Hoffnung und Hilfe inmitten der sexuellen Revolution

Artikel von Sam Allberry
27. November 2019 — 24 Min Lesedauer

Es ist kein Geheimnis, dass die westliche Welt sich in Bezug auf Sexualität und Geschlechteridentität dramatisch verändert hat. Vor 20 Jahren ist eine weitverbreitete Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Ehe noch völlig undenkbar gewesen. Sogar vor zehn Jahren waren Fragen zu Transgender noch weit entfernt vom allgemeinen Bewusstsein. Viele in unserer Kultur haben diese Veränderungen für vorbehaltlos gut gehalten, für ein notwendiges Zeichen der Veränderung zu einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft.

Doch auf viele Christen wirkt diese Veränderung sehr befremdlich. Die Welt, die wir glaubten zu kennen, wurde uns unter den Füßen weggezogen. Die christliche Sicht der Ehe zwischen Mann und Frau, also die grundlegende Annahme, dass jeder Mensch als Mann oder als Frau geschaffen ist, wurde vielleicht nicht immer von unserer Gesellschaft ausreichend gewürdigt, doch war sie zumindest ein legitimer (wenn manchmal auch altmodischer) Teil des westlichen Denkens. Nun werden solche Ansichten vermehrt für eine wirkliche Bedrohung der Gesellschaft gehalten.

Wie kam es dazu und wie sollen wir damit umgehen? 

Ich will vier Veränderungen vorstellen, die zusammenfassen, wie es zum jetzigen Zustand unserer Kultur gekommen ist, um dann sieben zu ergreifende Maßnahmen anzuführen.

Vier wesentliche kulturelle Veränderungen 

1. Unsere moralischen Institutionen haben sich verändert

In seinem weichenstellenden Buch The Righteous Mind, zeigt der Psychologe Jonathan Haidt, dass unsere moralischen Überzeugungen eher intuitiv als rational sind. Wir haben ein Bauchgefühl darüber, was moralisch richtig und falsch ist – und die Institutionen, die diese Reaktion aus dem Bauch heraus bestimmen, haben sich in dem letzten Jahrzehnt verändert. Bestimmte moralische Geschmacksnerven spielen hier mit hinein: Erscheint eine Handlungsrichtung schädlich oder nicht; befreiend oder unterdrückend; fair oder diskriminierend? Diese primären Faktoren, so argumentiert Haidt, bestimmen unsere moralischen Schlussfolgerungen.

Wir können sehen, wie die westliche Kultur aus diesem Grund so schnell die gleichgeschlechtliche Ehe akzeptiert hat, wenn wir das auf den ersten der drei Geschmacksnerven anwenden: Schadet es irgendjemandem? Ganz sicher wirkt es sich nicht negativ auf mich aus, wenn es dem freundlichen gleichgeschlechtlichen Paar aus der Nachbarschaft gestattet wird zu heiraten. Zweitens, dem gleichgeschlechtlichen Paar die Ehe zu verweigern, fühlt sich eher unterdrückend als befreiend an. Sicherlich sollte jeder das Recht haben, die Person zu lieben, die er will und es auf eine Art und Weise auszudrücken, wie er möchte. Und drittens scheint es zutiefst unfair, dieses zu unterdrücken. Wie kann es fair oder gerecht sein, wenn das eine Paar heiraten darf, das andere aber nicht? Auf diese Weise betrachtet, scheint es intuitiv richtig zu sein, die gleichgeschlechtliche Ehe zu erlauben. Es ist kein Wunder, dass viele, die einst dagegen waren, ihre Meinung in den letzten Jahren geändert haben.

