Die Schöpfung bezeugt den Schöpfer

Die klassisch-reformierte Theologie und die Verteidigung des Glaubens

Artikel von J.V. Fesko
17. August 2019 — 8 Min Lesedauer

C.S. Lewis schrieb einmal, dass alte Bücher die Prise der Vergangenheit in sich tragen, die in unseren Verstand bläst und uns an Wahrheiten erinnert, die längst vergessen waren. Alte Bücher zu lesen hilft deshalb der Kirche, den klassisch-reformierten Ansatz für die Verteidigung des Glaubens (oder Apologetik genannt) wiederzuentdecken. Klassisch-reformierte Theologen sagen manche Dinge ganz anders als viele unserer zeitgenössischen Theologen. Karl Barth sagte zum Beispiel, dass es keinen Berührungspunkt zwischen dem Gläubigen und dem Ungläubigen gäbe; daher sei Apologetik unnötig. Der konservative, reformierte Apologet Cornelius van Til schrieb in einem Brief an Francis Schaeffer, dass keine Form von natürlicher Theologie richtig von Gott redet. Aber die historisch-reformierte Theologie offenbart etwas anderes. Dieser Meinungsunterschied zwischen der zeitgenössischen und der klassisch-reformierten Theologie rechtfertigt eine kurze Untersuchung, um zu verstehen, warum wir alte, reformierte Theologiebücher lesen sollten, um den Glauben zu verteidigen.

Reformierte Werke aus dem 16. und 17. Jahrhundert sprechen regelmäßig von zwei Gedanken, die wenige zeitgenössische, reformierte Theologen ansprechen: gemeinschaftliche Auffassungen und die natürliche Ordnung. Erstens, was sind gemeinschaftliche Auffassungen? Gemeinschaftliche Auffassungen sind die Vorstellungen, die alle Menschen von Natur aus besitzen, weil sie im Ebenbild Gottes geschaffen sind. Historisch gesehen haben reformierte Theologen typischerweise an gemeinschaftliche Auffassungen appelliert, wenn sie verschiedene Bibelstellen aus dem Römerbrief interpretiert haben:

Wenn nämlich Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz verlangt, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz, da sie ja beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist, was auch ihr Gewissen bezeugt, dazu ihre Überlegungen, die sich untereinander verklagen oder auch entschuldigen. (Röm 2,14-15)

Der Apostel Paulus schreibt von den ungläubigen Heiden, die nicht das besonders geoffenbarte Gesetz Gottes am Sinai empfangen hatten. Dennoch haben diese Ungläubigen die Werke des Gesetzes in ihr Herz geschrieben. Ungläubige können richtig von falsch unterscheiden, wie wir aus den Aussagen von Paulus erkennen können, dass „ihre Überlegungen sich untereinander verklagen oder auch entschuldigen“.

Es gibt zahlreiche andere Bibelstellen, auf die sich klassisch-reformierte Werke berufen, wie zum Beispiel als der heidnische Abimelech größere Moral zeigte als Abraham. Abimelech wies Abraham zurecht, weil dieser über seine Beziehung mit Sarah gelogen hatte (1Mo 20,9-11). Klassisch-reformierte Theologen berufen sich auch auf die Interaktion zwischen Jona und den heidnischen Schiffsleuten, die sich zunächst weigerten, ihn im Sturm über Bord zu werfen, weil sie wussten, dass es falsch war (Jona 1). Auch auf 1. Korinther 5,1 wird sich berufen, wo Paulus die Korinther dafür zurechtweist, eine Art von sexueller Unmoral zuzulassen, die noch nicht einmal unter Heiden toleriert wird. Mit anderen Worten, Ungläubige hatten in manchen Fällen höhere moralische Standards als die christlichen Korinther.

