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Wie die Reformatoren den Heiligen Geist und wahre Bekehrung wiederentdeckten

Artikel von Sinclair B. Ferguson
16. Oktober 2017

Die Geschichte von Luther ist sehr bekannt; die von Calvin weniger. Luther rang mit dem Konzept der Gerechtigkeit Gottes und hasste sie; Calvin hatte einen tiefen Durst nach einer sicheren Erkenntnis Gottes, aber er fand sie nicht. Obwohl es nicht die ganze Wahrheit ausmacht, ist es doch allgemein zutreffend, dass Luther nach einem gnädigen Gott suchte, während Calvin nach wahrer und gewisser Erkenntnis Gottes suchte.

In Luthers Fall konnten die Sakramente der spätmittelalterlichen katholischen Kirche nicht „dem schuldigen Gewissen Frieden geben oder den Makel der Sünde abwaschen“. In Calvins Fall konnte ihn weder die Kirche noch die immense intellektuelle Disziplin, die er in seinen Jugendjahren gezeigt hatte, noch all seine erlangten Fähigkeiten als nachmittelalterlicher humanistischer Gelehrter zu einer gewissen Erkenntnis Gottes bringen.

Römer 1,16

Bild: 9Marks

Trotz ihrer unterschiedlichen Hintergründe, Ausbildungen, Einstellungen und Persönlichkeiten, kann argumentiert werden, dass Römer 1,16ff einen wesentlichen Einfluss auf die Bekehrung dieser beiden Reformatoren ausübte. Wir wissen, dass Luther ernstlich mit der Bedeutung von Römer 1,16-17 rang. Er hasste die Worte und betrachtete sie als ein unlösbares Rätsel. Wie kann die „Gerechtigkeit Gottes“ die gute Nachricht sein, deren Paulus sich nicht schämte? Luther fühlte brennend, dass sie ihn nur verdammte.

Aber dann, wie er später schrieb, wurden seine Augen geöffnet. Er war in gewisser Hinsicht blind gewesen, während er den Text las; er hatte die Worte gesehen, aber ihre Bedeutung nicht erfasst. Jetzt sah er, dass diese Gerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes war, durch die der Sünder gerechtfertigt wird. Die Pforten des Paradieses öffneten sich; er fühlte sich wie neugeboren.

Calvin scheint tief berührt worden zu sein von den Versen, die auf Römer 1,18ff folgen über die Erkenntnis Gottes, die offenbart, besessen, unterdrückt, für Götzendienst eingetauscht und schließlich von den Menschen preisgegeben wurde – wobei Glaube an Jesus Christus der einzige Weg zurück zur Erkenntnis Gottes ist. Dies war die Überzeugung von Ford Lewis Battles, dem Übersetzer der endgültigen, lateinischen Ausgabe (1559) von Calvins Unterricht in der christlichen Religion. Ich neige dazu, zuzustimmen, wenn man den grundsätzlichen Inhalt der Theologie Calvins und seinen dauernden Fokus auf die Erkenntnis Gottes des Vaters durch den Sohn und durch den Dienst des Heiligen Geist bedenkt.

Worum ging die Reformation?

Wenn wir das gefragt würden, würden die meisten von uns instinktiv antworten, dass die Reformation um Rechtfertigung ging, oder wie man später sagte sola fide, sola gratia, sola scriptura, solus Christus und soli Deo gloria. Aber es ging eigentlich um viel mehr.

Denn keines dieser fünf solae existiert getrennt von den anderen und insbesondere nicht getrennt vom Heiligen Geist. Er ist das sina qua non von jedem sola. Deshalb war die Reformation eine Wiederentdeckung des Heiligen Geistes. Calvin war, wie B.B. Warfield einmal bekanntermaßen anmerkte, „der Theologe des Heiligen Geistes“. Glaube wird in uns nicht getrennt vom Geist geboren. Gnade rettet und erhält, aber sie ist keine Substanz, die wir empfangen, sondern eine Einstellung Gottes zu uns, die uns durch den Geist eröffnet wird. Die Schrift kommt zu uns vom Munde Gottes, indem der Geist das Wort Gottes durch menschliche Autoren ausatmet. Ferner, wie Calvin betonte, ist alles, was Christus für uns getan hat, für uns wertlos, wenn wir nicht mit ihm verbunden sind – und das geschieht durch den Geist. Er bringt dadurch dem Vater und dem Sohn Ehre.