Außerdem können wir sehen, warum so viele Argumente von Christen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ohne Wirkung bleiben: Sie können diesen Veränderungen in den moralischen Institutionen nicht gerecht werden. Viele Christen berufen sich unwissentlich auf eine moralische Argumentation, doch dies scheint einfach nicht bei einer typischen säkularen Person zu greifen. Ich erinnere mich daran, wie ich eine Debatte im Fernsehen darüber gesehen habe, ob evangelikale Gemeinden die gleichgeschlechtliche Ehe erlauben sollten. Die Vertreterin dafür setzte sich kurz und knapp (und für die Zuschauer überzeugend) dafür ein: „Gott ist Liebe. Ich habe meine Liebe in einer anderen Frau gefunden, also ist es etwas, das Gott segnen will und die Kirche sollte das auch.“

Ein evangelikaler Pastor bekräftigte immer wieder: „Die Bibel sagt, dass die Ehe zwischen Mann und Frau geschlossen wird.“ Er hatte Recht. Allerding berief er sich auf etwas (die Autorität der Schrift), das wenig Überzeugungskraft für die Zuschauer hatte. (Die Antwort auf das „Gott ist Liebe“-Argument ist, darauf hinzuweisen, dass „Gott Liebe ist“ nicht bedeutet, dass er alles bestätigt, was wir Liebe nennen. Es meint, dass Gott weitaus mehr über Liebe weiß als wir, sodass wir auf ihn hören sollten, wenn wir herausfinden wollen, wie wir unsere Liebe leben – und so einander angemessen und gut lieben.)

2. Unsere Sicht auf Minderheiten hat sich verändert

Säkulare Menschen blicken zurück auf frühere Diskriminierungen von LGBTQ+-Personen und sind entsetzt. Wir sind uns nun des Schmerzes bewusst, der durch Homophobie in der Vergangenheit der homosexuellen Gemeinschaft angetan wurde. Wir schauen Filme wie The Imitation Game und Fernsehserien wie Transparent und haben Mitleid mit den Menschen, die unsere Kultur offen schikaniert hat. In vielerlei Hinsicht können wir diese Veränderung nur begrüßen. Es gibt viele biblische Gründe, über Mobbing dieser oder anderer Art entsetzt zu sein. Diese Art der gesellschaftlichen Scham über Diskriminierung hat zu dem Phänomen der sogenannten „Intersektionalität“ (vom engl. Wort „intersection“, zu Deutsch: „Schnittmenge“) geführt. Wegen der Vergangenheit und wie bestimmte Gruppen zum Schweigen gebracht wurden, privilegieren wir Minderheiten und Leidtragende. Wenn jemand eine Schnittmenge von mehr als nur einem Status hat, so hat diese Stimme exponentiell mehr Überzeugungskraft in der Öffentlichkeit. Es gibt keine Wettbewerbsgleichheit – das ist auch so beabsichtigt. Wenn also jemand schwarz, weiblich und lesbisch ist, zählt ihre Stimme mehr als die von jemandem, der männlich, weiß und heterosexuell ist. 

Diese Dynamik hat zu der Sorge darüber geführt, dass Minderheiten emotional und psychologisch verletzt werden könnten. Vor einiger Zeit wurde ich von einer christlichen Studentengruppe eingeladen auf einem säkularen Universitätscampus über Sexualität zu sprechen und die Gruppe für LGBTQ+-Rechte organisierte einen Protest. Ich habe mich, kurz bevor die Veranstaltung beginnen sollte, mit den Demonstranten getroffen, um auf ihre Einwände zu hören und zu sehen, ob ich sie irgendwie beruhigen könnte. Während sie ihre Sorgen über die Veranstaltungen zum Ausdruck brachten, wurde deutlich, dass ihre größte Sorge war, dass meine Worte jemanden bei der Veranstaltung verletzen könnten, der homosexuell ist. Weiteres Nachbohren zeigte mir, dass sie mit „verletzen“ einfach das Vorhandensein einer gegenteiligen Meinung meinten, egal wie gnädig diese auch präsentiert würde.

