Der Hirtendienst von Ältesten
Mir ist im Laufe der Jahre immer mehr bewusst geworden, welch große Verantwortung die Ältesten als Hirten über die Gemeinde haben. Doch ich fühlte mich in einem Spannungsfeld: Einerseits haben die Ältesten wichtige Aufgaben im Blick auf die Gesamtgemeinde. Andererseits muss unser Hirtendienst auch auf die persönliche Fürsorge und Begegnung mit den Schafen ausgerichtet sein. Die Unterscheidung zwischen Hirtenaufgaben auf der Makroebene („Makro-Hirtentum“) und der Mikroebene („Mikro-Hirtentum“) kann uns helfen, unsere Verantwortung besser zu verstehen und diesen umfassenden, sich ergänzenden Aufgabenfeldern gerecht zu werden.
Den Grundgedanken hinter dieser Unterscheidung sehen wir in Paulus‘ bewegender Abschiedsrede an die Ältesten in Ephesus: Er erinnert sie daran, dass er „nichts verschwiegen habe von dem, was nützlich ist, sondern es euch verkündigt und euch gelehrt habe, öffentlich und in den Häusern“ (Apg20,20). Paulus hat der Gemeinde nicht nur öffentlich gedient, sondern auch in der Vertrautheit ihrer eigenen Häuser. Sein Dienst geschah nicht nur auf der gemeinschaftlichen Ebene, sondern auch auf der persönlichen. Für einen effektiven Hirtendienst muss dieses Gleichgewicht gewahrt werden. Dabei kann uns die Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroebene helfen.
Makro-Hirtentum bezeichnet die wichtigen Leitungsaufgaben, die sich auf die Gemeinde als großes Ganzes beziehen. Hier geht es um die Verantwortung der Ältesten, über die gesamte Herde zu „wachen“. Es ist ihre Verantwortung, sich um die gemeinschaftlichen Anliegen der ganzen Gemeinde zu kümmern. Entscheidungsfindung, Strategieentwicklung und Verwaltung sind wichtige Aufgaben der Ältesten, die sie zum Wohl der Herde bewältigen. Wie wir sehen werden, müssen diese Kategorien auf der Makroebene für jede der grundlegenden Hirtenaufgaben erfüllt werden. Nehmen wir zum Beispiel den Auftrag: „Weide meine Schafe!“ (Joh2,17). Auf der Makroebene bedeutet das, dass die Ältesten in allen Bereichen des Gemeindelebens die Aufsicht über Predigt und Lehre haben.
Mikro-Hirtentum bezeichnet den persönlichen Dienst der Ältesten unter den Schafen. Hier geht es darum, die einzelnen Schafe zu hüten, für die sie verantwortlich sind. Was bedeutet das für unser Beispiel: „Weide meine Schafe“? Auf der Mikroebene steht der persönliche Wortdienst des Ältesten an einzelnen Gemeindemitgliedern und Familien. Es ist die Verantwortung der Ältesten, die Beziehung zu den Schafen zu pflegen und die Hirtenaufgaben auf der persönlichen Ebene auszuüben.
Leider nehmen viele die Berufung zum Ältesten in der fälschlichen Annahme an, dass es bei diesem Amt nur um die Makroebene und die Gesamtgemeinde geht. Auch die Kurse und Schulungen, die für angehende Gemeindeleiter angeboten werden, sind in dieser Hinsicht häufig unausgewogen und beschäftigen sich hauptsächlich mit der Makroebene. Ein Ergebnis dieser Ausrichtung ist, dass wir Älteste auswählen und anziehen, die in sich mehr den „Entscheider“ als den „Freund der Schafe“ sehen. Damit will ich nicht sagen, dass sich diese beiden Aufgabenfelder gegenseitig ausschließen. Die Gesundheit der Herde ist allerdings stark gefährdet, wenn ihre Hirten keinen persönlichen Umgang mit den Schafen haben. Wie sollen die Ältesten sonst einen guten Dienst auf der Makroebene tun, wenn sie nicht auf der Mikroebene im persönlichen Kontakt mit den Schafen sind? Die Saat, die im persönlichen Dienst an den Schafen ausgesät wird, macht die Ältesten auch effektiver auf der Makroebene.