Zweitens, klassisch-reformierte Theologen glaubten, dass gemeinschaftliche Auffassungen ein Teil des größeren Ganzen sind, nämlich der natürlichen Ordnung. Die natürliche Ordnung ist die Art und Weise, wie die Schöpfung widerspiegelt, wer Gott ist. Gott hat Menschen dazu gemacht, auf integrierte Weise in seine größere Schöpfung zu passen. Das Wissen um die Werke des Gesetzes, mit dem alle Menschen geboren werden, ist mit der größeren Schöpfung verbunden. Eine typische Bibelstelle, auf die sich Theologen berufen, ist Römer 1,19-20:

Weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist, da Gott es ihnen offenbar gemacht hat; denn sein unsichtbares Wesen, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit Erschaffung der Welt an den Werken durch Nachdenken wahrgenommen, so dass sie keine Entschuldigung haben.

Eine weitere ist Psalm 19:

Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung verkündigt das Werk seiner Hände. Es fließt die Rede Tag für Tag, Nacht für Nacht tut sich die Botschaft kund. Es ist keine Rede und es sind keine Worte, deren Stimme unhörbar wäre. (Verse 2-4)

Die Menschen können sich die Schöpfung ansehen und die Pinselstriche und die Unterschrift des Meisterkünstlers sehen. Egal, ob man sich die Schöpfung im Allgemeinen anschaut und Gottes ewige Kraft und Gottheit erkennt oder besondere Dinge in der Welt studiert, wie z.B. Insekten, und Spiegelungen von Gottes Weisheit erkennt (Spr 6,6), die ganze Schöpfungsordnung und die Menschen spiegeln den Gott wider, der beide gemacht hat.

In der klassisch-reformierten Theologie kann man Bezüge auf gemeinschaftliche Auffassungen und die natürliche Ordnung in den Schriften von Heinrich Bullinger, Martin Bucer, Johannes Calvin, François Turrettini, Girolamo Zanchi, Richard Baxter, John Owen, Franz Junius der Jüngere und vielen mehr finden. Aber der bedeutendste Ort, an denen diese Konzepte auftauchen, ist in den historisch-reformierten Glaubensbekenntnissen. Das französische Glaubensbekenntnis (Confessio Gallicana, 1559), welches hauptsächlich von Calvin verfasst wurde, sagt aus: „Dieser Gott offenbart sich als solcher den Menschen zuerst durch seine Werke, sowohl durch ihre Schöpfung als auch durch ihre Erhaltung und Leitung“ (Artikel 2). Viele Menschen wissen, dass das Westminster Bekenntnis (1647) mit einem Kapitel über die Heilige Schrift beginnt. Aber wir sollten bemerken, dass sich die erste Zeile dieses Kapitels auf etwas anderes bezieht: „Obwohl das Licht der Natur und die Werke der Schöpfung und Vorsehung die Güte, Weisheit und Macht Gottes so weit offenbaren …“ (Artikel 1.1). Das Licht der Natur ist eine allumfassende Rubrik für die gemeinschaftlichen Auffassungen und die allgemeine Offenbarung Gottes in der Schöpfung. Das Westminster Bekenntnis macht sogar noch vier weitere Bezüge auf das Licht der Natur als etwas, durch das die Kirche gewisse Aspekte der Anbetung regelt (Artikel 4.6), als das, was Ungläubige dazu befähigt, ihr Leben moralisch zu gestalten (Artikel 10.4) und als ein Zeugnis neben der Heiligen Schrift, welches offenbart, ob ein gewisses Verhalten moralisch oder unmoralisch ist (Artikel 20.4). Der fünfte Bezug auf das Licht der Natur im Kapitel über die Anbetung ist eine der umfassendsten Aussagen über die natürliche Erkenntnis Gottes:

Das Licht der Natur zeigt, dass es einen Gott gibt, der Gewalt und Herrschaft über alles hat, der gut ist und allen Gutes tut, der deshalb zu fürchten, zu lieben, zu preisen und anzurufen ist, und dem man vertrauen und von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft dienen muss (Artikel 21.1)

Eines der eindrücklicheren Gleichnisse für das Licht der Natur kommt aus dem Niederländischen Glaubensbekenntnis (1561):