Wir können also sehen, warum so viel progressives Denken übermäßig kritisch ist, besonders an unseren Hochschulen. Wenn der Standpunkt von jemandem Schaden anrichten wird, dann muss man sich damit nicht auseinandersetzen oder darüber diskutieren. Er muss einfach nur zum Schweigen gebracht und ausgeschaltet werden.

3. Unsere Sicht auf Sexualität und Ehe hat sich verändert

Dies hat sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und reicht zurück bis in die sexuelle Revolution in den 1960ern. 

Erstens hat sich unsere Sicht auf Sexualität verändert. Viele haben sie von der Fortpflanzung abgekoppelt. Sie dient einfach nur dem Vergnügen und sollte auch nicht mehr als das sein. Das erklärt, warum die Abtreibungs-Lobby so lautstark ist, trotz des Fortschritts in der Ultraschalltechnologie und des wachsenden Verständnisses über die Sensibilität und Entwicklung eines ungeborenen Kindes. Letztlich geht es nicht um den Zustand des Fötus, sondern um das Recht, Geschlechtsverkehr einfach nur aus Vergnügen zu genießen, ohne die Konsequenz der Fortpflanzung zu tragen. 

Zweitens hat sich unsere Sicht auf die Ehe verändert – nicht nur, dass viele westliche Länder nun die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert haben – sondern in einem vorrangigen und wichtigen Sinn: Ehe ist nicht länger ein lebenslanger Bund zur Fortpflanzung. Sie ist nun im Endeffekt eine flexible romantische Vereinbarung; eine Möglichkeit, erfüllende romantische Gefühle füreinander zu feiern. Und sollten diese Gefühle abklingen – sollte der Partner nicht länger die romantischen Bedürfnisse des anderen erfüllen – dann sind die Ehepartner frei, die Ehe aufzulösen. Diese Sicht der Ehe beansprucht offensichtlich, nicht nur zwischen heterosexuellen Paaren stattzufinden. Wenn Ehe nur bedeutet, romantische Gefühle auszudrücken, dann wäre es zutiefst unfair, einige Arten von Beziehungen davon auszuschließen.

4. Unsere Anthropologie hat sich verändert

Heutzutage ist das „wahre“ Du, dasjenige, das man tief in sich fühlt. Die Heldengeschichten von heute handeln von Personen, die tief in ihrem Inneren danach suchen, wer sie sind und nach erfolgreicher Suche beständig zum Ausdruck bringen, was sie gefunden haben, selbst gegen Widerstände. Das „wahre“ Du kann nur von dir selbst entdeckt werden; niemand anders kann deine Identität definieren. 

Außerdem ist der physische Körper völlig zufällig. In der atheistischen Evolution ist der Körper schlichtweg ein Klumpen Materie, mit dem man verbunden ist. Er hat keinen Sinn und keine Bedeutung an sich. Vielmehr zeigt die Evolution, dass jede physische Sache wörtlich alles andere werden kann, sodass es keinen Grund gäbe, warum wir unsere Körper nicht in etwas komplett Anderes formen könnten, als sie anfänglich gewesen sind. Der Körper ist eine Leinwand, auf der ich meine Identität ausdrücken kann, doch bestimmt er in keiner Weise diese Identität.

Diese vier Veränderungen offenbaren etwas lebenswichtiges, wenn wir mit unserer kulturellen Zeit zurechtkommen wollen: das traditionelle, christliche Verständnis der Sexualethik und der Geschlechtsidentität ist nicht nur veraltet und altmodisch. Es ist bedrohlich.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die oben angeführten Veränderungen nicht nur die säkulare Kultur berühren. Sie sind auch in den Köpfen vieler Menschen in den Gemeinden tief verwurzelt. Für die unter 25-Jährigen ist es die Luft, die sie atmen. Die einzige Realität, die sie je gekannt haben.

