Kontextualisierung überdenken

Artikel von Bob Kauflin
16. Dezember 2015

Ein weiser Missionar wird sich bewusst sein, dass die Verkündigung des Evangeliums in einer anderen Kultur die Kontextualisierung der Botschaft verlangt. Wir verwenden Begriffe, die nicht jedem automatisch zugänglich sind. Wir müssen immer wieder neue Wege finden, um die Geschichte der Bibel zu kommunizieren; Wege, die verständlich und nachvollziehbar sind; Wege, die die Sprache derer sprechen, denen wir dienen.

Aber auch auf lokaler Ebene müssen wir den Aspekt der Kontextualisierung ernst nehmen, weil Musik und Liturgie eine Form der Sprache sind. Sie wirken unterschiedlich auf unterschiedliche Leute. In den letzten Jahren wurde viel darüber geschrieben, um uns näherzubringen, warum wir Gottesdienste so führen sollten, dass Menschen verstehen, was wir tun und sagen, sodass sie in der richtigen Art und Weise angesprochen werden. Das kann bedeuten, dass man die Art der Musik, die Liturgie, die kommunikativen Methoden sowie anderes überdenkt.

Oft habe ich aber eine falsche Anwendung von Kontextualisierung gesehen. Ich möchte mit Ihnen ein paar Dinge teilen, die ich für bedenkenswert halte, wenn wir darüber nachdenken, wie wir eine Brücke zu den Menschen schlagen können.

Der Versuch, zu kontextualisieren, ohne eine theologisch fundierte Ältestenschaft einzubinden, birgt die reale Gefahr in sich, Unordnung,  Uneinigkeit  und Distanz zu bewirken. Manchmal bekommen die Leiter einer Gemeinde die „Offenbarung“, sie müssten mehr tun, um die Gesellschaft zu erreichen. Die Musik wird ein bisschen hipper, lauter, jazziger oder auch traditioneller. Alte Liturgien werden aufgegeben oder integriert. Drastische Veränderungen hinsichtlich Ausrichtung und Methode, können sich aber destruktiv auf die Gemeinde auswirken, wenn wir nicht die bereits bestehenden beachten. Die vorgeschaltete Kommunikation einer klar evangeliumszentrierten Vision wird Menschen helfen, Veränderungen besser zu verarbeiten.

Wenn ein großer Teil der Gemeinde nicht mitsingt, haben wir in der Kontextualisierung versagt und es handelt sich vielmehr um eine musikalische Aufführung. Kontextualisierung sollte zu größerer Teilnahme führen. Ich war in Gottesdiensten, in denen die Musiker kulturell gesehen sehr relevant auftraten, aber weniger als die Hälfte der Gottesdienstbesucher am Gesang teilnahm. Gott ruft uns viel öfter auf, gemeinsam zu singen (1Chr 16,8–9; Ps 5,11; Ps 30,4; Ps 47,6), als dass er uns ermutigt, Instrumente zu spielen. In der Tat, ist es wirklich eine gute Idee, der Gemeinde durch unsere Worte und unser Beispiel deutlich zu machen, dass ihre Stimmen wichtig sind, wenn Musik im Gottesdienst erklingt.

Es gibt Aspekte in unseren Gottesdiensten, die eine Gegenkultur bilden und die deshalb auch nicht kontextualisiert werden sollten. Christen sind Menschen des Wortes. Unsere erste und letzte Autorität für das, was wir tun, wenn wir uns versammeln, ist die Hl. Schrift. Deshalb feiern wir das Abendmahl und die Taufe. Deshalb predigen Pastoren und geben sich nicht einfach losen interaktiven Konversationen hin (2Tim 4,1–2). Die Versammlung des Volkes Gottes hat seinen eigenen Kontext, der dazu dient, unser Denken, unsere Ausrichtung und unsere Entscheidungen zu formen und zu verändern.

