Der Prozess der Gemeindezucht
Wenn aber dein Bruder an dir gesündigt hat, so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. (Mt 18,15)
Matthäus 18,15–20 verbindet den Prozess der Gemeindezucht ausdrücklich mit den Schlüsseln des Reiches und sagt den Gemeindeleitern, dass das, was sie auf Erden binden, im Himmel gebunden ist, und was sie auf Erden lösen, im Himmel gelöst ist. Das unterstellt natürlich, dass das Binden und Lösen im Einklang mit der Schrift geschieht. Aber es ist das gleiche Recht, welches zuerst an Petrus gegeben wurde, als Christus verhieß, ihm die Schlüssel des Reiches zu geben, weshalb wir wissen, dass die Gemeindezucht die Tür zu diesem gesegneten Reich öffnet und schließt (Heidelberger Katechismus, Frage 85).
Gemeindezucht behandelt das Problem, dass ein bekennender Christ gegen andere gesündigt hat. Allgemein gesprochen schreitet Gemeindezucht vom Privaten bzw. Persönlichen zum Öffentlichen fort. Der Gläubige, gegen den gesündigt wurde, muss den Täter zunächst allein ansprechen und dessen Umkehr anstreben. Das geschieht zum Wohl der Gemeinde, weil dadurch verhindert wird, dass sich die Nachricht über die Sünde über den direkt involvierten Personenkreis hinaus verbreitet und dadurch üble Nachrede bewirken würde. Wenn die Person Buße tut, ist keine weitere Handlung notwendig. Aber wenn die persönliche Zurechtweisung nicht funktioniert, muss der Täter zunächst vor andere Zeugen geführt werden und schließlich vor die ganze Gemeinde, die diejenigen Sünder ausschließen muss, die in Unbußfertigkeit verharren.
Lass mich auf zwei Dinge hinweisen: Erstens, diese Instruktionen für die Gemeindezucht sollten nicht automatisch auf jede einzelne Sünde angewandt werden. Die Schrift spricht auch von der Liebe, die „eine Menge von Sünden zudeckt“ (1Petr 4,8). Die Sünden, die Gemeindezucht verdienen, sind offene Sünden, die den Frieden und die Reinheit des Leibes Christi zerstören können. Gemeindezucht sollte nicht bei jeder Streitigkeit angewandt werden, die in einer Gemeinde aufkommt. Zweitens, es gibt Fälle, in denen Gemeindezucht nicht mit einer persönlichen Zurechtweisung beginnen sollte. Öffentliche Sünden sollten öffentlich behandelt werden, wie Paulus uns in 1. Korinther 5 zeigt.
Heute erachten viele bekennende Christen die Gemeindezucht als unliebsam, und viele Gemeindeleiter haben Angst, sie zu praktizieren, damit sie nicht erbarmungslos erscheinen. Aber Gemeindezucht in sorgsamem Gehorsam gegenüber der Schrift nicht zu praktizieren, ist das Liebloseste und Erbarmungsloseste, das eine Gemeinde tun kann. Wenn die Gemeinde unbußfertige Menschen nicht zur Buße ruft, gibt sie ihnen eine falsche Gewissheit bezüglich ihres eigenen Zustandes.
John MacArthur schreibt:
„Gemeindezucht bedeutet nicht nur, den Täter zu bestrafen oder ihn auszuschließen, sondern es bedeutet auch, ihn als schlechten Einfluss aus der Gemeinschaft der Kirche zu entfernen und ihn dann als jemanden zu erachten, der das Evangelium braucht statt als einen christlichen Bruder“.
Die Gemeinde praktiziert nicht Gemeindezucht, um ihre Mitglieder zu beschämen, sondern um sie zu Buße und Ausharren aufzurufen.