Das Ergebnis dessen ist, dass wir viele Menschen in unseren Gemeinden haben, die nicht von der Bibel her überzeugt sind, wie wir diese Fragen verstehen sollten; und viele andere, die biblisch, aber nicht emotional überzeugt sind – sie verstehen, was die Bibel lehrt, doch fühlt es sich ganz und gar nicht attraktiv an.

Sieben Maßnahmen, die wir ergreifen müssen

Wenn wir darüber nachdenken, wie wir auf diese kulturelle(n) Realität(en) reagieren sollen, müssen wir folgende Punkte berücksichtigen:

1. Wir müssen gut zuhören

Einer der zu wenig genutzten Verse im pastoralen Dienst steht im Buch der Sprüche: „Wer antwortet, ehe er hört, dem ist's Torheit und Schande“ (Spr 18,3).

Eine ähnliche Aussage steht einige Kapitel weiter: „Der Rat im Herzen eines Mannes ist wie ein tiefes Wasser; aber ein Verständiger kann es schöpfen“ (Spr 20,5).

Wir müssen gut zuhören, denn vieles von dem Hintergrund einer Person ist nicht sofort sichtbar. Unsere Herzen sind „tiefe Wasser“. Unser erster Eindruck von jemandem und seine ersten Worte an uns mögen nur einen kleinen Teil davon offenbaren, was ihn tief in seinem Herzen bewegt. Gut zuzuhören wird uns helfen zu sehen, was unter der Oberfläche steckt. Wenn jemand gerne bereit ist, etwas über sich zu erzählen, (und wir wollen etwas von ihm hören und nicht etwas über ihn zu schnell annehmen), bekommen wir einen Eindruck davon, warum er so geworden ist, wie er ist. Wir werden etwas über die Höhen und Tiefen erfahren, die er auf seinem Weg erlebt hat.

Das kann uns helfen zu erkennen, an welcher Stelle wir beginnen, ihm etwas über Christus zu erzählen. Vor allem, wenn Menschen in der Vergangenheit verletzt wurden, können wir damit beginnen ihnen zu erzählen, dass Jesus ein geknicktes Rohr nicht zerbrechen wird; darüber, dass er jemand ist, dem sie ihre tiefsten Verletzungen anvertrauen können. Wenn wir deutlichen Stolz spüren, können wir zeigen, wie demütigend und herausfordernd die Worte Jesu für uns alle sind, wenn es zum Thema Sexualität kommt. Wenn wir Verwirrung spüren darüber, wer sie sind oder ein Gefühl der Unruhe und Unzufriedenheit mit dem Leben, können wir ihnen davon erzählen, wie Jesus der Frau am Brunnen in Johannes 4 begegnet ist und wie er sowohl unsere Identität offenbart als auch lebendiges Wasser anbietet, das unseren Lebensdurst stillt. 

Die Gefahr, nicht zuzuhören, besteht darin, dass wir reflexartig sprechen, ohne unsere Worte zu überdenken. Wir können sehr verständnislos sein, wenn wir uns keine Mühe geben, mehr über die Empfindungen einer Person herauszufinden.

2. Sage niemandem etwas, was du nicht jedem sagen kannst

Vor einiger Zeit sprach ich an einer säkularen Universität in Kanada und ein Student kam anschließend zu mir: „Ich bin homosexuell und ich bin kein Christ. Ich habe früher an einer anderen Universität eine Gruppe für LGBTQ-Rechte geleitet. Ich habe Ihr Buch gelesen und treffe mich mit einem Pastor, um das Markusevangelium zu lesen.“ Ganz fasziniert von seinem Interesse am Christentum fragte ich ihn, was ihn dazu gebracht habe, über das Christentum nachzudenken. Er dachte kurz einen Moment nach, bevor er antwortete: „Ich habe verstanden, dass Jesus mich genauso behandelt, wie jeden anderen.“ Er erklärte, dass die Gruppe für LGBTQ-Rechte, die er geleitet hatte, auf der Idee beruhte, dass "wir sind anders: Wir haben eine Parade; feiert uns. Wenn es zum ‚Pride Month‘ kommt, versuchten wir möglichst viel von Firmen zu bekommen.“