Was haben die Reformatoren demnach entdeckt? Luthers Bezüge auf den Geist, wie der Großteil seiner Theologie, finden sich nicht sauber verpackt in ihren eigenen, abgetrennten Fächern. Calvin kommt einer systematischen Präsentation in seinem Unterricht näher. Aber beide machten eine einfache, jedoch monumentale Entdeckung.

Die Wiederentdeckung des Heiligen Geistes

Die Kirche hatte sich im Laufe der Jahrhunderte zunehmend die Rolle des Heiligen Geist in der Errettung angeeignet. Das offensichtlichste Anzeichen dafür war der Weg – ein quasi-körperlicher Weg – wie dem Individuum Gnade und Erlösung durch die Sakramente vermittelt wurden. In einem gewissen Sinn war die Erlösung in die Sakramente eingesperrt – wobei die Schlüssel sicher in den Taschen der Priester und Prälaten der Kirche aufbewahrt wurden.

Die Folge davon war theologisch und existentiell katastrophal. Der Rolle des Geistes wurde sich bemächtigt; seine Autorität wurde durch die Priesterschaft begrenzt. Folglich wurden die Mitglieder der Kirche, statt Gewissheit der Vergebung und eine persönliche Erkenntnis Gottes zu erfahren, die zum Geburtsrecht jedes wahren Kindes Gottes gehören, in Zweifel und Spannung über ihre Errettung gehalten. Wie Luther es sah, wurden sie gedrängt, Gerechtigkeit durch die Hilfe der Sakramente aufzuhäufen, damit sie, vielleicht, einen Glauben entwickeln, der so mit vollkommener Liebe durchtränkt ist, dass sie rechtfertigbar würden.

Das war die mittelalterliche Lehre von „Gott hilft denen, die sich selbst helfen“, die Rechtfertigung derer, die schon gerecht waren bzw. die Rechtfertigung derer, die durch die Mitwirkung der Sakramente gerecht wurden. Obwohl dieses System es der Kirche erlaubte, zu behaupten, dass Rechtfertigung „durch Gnade“ geschah, war diese Gnade niemals „allein“. Sie benötigte Kooperation und Fortschritt. Aber wie konnten die Menschen sicher sein, dass sie „genug“ getan hatten? Niemand konnte zuversichtlich über seine Errettung sein. Wie auch?

Es war hier, dass für Luther und Calvin der Heilige Geist ins Spiel kam, der die Augen für die Tatsache öffnet, dass unsere ganze Erlösung und jeder Teil von ihr in Christus allein gefunden wird (wie Calvin gerne sagte); hier wirkte der Heilige Geist, der blinde Augen öffnete, verhärte Herzen schmolz und in der Folge den rettenden Glauben hervorbrachte.

Kein Wunder, dass Luther sich neugeboren fühlte und dass die „Pforten des Paradieses geöffnet waren“.

Kein Wunder, dass Calvin seine „plötzliche“ oder „unerwartete“ Bekehrung erlebte, als er erkannte, dass die Kirche ihm „fälschlich so genannte Erkenntnis“ beigebracht hatte. Sie hatte sich unrechtmäßigerweise zwischen den Gläubigen und Christus gestellt. Aber dann kam der Geist und Calvin entdeckte, dass jeder Teil der Errettung allein in Christus gefunden wird.

Kein Wunder also, dass John Knox sagte, dass die Erklärung für die Reformation darin lag, dass Gott den Heiligen Geist an gewöhnliche Menschen in großer Fülle gab.


Sinclair Ferguson ist ein Dozent bei Ligonier Ministries und Professor für Systematische Theologie beim Reformed Theological Seminary. Dieser Artikel erschien zuerst bei 9Marks Ministries. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.