Die schweizerische Reformation

Rezension von Ron Kubsch
18. Juli 2018 — 4 Min Lesedauer

Die Reformation war eines der großen Ereignisse der Schweizer Geschichte. Ob sie schon 1515 mit dem Einzug von Erasmus in Basel oder erst mit dem Antritt Zwinglis im Züricher Großmünster begann, sie hat sich eigenständig entwickelt und zugleich auf andere Gebiete ausgestrahlt. Ein neues Handbuch hilft, die Ereignisse und Entwicklungen der Reformation in der Eidgenossenschaft besser zu verstehen. Ron Kubsch stellt das Buch vor.

Die schweizerische Reformation: Ein Handbuch

Die Reformation war eines der großen Ereignisse der Schweizer Geschichte. Ob sie schon 1515 mit dem Einzug von Erasmus in Basel oder erst mit dem Antritt Zwinglis im Züricher Großmünster begann, sie hat sich eigenständig entwickelt und zugleich auf andere Gebiete ausgestrahlt.

Die Forschung konzentrierte sich traditionell auf Calvin in Genf, Zwingli in Zürich und auf die Anfänge des Täufertums. Angesichts der bedeutenden Einflüsse des Calvinismus auf die reformierte Theologie war die Genfer Reformation dabei lange vorherrschendes Thema. Die Gewohnheit, Angehörige der reformierten Kirchen als „Calvinisten“ zu bezeichnen, begünstigte diese Konzentration. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein wurde die Züricher Reformation als bloße Vorstufe der Genfer Ereignisse betrachtet.

Diese Ineinandersetzung von Genf und Zürich erwies sich besonders in zweierlei Hinsicht als Verzerrung. Einerseits war Genf im 16. Jahrhundert eine unabhängige Stadtrepublik. Erst im frühen 19. Jahrhundert ist sie Teil dessen geworden, was wir heute als Schweiz bezeichnen. Hinzu kommt – noch schwerwiegender –, dass die Reformation relativ spät in Genf einzog. Erst ab 1536 gelang es unter Johannes Calvin, die Stadt zum „protestantischen Rom“ zu machen. Der schweizerischen Reformation kam bei dieser Umgestaltung eine größere Rolle zu, als bisher angenommen wurde.

Ein besseres Verstehen der Genfer Ereignisse setzt deshalb eine genaue Kenntnis der Reformation in der Eidgenossenschaft voraus. Die Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit der Züricher Reformation beschäftigt. Dabei ist deutlich geworden, dass die Nachfolger Zwinglis, insbesondere Heinrich Bullinger und Peter Martyr Vermigli bisher unterschätzt worden sind. Großes Interesse findet seit einiger Zeit auch das Täufertum. Unter dem Einfluss der sozialgeschichtlichen Forschung wird es nicht mehr nur als religiöse Bewegung wahrgenommen. Die Täuferbewegung war recht komplex und Zusammenhänge mit den sozialen Umwälzungen der damaligen Zeit können deutlicher als bisher herausgestellt werden. Dennoch war sie vor allem religiös motiviert.

Das Handbuch möchte bisher unterbelichtete Bereiche gründlicher akzentuieren. In den verschiedenen Kapiteln wird der große Einfluss der „politischen, geografischen, demografischen und wirtschaftlichen Spezifika der einzelnen Gebiete auf die reformatorische Bewegung aufgezeigt“ (S. 23).

Der erste Teil schildert die Verhältnisse in der Schweizer Eidgenossenschaft vor der Reformation. Der zweite Teil schildert die Reformation detailliert. Emidio Campi beschäftigt sich mit dem Verlauf in Zürich. Dabei wird die Bedeutung von Bullinger herausgestrichen. Er hat vielen Ideen und Konzepten, die unter Zwingli eher Entwurfsstatus innehatten, in den späteren Jahren Gestalt gegeben. Die folgenden Kapitel befassen sich mit den Stadtrepubliken Bern, Basel und Schaffhausen. Die Ausbreitung der Reformation in den ländlichen Gebieten, in Graubünden und den französischsprechenden Bezirken wird ebenfalls beschrieben. Andrea Strübind verantwortet das letzte Kapitel im zweiten Teil, das das Schweizer Täufertum behandelt. „Die täuferischen Gemeinden verstanden sich dezidiert als Kontrastgemeinschaft zur etablierten Kirche und dem gesellschaftlichen Gefüge. Dieses Selbstverständnis in Verbindung mit der gesellschaftlichen Stigmatisierung machte sie zu notorischen religiösen Aussenseitern“ (S. 446). Die Täuferbewegung hat trotzdem eine große Anziehungskraft ausgeübt, da „sie überzeugte und überzeugende Mitglieder hatte, Männer und Frauen, für die nicht ihr leibliches Leben, ihre kirchliche Institution, ihr Stand in der Gesellschaft, wohl aber die Wahrheit ‚untödlich‘ (Balthasar Hubmaier) war“ (S. 446).

Der dritte Teil des Handbuches rückt die Langzeitwirkungen der Reformation auf die Schweizer Gesellschaft in den Fokus. Drei prägende Eigenarten treten hervor: das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt, die Theologie der Sakramente und die hohe Sicht der göttlichen Bünde (Föderaltheologie).

Das Handbuch erschien 2016 in englischer Sprache bei Brill (A Companion to the Swiss Reformation). Dass ein Werk von diesem Format nun auch in deutscher Sprache vorliegt, ist nur zu begrüßen. Es enthält zahlreiche farbige Abbildungen, Literaturverzeichnisse und Register. Es wird das bewährte Standardwerk Die Zwinglische Reformation im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte von Gottfried W. Locher aus dem Jahr 1979 ablösen.

Buch

Amy Nelson Burnett u. Emidio Campi (Hg.). Die schweizerische Reformation: Ein Handbuch. Zürich: Theologischer Verlag Zürich, 2017, 740 S. Euro 80,00.