Als er anfing, die Botschaft Jesu zu betrachten, erkannte er jedoch, dass er nicht anders war. Er wollte es nicht sein. Auf der grundlegendsten Ebene ist die Botschaft Jesu für ihn genau die gleiche wie für alle anderen. Es hat mich in diesem Moment getroffen, dass es eine Gleichheit gibt, die wir im Evangelium haben, die wir nicht in der Kultur bekommen, die so stolz auf vermeintliche Gleichheit ist .

Eines der größten Missverständnisse, die Menschen in Bezug auf die Sexualität haben, ist, dass das Christentum ungerecht ist. Wir haben eine Anzahl an Geboten für eine Gruppe und eine andere Anzahl an Regeln für eine andere Gruppe. Menschen denken, dass wir die homosexuelle Gemeinschaft hassen und sie verurteilen wollen. Diese Annahme besagt, dass Christen sich für etwas Besseres halten als die LGBTQ+-Leute. 

Der beste Weg, um dieses Missverständnis aus der Welt zu schaffen, bedeutet zu zeigen, wie das Evangelium uns alle in dasselbe Boot setzt. Jesus bereitet immer den Weg vor. Ein jeder von uns ist in seiner Sexualität gefallen und zerbrochen. Jeder hat zerrüttete Wünsche. Niemand ist genauso wie er in diesem Bereich sein sollte. Ein jeder von uns muss lernen, zu bestimmten sexuellen Wünschen Nein zu sagen, wenn wir Jesus nachfolgen. 

Das Gleiche gilt für unsere Geschlechtsidentität. Wir alle kommen mit fehlerhaften Ansichten über unsere Identität zu Gott. Niemand von uns versteht wirklich, wer wir sind und alle von uns verankern die tiefste Bedeutung und den Sinn unseres Selbst in falschen Dingen. Wenn wir über Geschlechtsdysphorie (Geschlechtsidentitätsstörung) nachdenken, erlebt jeder von uns die Gebrochenheit seines physischen Körpers. Niemand von uns ist in der Position, auf andere herabzuschauen, egal wie seine Gebrochenheit sich äußert. Niemand von uns ist eine Missbildung; ein jeder ist ein schmerzhaft verzerrtes Ebenbild eines wunderbaren Gottes.

Das heißt nicht, dass alle dieselbe Erfahrung gemacht haben. Ich erlebe, wie es ist in einem Körper zu leben, der demselben Fall unterliegt wie jeder andere. Doch ich habe nie den Schmerz einer Geschlechtsdysphorie erlebt. Während jemand mit dieser Herausforderung wissen sollte, dass wir alle in einem Boot sitzen, will ich nicht so tun, als ob ich wüsste, was er erlebt. Er muss es mir erklären.

Es bedeutet auch nicht, dass alle sexuellen Sünden gleich sind. Einige sexuelle Sünden sind ernster als andere. Einige stellen eine größere Abweichung dar vom ursprünglichen Plan in 1. Mose 1– 2 für Mann und Frau in einem Ehebund. Sodomie stellt eine größere Abweichung dar als Ehebruch, Homosexualität als Heterosexualität. Doch in einer gefallenen Welt hat niemand Gründe für ein Gefühl der Überlegenheit. Von Natur aus verfehlen wir alle die Herrlichkeit Gottes auf katastrophale Weise. 

Wir wollen deswegen gerade am Anfang eines Gesprächs nicht das sagen, was wir nicht jedem sagen können. Erzähle ihm, was das Evangelium jedem darüber sagt, bevor du ihm sagst, was es ihm persönlich sagt. Ich befürchte, dass sie ansonsten denken, sie werden mit ihrem Problem im Vergleich zu anderen besonders herausgehoben.