Eine Kontextualisierung, die die Geschichte und andere kulturelle Kontexte ignoriert oder minimiert, tendiert dazu, eine kulturelle „Insel“ zu erschaffen, produziert Abgrenzung und beachtet nicht die breite Ausrichtung des Evangeliums. Wenn Kontextualisierung zu eng gefasst wird, werden Menschen automatisch ausgegrenzt. Sind wir nur auf 20 bis 30jährige Menschen ausgerichtet? Was ist mit denen, die schon über 60 Jahre alt sind? Sprechen Sie ständig diejenigen an, die ihre Kinder zu Hause unterrichten? (In den USA ist Homeschooling wesentlicher verbreiteter als in Europa; Anm. d. Red.) Was ist mit den Eltern, die das nicht tun? Versuchen wir vielleicht die ganze Zeit Menschen aus der Künstlerszene zu erreichen? Was ist denn mit den Maurern, Bauern und Buchhaltern? Auf der letzten „Sovereign Grace“-Pastorenkonferenz erinnerte uns Kevin DeYoung: „Wer den Geist dieser Zeit heiratet, wird bald Witwe sein.“ Amen. Während wir versuchen, gerade die bedeutendsten kulturellen Gegebenheiten unserer Gemeinde und Gesellschaft ernst zu nehmen, sollten wir immer wieder an den weltweiten und himmlischen Leib Christi erinnern.

Die Kontextualisierung unserer Evangelisation ist von der Kontextualisierung des Gottesdienstes zu unterscheiden. Paulus‘ Worte aus 1Kor 9,22–23 werden oft als Verteidigung dafür benutzt, den Gottesdienst dahingehend zu verändern, dass sich auch Ungläubige willkommen fühlen: „Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. Ich tue aber alles um des Evangeliums willen, um an ihm Anteil zu bekommen.“ Paulus spricht hier aber von der Evangelisation und nicht von dem Gottesdienst am Sonntagmorgen. Der Gottesdienst ist dazu da, den Leib Christi zur Verherrlichung Gottes zu erbauen (1Kor 12,4–7; 1Kor 14,12). Wenn ein Nichtchrist angesprochen wird, dann deshalb, weil er merkt, dass das, was beim Treffen der Gemeinde passiert, so unterschiedlich zu dem ist, was er aus der Welt kennt (1Kor 14,24–25).

Kontextualisierung ist ein Mittel, nicht das Ziel. Vor gar nicht allzu langer Zeit, habe ich mich mit jemandem über Twitter unterhalten. Er behauptete, dass er es als befremdlich empfinde, wenn der Ausdruck der „Gemeinschaftlichen Anbetung“ global angewandt werde. Was für den Einen „gemeinschaftlich“ sei, bedeute für einen Anderen vielleicht etwas ganz anderes. Ich verstehe den Gedanken dahinter. Aber Textstellen wie 1Kor 12 und 14, Kol 3,16–17  und Eph 5,18–20 geben uns einige „Eckpunkte“, die jede christliche Versammlung charakterisieren sollten. Gemeinden in Moskau, Beijing, Mumbai, London und Sydney sollten sich versammeln, um auf die treue Auslegung des Wortes Gottes zu hören. Gemeinden überall auf der Welt sollten singen und beten. Jede Versammlung der Christen sollte die Wirklichkeit des neuen Lebens, das wir durch das Evangelium Jesu Christi bekommen haben, und unsere Sehnsucht nach seinem zweiten Kommen, reflektieren.

Die Gottesdienste so zu führen, dass Menschen den Ablauf und  die Inhalte verstehen, stellt eine wichtige Aufgabe für Pastoren und Älteste dar. Aber lassen Sie uns darauf achten, dass unser Eifer für Kontextualisierung nicht dazu führt, dass wir etwas anderes darstellen als das, wofür Christus uns erlöst hat; nämlich heilig und rein zu sein, als Licht in der Welt, das vom Wort des Lebens lebt (Phil 2,15–16).


Bob Kauflin, Seven Myths of Contextualization
© Bob Kauflin/WorshipMatters. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.