denen empfangen werden, die das Abendmahl im Glauben einnehmen. Es zeigt, dass das Abendmahl nicht nur eine leere Zeremonie ist. Diejenigen, die im Glauben daran teilnehmen, werden vergewissert, dass sie tatsächlich „seinen Leib und sein Blut zu ihrer geistlichen Nahrung und zum Wachstum in der Gnade genießen, ihre Einigung und Gemeinschaft mit ihm bestätigt erhalten, ihre Dankbarkeit und Verpflichtung Gott gegenüber und ihre gegenseitige Liebe und Gemeinschaft bezeugen und erneuern, die sie ein jeder mit dem andern als Glieder desselben mystischen Leibes haben“ (Frage 168).

Was ist schließlich gemeint mit dem Wort „darreichen“? Was bedeutet es zu sagen, dass das Abendmahl die Wohltaten der Mittlerschaft Christi darreicht? Wiederum bietet das Westminster Bekenntnis einen hilfreichen Ausgangspunkt, um über die Antwort auf diese Frage nachzudenken: „Die in den Sakramenten oder durch sie angebotene Gnade wird bei rechtem Gebrauch nicht durch irgendeine in ihnen liegende Kraft übertragen; auch hängt die Wirksamkeit eines Sakramentes nicht von der Frömmigkeit oder Absicht dessen ab, der es verwaltet, sondern von dem Werk des Geistes und dem Wort der Einsetzung. Dies enthält – verbunden mit einer Vorschrift, die zu seinem Gebrauch bevollmächtigt – eine Verheißung der Wohltat für würdige Empfänger“ (Westminster Bekenntnis 27,3). Etwas darzureichen bedeutet, es anzuvertrauen. Die Wohltaten Christi werden tatsächlich den Gläubigen im Sakrament anvertraut. Das Bekenntnis erklärt hier, was dies nicht bedeutet. Zu sagen, dass das Abendmahl die Wohltaten der Mittlerschaft Christi anvertraut, bedeutet nicht, dass Brot und Wein irgendeine Kraft in sich selbst haben. Außerdem hängt die Darreichung der Wohltaten nicht von der Heiligkeit oder den Absichten des Pfarrers ab. Es hängt einzig von dem Werk des Geistes und der Verheißung Gottes ab, die in den Einsetzungsworten gefunden werden.

Was sind folglich die tatsächlichen Wohltaten? Was passiert eigentlich durch die Kraft des Heiligen Geistes gemäß der Verheißung Gottes? Das Westminster Bekenntnis erklärt: „Würdige Empfänger haben äußerlich an den sichtbaren Elementen dieses Sakramentes teil; innerlich empfangen sie den gekreuzigten Christus mit allen Wohltaten seines Todes und speisen sich an ihm wahrhaftig und wirklich im Glauben – jedoch nicht „fleischlich“ und leiblich, sondern geistlich. Demnach sind Leib und Blut Christi nicht leiblich, beziehungsweise „fleischlich“ in, mit oder unter Brot und Wein; doch sind sie in dieser Ordnung ebenso wirklich gegenwärtig, aber geistlich für den Glauben der Gläubigen, wie es die Elemente selbst für die äußere Sinneswahrnehmung sind“ (Westminster Bekenntnis 29,7). Das Bekenntnis weist darauf hin, dass es eine Parallele gibt zwischen dem, was „äußerlich“ geschieht, und dem, was „innerlich“ geschieht.

Es ist wichtig, die Hauptaussagen zu untersuchen, bevor wir uns die qualifizierenden Nebenaussagen ansehen, damit wir sie nicht verpassen. Nach dem Bekenntnis „empfangen und speisen sich würdige Empfänger“ – d.h. die, die Glauben haben – durch die sichtbaren Elemente (Brot und Wein), „wahrhaftig und wirklich an dem gekreuzigten Christus mit allen Wohltaten seines Todes“. „Leib und Blut Christi“ sind gegenwärtig „für den Glauben der Gläubigen“, indem die Elemente Brot und Wein gegenwärtig sind „für die äußere Sinneswahrnehmung“. Die Unterscheidung von äußerlich und innerlich zieht sich durch den ganzen Abschnitt.

Das Bekenntnis macht deutlich, dass dies nicht auf eine rein materialistische Weise zu verstehen ist. Die Gläubigen „empfangen und speisen sich wahrhaftig und wirklich an dem gekreuzigten Christus“, aber nicht „fleischlich oder leiblich“. Es geschieht geistlich, weil der Leib und das Blut Christi für den Glauben der Gläubigen gegenwärtig ist, statt leiblich oder fleischlich gegenwärtig „in, mit und unter Brot und Wein“. Wie der große Westminster Katechismus es ausdrückt:

„So genießen die, welche würdig im Sakrament des heiligen Abendmahls kommunizieren, darin den Leib und das Blut Christi nicht auf körperliche oder fleischliche, sondern auf geistliche Weise, jedoch wahrhaftig und wirklich, während sie durch den Glauben den gekreuzigten Christus und alle Wohltaten seines Todes empfangen und sich aneignen“ (Frage 170).