Evangelisation und das Evangelium

Artikel von Donald S. Whitney
29. März 2019 — 4 Min Lesedauer

Es bringt nicht viel, Menschen dazu zu ermutigen zu evangelisieren, wenn sie das Evangelium nicht kennen. Versuch mal dieses Experiment in deiner Gemeinde oder Kleingruppe, um herasuszubekommen, wie bereit die Leute sind, das Evangelium weiterzugeben: Verteile an jeden einen Zettel und bitte die Teilnehmer darum, darüber nachzudenken, wie oft sie schon das Evangelium gehört haben. Manche – wenn sie schon lange Christen sind – werden wahrscheinlich antworten, dass sie es schon hunderte oder sogar tausende Male gehört haben.

„Gut“, sagst du. „Jetzt schreibt jeder bitte mal das Evangelium auf diesen Zettel“.

Dann kannst du zusehen, wie die Leute still werden und dich anstarren, so als ob du sie gebeten hättest, jeden Namen der Mitglieder des Bundestages aufzuschreiben.

Sei auf eine unangenehme Stille vorbereitet und auf viele leere Zettel – trotz der Anwesenheit vieler hingegebener Gemeindemitglieder.

Da ich diese Übung oft wiederholt habe, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass ein großer Anteil der hingegebensten Gemeindemitglieder ein so unklares Verständnis des Evangeliums hat, dass sie es nicht in ihren eigenen Worten und mit einfachen Begriffen niederschreiben können, selbst in der vergleichsweise einfachen Situation, wenn sie mit anderen Gläubigen zusammen sind. Wenn sie das Evangelium schon in solch einer freundlichen Umgebung nicht kommunizieren können, wie können wir da erwarten, dass sie es in der Welt teilen?

Das Evangelium muss den Gläubigen klar sein, bevor sie es den Ungläubigen klar kommunizieren können. Das heißt weder, dass ein Mensch in der Lage sein müsste, jede Nuance des Evangeliums zu artikulieren, bevor er ein effektiver Zeuge sein kann, noch soll es heißen, dass Gott nicht eine unvollkommene Präsentation des Evangeliums gebrauchen könne, um Menschen zu retten. Dennoch glaube ich, dass es einen weitverbreiteten Mangel an Klarheit unter bekennenden Christen gibt hinsichtlich der grundlegendsten Elemente der christlichen Botschaft – des Evangeliums. Und wenn die Leute ein zweifelhaftes Verständnis der christlichen Botschaft haben, wie können wir da von ihnen erwarten, dass sie diese Botschaft weitergeben?

Kann ein Mensch das Evangelium wirklich verstehen und glauben, ohne es anderen mitteilen zu wollen und Wege zu suchen, es zu verbreiten? Das Evangelium verbreitet sich selbst. Der Heilige Geist wirkt durch das Evangelium, um geistliches Leben in einer toten Seele zu schaffen, und dann wirkt er durch dieses neue Leben, um die Botschaft von Jesus zu verbreiten. Das neue Leben, welches Gott durch das Evangelium schafft, bewirkt, dass Menschen das Evangelium lieben, und zwar so, dass sie seine Botschaft weitergeben wollen.

Eine Auswirkung des Evangeliums im Herzen des Gläubigen ist die Schaffung eines neuen „Evangelisten“, d.h. einer Person, die anderen von der Person und dem Werk Jesu Christi erzählen möchte. Die Betonung liegt darauf, dass die Person evangelisieren möchte. Aus verschiedenen Gründen kann das oft nicht geschehen, aber das Verlangen ist da. Und das Verlangen ist nicht darauf gegründet, die Erwartungen anderer zu erfüllen, sondern es ist eine echte Sehnsucht, dass andere Menschen zu Nachfolgern Jesu werden.

Wenn diese Auswirkungen nicht in den Herzen derer stattgefunden haben, die behaupten, an das Evangelium zu glauben, dann gibt es mindestens ein oder zwei Probleme. Entweder haben sie nur zugestimmt, dass das Evangelium wahr ist – und fälschlicherweise angenommen, dass bloße Zustimmung rettender Glaube wäre – aber nicht in ihrer Seele auf das Evangelium vertraut, oder sie verstehen das Evangelium einfach nicht.

Aber trotz der Normalität, dass Menschen, die vom Evangelium verändert wurden, dieses Evangelium in ihrem Leben überfließen lassen und weitergeben möchten, ist Evangelisation dennoch in einem gewissen Sinn eine Disziplin. Denn es ist leicht, dass ein „Evangelist“ so überwältigt ist von seinen Verantwortungen und Lasten, dass er sich selten in einer Situation befindet, wo er mit Nichtchristen ein tiefes Gespräch führen kann. Evangelisation sowohl als Disziplin als auch als Freude zu sehen bedeutet, dass wir uns manchmal bewusst entscheiden müssen, Zeit mit verlorenen Menschen zu verbringen – wenn wir es wahrscheinlich lieber hätten, mit Christen zusammen zu sein – in der Hoffnung, mit ihnen über Jesus zu sprechen.

Lasst uns nicht vergessen, dass die Evangeliumsbotschaft am deutlichsten durch Worte kommuniziert wird; Worte über die Person und das Werk Jesu Christi. Die Disziplin der Evangelisation dreht sich darum, bewusst diese Worte zu sprechen. Während die Integrität unseres christlichen Lebens vor Ungläubigen unser Zeugnis beeinflussen kann, wird dennoch niemand gerettet, indem er ein gutes Vorbild sieht. Letztlich ist nicht unser Verhalten – so wichtig wie das ist – sondern die Botschaft des „Evangeliums die Kraft Gottes zur Errettung für jeden, der glaubt“ (Röm 1,16).

Der große Missionsbefehl von Jesus, durch sein Evangelium alle Völker zu Jüngern zu machen (Mt 28,19–20), kann nicht zufällig erfüllt werden. Es sind mit dieser höchsten Aufgabe bewusste Entscheidungen verbunden, die mit Disziplin zu tun haben. Was könntest du tun, um bewusster über das Leben und das Werk von Jesus zu reden?