3. Erkenne die Kosten der Nachfolge für jeden

Die Kosten der Nachfolge scheinen für diejenigen, die mit einem LGBTQ+-Hintergrund zum Glauben kommen, höher zu liegen. Wir dürfen jedoch nicht die hohen Kosten der Nachfolge für jeden außer Acht lassen. Jesus sagte: „Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach“ (Mk 8,34). Das Schlüsselwort ist jemand. Jesus zu folgen bedeutet, einigen unserer tiefsten Intuitionen und Wünsche mit einem überzeugten und klaren Nein zu begegnen. Jesus stellt das „Selbst“ nicht vor „-Identität“; er stellt es vor „-Verleugnung“.

Dieser Aufruf muss weiter erklärt werden. Jesus führt weiter aus, dass es eine Art des „Verlieren seines Lebens“ in der Nachfolge gibt (V.35). Es wird Zeiten geben, in denen der Gehorsam ihm gegenüber uns das Leben kosten wird. Doch das herrliche Paradoxon ist, dass wir durch diesen Verlust tatsächlich das Leben gewinnen. Durch die Selbstverleugnung und die Nachfolge Jesu verlieren wir nichts von unserer Identität; wir finden jetzt erst recht zu unserem wahren Ich.

Diese Kosten der Nachfolge werden für unbarmherzig und ausgefallen gehalten, wenn sie nur streng auf diejenigen angewandt werden, die einen LGBTQ+-Hintergrund haben und die anderen davon ausgenommen sind. Aber: Wenn die Kosten der Nachfolge zu hoch sind für LGBTQ+-Leute, dann sind sie auch zu hoch für jeden anderen.

4. Zeige, dass Gott gut ist

Ein Freund von mir hat eine zweijährige Tochter, die die meiste Zeit entzückend ist, doch bei Mahlzeiten ist sie – wie soll ich es sagen? – herausfordernd. Wie bei vielen Zweijährigen wird Essen als nicht akzeptabel von ihr erachtet, egal ob es noch vor einigen Tagen ihr Lieblingsessen war. Ich muss nicht erwähnen, dass es ihre Eltern oft zur Verzweiflung bringt, die nichts anderes wollen, als dass sie gut genährt wird und Dankbarkeit lernt – verständlicherweise bevorzugen sie es, wenn dabei das Essen nicht in regelmäßigen Abständen durch den Raum geschleudert wird.

Das Problem ist, dass viele Leute Gott wie dieses zweijährige Kind ansehen. Sie denken, dass er völlig willkürlich entscheidet, welche Dinge er mag und nicht mag und die biblische Sexualethik scheint diese Ansicht zu bestätigen. Es scheint alles beliebig zu sein.

Weil das so ist, reicht es nicht aus zu lehren, was die Bibel sagt. Wir sollten sicherstellen, dass wir weitergeben, warum die Bibel etwas sagt, um so zu zeigen, dass es vernünftig und gut ist, was Gott will.

Jedesmal, wenn Gott uns ein Verbot gibt, beschützt er so etwas Gutes. Wir müssen also das Positive hinter dem Negativen lehren und zeigen, dass Gottes Wort tatsächlich nicht willkürlich ist, sondern auf das hindeutet, was das Beste für uns ist und uns wahres Leben gibt. Wenn Gott zu etwas Nein sagt, gibt er einer anderen Sache ein viel größeres Ja. Solange Menschen nicht von der biblischen Sicht der Ehe und menschlicher Sexualität begeistert werden – insbesondere wie sie über sich hinaus auf Gottes Liebe in Christus hinweist – stellen wir den Leuten nicht alle geistlichen Ressourcen zur Verfügung, die sie brauchen, um gegen die tiefen und bedrängenden sündigen Wünsche anzukämpfen. Wie Thomas Chalmers uns vor vielen Jahrhunderten erinnert hat, brauchen wir "die treibende Kraft einer neuen Zuneigung".

Eine Zurückweisung alleine hat keine Überzeugungskraft. Einfach nur die Fehler eines unbiblischen Denkens aufzuzeigen wird nicht ausreichen, um Gottes Wahrheit zu erwecken.

5. Wir müssen die ganze Geschichte der Bibel im Blick behalten

Letztlich ist die Ehe eine biblisch-theologische Angelegenheit. Die Bibel beginnt mit der Ehe zwischen Adam und Eva und endet mit der Ehe zwischen Christus und seiner Braut. Die erste Ehe weist auf die letzte hin. 

Es ist kein Zufall, dass die Handlung der biblischen Geschichte in einem Garten beginnt, in dem ein Mann und eine Frau zusammenkommen. Sie sind füreinander gemacht. Die geschaffene Zweisamkeit von Mann und Frau in einer tiefen Bindung ist ein Bild der letztlichen Einheit von Himmel und Erde, wenn alle menschlichen Ehen sich verneigen werden und die Bühne frei machen für die ultimative Ehe zwischen Jesus und seinem Volk. Dies ist eine aufregende und schöne Sache. Es ist eine Geschichte, in die wir alle eintreten und die wir auf der Erde erwarten, ob wir verheiratet sind oder alleinstehend. Wenn die Ehe auf die Verwirklichung des Evangeliums hindeutet, deutet Singlesein auf seine Genugsamkeit hin, denn diese Vereinigung mit Christus ist die einzige Verbindung, die wir wirklich brauchen.

Weil das so ist, können wir nicht mit der Definition von Ehe herumspielen, ohne das Herzstück der Bibel anzugreifen. Unsere Theologie der Ehe fließt aus unserem Verständnis des Evangeliums. Das ist der Grund dafür, dass ich noch keine Gemeinde erlebt habe, die ihre Sicht auf Ehe verändert hat, ohne auch letztlich ihre Sicht des Evangeliums zu verändern.

Es erinnert uns auch an den Kern aller theologischen Reflexion und Diskussion über menschliche Sexualität. Sogar wenn die Bibel Homosexualität nicht erwähnen würde, wüssten wir trotzdem, wie wir über diese Frage denken sollten, angesichts der Tatsache, was die Bibel grundsätzlich über die Ehe sagt: zwischen Mann und Frau und der einzige Rahmen für sexuelle Aktivität. Die Bibel gibt uns keine Theologie der Homosexualität; sie gibt uns eine Theologie der Ehe, was an sich eine Theologie des Evangeliums ist.

6. Wir müssen auf Jesus hinweisen

Wir müssen auf das Leben Jesu hinweisen. Die menschlichste und vollkommenste Person, die jemals gelebt hat, war nie verheiratet, hat nie eine romantische Beziehung angefangen und hat niemals Sex gehabt. Obwohl also diese Dinge (im angemessenen Kontext) gute Gaben sind, können sie nicht zentral sein für die individuelle Erfüllung einer Person. Zu sagen, dass wir sie haben müssen, um als Individuum vollständig zu sein, bedeutet, die Menschheit Christi zu schwächen, wovor die Schrift warnt und es als Geist des Antichristen betrachtet (1Joh 4,3).

Wir müssen auf die Lehre Jesu hinweisen. Er lehrte, dass Sexualität außerhalb der Ehe sündig ist (Mt 15,19–20), dass sexuelle Begierde und nicht nur das Verhalten verkehrt ist (Mt 5,28), dass Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gilt (Mt 19,3–6) und dass die einzige gottgewollte Alternative zur Ehe Ehelosigkeit ist (Mt 19,10–12). Wir müssen mit diesen Lehren übereinstimmen. Im Gegensatz zu dem Eindruck, der heutzutage vermittelt wird, war Jesus nicht neutral in Bezug auf die Sexualethik.

Wenn wir mit diesen Positionen ein Problem haben, haben wir nicht ein Problem mit der Kirche oder den Evangelikalen oder der Christenheit, sondern mit Jesus selbst. Wir können uns nicht von diesen Überzeugungen abwenden, ohne uns von ihm abzuwenden. Wir glauben, was wir über Ehe und Sexualität glauben, weil wir das glauben, was wir über Jesus glauben. Wenn jemand von mir verlangt, meine Sicht auf die Ehe aufzugeben, muss er mich zunächst davon überzeugen, meine Sicht über Jesus aufzugeben. Wie es so schön heißt: „Wer die Musik nicht hört, hält die Tanzenden für wahnsinnig.“ Wir können nicht von Leuten erwarten zu verstehen, wie wir leben und was wir glauben, wenn sie nicht auch verstehen, wer Christus für uns ist. 

Zuletzt müssen wir auf die Ansprüche Jesu hinweisen. Er allein bringt vollkommene und bleibende Erfüllung (Joh 6,35). Vielmehr hat Gott menschliche Sexualität geschaffen, um auf ein größeres Verlangen hinzuweisen, eine größere Sehnsucht und eine größere Vollendung, die nur in ihm gefunden werden kann. Jesus ist der Einzige, der unsere Seele wirklich nähren und erfüllen kann - und nicht sexuelle Erfüllung oder irgendein anderer zeitgenössischer Götze.

7. Wir brauchen Zuversicht in das Evangelium

Wenn man zwischen den Zeilen am Anfang von Römer 1 liest, scheint es so, als ob die Gläubigen in Rom dachten, dass Paulus abgeneigt gewesen wäre, zu ihnen zu kommen. Die Botschaft des Evangeliums hatte überall in den Provinzen des Reiches Frucht getragen, aber das hier war Rom, das Zentrum und der Nabel der Welt. Das hellenistische Denken und den hellenistischen Einfluss konnte man überall sehen. Was könnte das Evangelium hier nur zu bieten haben? 

Also macht Paulus es so klar wie möglich, dass es nicht Unwille war, der ihn zurückgehalten hatte. Ganz im Gegenteil: 

„Denn Gott ist mein Zeuge, dem ich in meinem Geist an dem Evangelium seines Sohnes diene, wie unablässig ich euch erwähne allezeit in meinen Gebeten, indem ich flehe, ob ich nun endlich einmal durch den Willen Gottes so glücklich sein möchte, zu euch zu kommen. Denn mich verlangt sehr, euch zu sehen, damit ich euch etwas geistliche Gnadengabe abgebe, um euch zu stärken, das heißt aber, um bei euch mitgetröstet zu werden, ein jeder durch den Glauben, der in dem anderen ist, sowohl euren als meinen.Ich will aber nicht, dass euch unbekannt sei, Brüder, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen - und bis jetzt verhindert worden bin - damit ich auch unter euch einige Frucht haben möchte, wie auch unter den übrigen Nationen. Sowohl Griechen als auch Nichtgriechen, sowohl Weisen als auch Unverständigen bin ich ein Schuldner. Dementsprechend bin ich, soviel an mir ist, willig, auch euch, die ihr in Rom seid, das Evangelium zu verkündigen. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heiljedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen.“ (Röm 1,9–16)

Wie diese Christen in Rom möglicherweise dachten, ihre Mitbürger seien außerhalb der Reichweite des Evangeliums, können viele von uns heutzutage bezüglich der LGBTQ+-Gemeinschaft denken, dass das Evangelium in diesem Teil der Gesellschaft weniger Kraft hätte. Doch braucht Gott nicht mehr Kraft oder Gnade, diese Gruppe von Sündern im Vergleich zu anderen Sündern zu retten.

Wenn es darum geht, auf die kulturellen Veränderungen zu reagieren, die wir überall um uns herum sehen, dürfen wir nicht denken, dass es unsere Aufgabe ist, einfach "die Stellung zu halten". Stattdessen geht es darum, mit Paulus die anstehende Ernte zu entdecken.