Wir erkennen aber Gott … durch die Schöpfung, Erhaltung und Regierung dieser ganzen Welt. Denn diese ist für unsere Augen wie ein schönes Buch, in welchem alle Geschöpfe, kleine und große, gleich wie hingeschriebene Buchstaben sind, aus denen das unsichtbare Wesen Gottes ersehen und erkannt werden kann. (Artikel 2)

Die Daten aus der Schrift und den Glaubensbekenntnissen führen zu zwei Schlüsselpunkten: (1) die Bedeutung des Buchs der Natur und (2) die Notwendigkeit, die Bücher der Natur und der Heiligen Schrift im Tandem zu gebrauchen, um den Glauben zu verteidigen. Im 20. Jahrhundert haben reformierte Theologen eifrigen Gebrauch des Buchs der Heiligen Schrift gemacht und das ist löblich. Aber gleichzeitig ist Gottes gutes Buch der Natur im Regal liegen geblieben und hat viel Staub angesammelt. Da Gott zwei Bücher geschrieben hat, die Heilige Schrift und die Natur, sollten wir deshalb nicht beide gebrauchen, um den Glauben zu verteidigen? Warum sollten wir die Hälfte von Gottes Offenbarungsarsenal im Regal lassen? Zeitgenössische Theologen haben ihre mangelnde Bereitschaft, das Buch der Natur zu gebrauchen, mit zahllosen Rechtfertigungen verteidigt: Gott könne nicht bewiesen werden; sich auf natürliche Theologie zu berufen würde die Wahrheit dem Urteil des sündhaften Verstandes unterstellen, keine noch so große Zahl an Beweisen oder Argumenten könne den Ungläubigen bekehren. Hier kommt jedoch der zweite Punkt ins Spiel: Wir müssen die allgemeine Offenbarung immer in Verbindung mit der Heiligen Schrift gebrauchen. Der Psalmist besingt die Schönheit und Offenbarungsmacht der Schöpfung und geht dann zum besonders offenbarten Gesetz Gottes über (Ps 19,8). Als Paulus mit den ungläubigen Philosophen auf dem Areopag diskutierte, stellte er eine Verbindung mit seinen Zuhörern über ihre natürliche, wenngleich entstellte Erkenntnis Gottes her und korrigierte ihr Verständnis durch das besonders geoffenbarte Evangelium von Christus und seiner Auferstehung (Apg 17,23.28.30). Die Heilige Schrift und die historisch-reformierte Theologie übermitteln die Vorstellung, dass der Gott, über den wir auf den Seiten der Heiligen Schrift lesen, der gleiche Gott ist, der die Welt um uns herum geschaffen hat.

Wenn wir beide Bücher Gottes gebrauchen, müssen wir ihre unterschiedlichen Funktionen anerkennen. Nur die besondere Offenbarung der Heiligen Schrift spricht über die Person und das Werk von Christus und die Errettung, die durch das Evangelium kommt. Ferner kann nur die souveräne, regenerative Kraft des Heiligen Geistes Sünder bekehren und sie aus dem Reich der Finsternis in das Reich des Lichts versetzen; nur durch die Gabe des Glaubens, die durch den Geist vermittelt wird, können Menschen das Evangelium von Christus ergreifen. Wie Paulus schreibt: „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muss“ (1Kor 2,14). Das bedeutet nicht, dass das Buch der Natur überflüssig ist. Stattdessen können wir auf Grundlage der autoritativen Schrift auf das Buch der Natur Bezug nehmen als ein von Gott autorisiertes Begleitzeugnis. Wir können mit den Ungläubigen interagieren und wissen, dass wir die Wahrheit der Schrift kommunizieren können, weil Gott alle Menschen in seinem Ebenbild geschaffen und sein Gesetz in ihr Herz geschrieben hat.

Nimm alte, reformierte Bücher des 16. und 17. Jahrhunderts auf und lass die frische Prise der Vergangenheit dich an längst vergessene Wahrheiten erinnern. Gebrauche die Bücher Gottes der Natur und der Heiligen Schrift, um für den Glauben zu kämpfen, der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist.